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war, mit einem Mann und zwei kleinen Jungen an einem Tisch. Weinend umarmte sie mich, und ohne irgendwelche Fragen konnte ich am Tisch Platz nehmen und mitessen.

      Im Ortsteil Silberhöhe, etwas außerhalb von Ammendorf, kam ich dann mit den Kindern anderer Familien zusammen. Wir spielten gemeinsam, was sollten wir auch sonst tun? Dort war ein kleiner Platz, den wir den Sportplatz nannten, er war von hohen Pappeln umgeben. Das war immer unser Treffpunkt. In der Nähe lag eine halbzerstörte Flakstellung aus dem Krieg, dort spielten wir meistens.

      Eines Tages kam meine Mutter mit zwei Männern und sie nahmen mich einfach mit, sie hatten mich lediglich nach meinem Vor- und Nachnamen gefragt. So kam ich wieder nach Wickersdorf. Alle Häuser standen noch, aber über den Eingängen waren die Namensschilder verschwunden. Ansonsten war alles wie in einer normalen Schule. Wir hatten wieder Unterricht, aber nicht mehr vor dem Frühstück. Auch machten wir keinen Fahnenappell mehr und wir wurden im Speisesaal nicht mehr bedient, sondern mussten selbst Tischdienste erledigen. Aus irgendwelchen Gründen erinnere ich mich nur noch an den Namen des Russischlehrers: Herr Griebsch.

      Ich habe in meinen spärlichen Unterlagen über diese Zeit einen Laufzettel in meinem Archiv, wonach ich am 19. Juli 1948 die Schule verlassen habe. Auf diesem Laufzettel haben mehrere Personen unterschrieben, so auch der Russischlehrer Griebsch für die Bücherei.

      Ich habe später diese Zeit in Wickersdorf, also die Zeit nach Kriegsende bis 1948, immer als die Zeit meiner Entnazifizierung bezeichnet. Meine Rückführung in die Schule, in der so ungewöhnlichen Art und Weise, hatte vielleicht auch andere Gründe, aber ich habe sie immer als meine Entnazifizierung bezeichnet, denn die Lehrer bemühten sich, unsere Köpfe mit neuen Idealen zu füllen.

      Ab 1948

      Als ich nun 1948 von dieser Schule entlassen wurde, fuhr ich wieder zu meiner Mutter. Sie wohnte noch immer im Hallenser Stadtteil Silberhöhe. Ich spielte nun wieder mit den anderen Jugendlichen, wir waren nun bereits 14 Jahre alt, auf dem kleinen Sportplatz mit den vielen Pappeln.

      Die zerstörte Flakstellung war noch da und so gingen wir oft dorthin. Nun schon etwas älter, waren wir neugieriger als vier Jahre zuvor. Wir suchten überall herum und fanden auch Verschiedenes. Am verlockendsten waren alte Pistolen, Gasmasken und irgendwelche alten Bekleidungsreste. Jeder von uns hatte irgendetwas mitgenommen. Ich war stolz auf meine Pistole, allerdings hatte ich nie ausprobiert, ob sie noch schießen konnte. Sie hätte auch eine Wende zum Schlimmen für mich werden können.

      Nachdem mein Stiefvater, der sich immer sehr um mich gekümmert hatte, mir 1950 eine Lehrstelle in der Waggonfabrik in unserer Stadt besorgt hatte, lief ich nun täglich mit den anderen Lehrlingen auf einem Trampelpfad über einen großen Acker zu diesem Betrieb. Meine Pistole hatte ich immer dabei. Und legte sie im Werk in meinen Schrank. Über diese Dummheit habe ich mir damals keine Gedanken gemacht.

      Erst später, als Kriminalist, erfuhr ich etwas von den »Werwölfen« und dass sie, wenn sie erwischt wurden, in Straflager in die Sowjetunion abtransportiert wurden. Mir läuft es heute noch eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke, durch welchen Zufall ich einem furchtbaren Schicksal entgangen bin. Aber so war das damals: Die Verlockungen für uns waren groß und niemand hat uns kontrolliert. Dass ich mit meiner Pistole nicht als »Werwolf« entdeckt wurde, ist für mich noch heute der größte Glücksfall meines Lebens.

      Damals, ich lernte von 1950 bis 1952, war die Waggonfa­brik ein großes Werk mit Tausenden Erwachsenen und etwa 200 Lehrlingen. Man konnte Schlosser, Tischler, Polsterer, Schmied lernen, eben alles, was ein Werk benötigte, das Schnellzugwaggons baute. Jeder Waggon war über 20 Meter lang, hatte gepolsterte Sitze in den Kabinen, die zu Schlafgelegenheiten umgebaut werden konnten, sowie eine kleine Küche und einen Dienstraum für das Personal. Wir bauten damals zwei Waggons pro Woche, später sogar fünf Waggons täglich. Die meisten wurden in die Sowjetunion und auch nach China exportiert. In das Werk kamen auch Lastkraftwagen mit einer geschlossenen Ladefläche, auf die dann Werkzeugmaschinen wie Hobelbänke, Drehbänke, Schweißgeräte und anderes aufgebaut wurden. An die Zahl dieser Werkstattwagen habe ich keine Erinnerung, da ich schon als Lehrling, aber auch nach der Gesellenprüfung beim Bau der Schnellzugwaggons eingesetzt wurde. Nach der Wende erfuhr ich, dass unser Werk damals der weltgrößte Hersteller solcher Weitstreckenwaggons war.

      Das Werk hatte nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch ein großes Klubhaus mit Großküche, Speisesaal, Tischtennisplatten, Tanzsaal und Billardraum. Auch existierte ein Fanfarenzug mit etwa vierzig Akteuren, eine Fußball- und eine Handballmannschaft, in der ich als Torwart spielte.

      Nach der Wende wurde das Werk abgewickelt, wie es hieß, das Klubhaus abgerissen und eine kleine Stadt, die einst mit und von diesem Werk gelebt hatte, blieb mit der üblichen Arbeitslosenrate zurück. Die verkündeten »blühenden Landschaften« waren damals in meiner Heimatstadt Ammendorf nicht angekommen.

      In unserer Handballmannschaft gab es auch werksfremde Spieler, und eines Tages sprach mich einer von diesen Sportkameraden an und stellte sich als Angehöriger der Kriminalpolizei von Halle vor. Er meinte: »Wir brauchen solche Männer wie dich, komm doch mal zu einem Vorstellungsgespräch«. Und da er mich löcherte, ging ich eines Tages mit ihm dorthin.

      So nahm ich im Herbst 1952 bei der Kriminalpolizei in Halle an einem Vorstellungsgespräch teil. Mir wurde zunächst ein längerer Vortrag über die Notwendigkeit der Arbeit in der Kriminalpolizei gehalten, und schließlich willigte ich zu einem Probedurchgang von sechs Monaten als Praktikant ein. Ich durchlief die Arbeitsgruppen Einbruch, Sitte, Verkehrsunfälle, Leben und Gesundheit sowie Allgemeines. Nach sechs Monaten wurde ich für tauglich befunden und trat am 1. Juni 1953 im Präsidium Halle, wie es damals hieß, meinen Dienst als Angehöriger der Kriminalpolizei an.

      Leiter der Abteilung war Major Hausmann. Er war ein ruhiger, väterlicher Vorgesetzter. Sein Stellvertreter war Hauptmann Apelt. Beide waren in ihrem Handeln gute Vorbilder für einen jungen Kriminalisten. Ich wurde Oberleutnant Hackemesser zugeteilt. Er war in den nächsten Jahren mein Vorgesetzter und führte mich in die Kriminalistik ein. Er weckte auch die Neugier in mir, ohne die ein guter Kriminalist nicht erfolgreich sein kann. Damals war ich der Jüngste in der Abteilung.

      Die Tätigkeit als Kriminalist war ungleich schwerer als die Arbeit in der Waggonfabrik. Endlose Überstunden, und sonnabends und sonntags zu arbeiten, war normal. Wollte ich auf einem Aktenbestand von etwa 20 Vorgängen bleiben, musste ich neben der Ermittlungsarbeit täglich zwei Schlussberichte schreiben, da der Arbeitsgruppenleiter jeden Tag neue Vorgänge brachte und mit wenigen Worten auf den Tisch legte.

      1954 heiratete ich meine Sissi. Amtlich Sigrid, nannten sie ihre Eltern »Sissi«, und so habe ich nicht nur ihre Tochter übernommen, sondern auch den Kosenamen. Bis zu ihrem Tod 2017, nach langer schwerer Krankheit, war sie meine Frau, und auch das Pflegepersonal des Heimes, wo sie lange Jahre ans Bett gefesselt lebte, nannte sie so; ich war jeden Nachmittag bei ihr. Unser Sohn Udo war bereits 2009 gestorben.

      Als wir am 23. Oktober 1954 heirateten, wohnte ich bei ihren Eltern und schlief auf dem Sofa. Wir hatten ein herzliches Verhältnis zueinander. Die Wohnung befand sich in einem Haus aus den dreißiger Jahren und bestand aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Toilette. Es waren kleine Räume, und jeweils drei Mietparteien hatten im Keller ein gemeinsames Badezimmer mit Kohleofen.

      Sissi arbeitete als Feinmechanikerin in den Chemischen Werken Buna, wo sie diesen Beruf auch erlernt hatte.

      Es war schwer, eine eigene Wohnung zu bekommen. Aber in den Chemischen Werken Buna wurde 1954 eine Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) gegründet, in welcher jeder im Werk Beschäftigte eintreten konnte. Es gab Standorte, also Baugebiete in Halle, Schkopau und Merseburg. Es konnte sich jeder für »seine« Wohnung eintragen lassen, also nicht schlechthin für eine Wohnung. Dafür musste er eine von der Mitgliederversammlung beschlossene Geldsumme einzahlen und eine festgelegte Zahl von Arbeitsstunden leisten. Diese Leistungen waren abhängig von der Wohnungsgröße und von der Lage der Wohnung im Gebäude. Es kam nicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit an, man konnte auch dort anfangen zu arbeiten und sich am nächsten Tag bei der AWG anmelden.

      Jede Wohnung hatte einen Balkon, ein Badezimmer mit Kohleofen und Toilette, im Wohnzimmer Parkettfußboden,

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