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Forschung image Dialog

      Mit diesem Vorgehen verbunden ist der Wunsch, an der Demokratisierung von Wissen(schaft) zu arbeiten. Hochschulen werden aus dieser Perspektive als gesellschaftliche Gebilde begriffen. Sie schweben nicht über den Verhältnissen, sondern sind selbst Teil und Triebkraft demokratischer Gesellschaften. Hochschulen tragen dazu bei, dass Gesellschaften sich selbstkritisch statt unreflektiert gestalten. Im Fluchtpunkt des Buches steht die Erwartung, möglichst facettenreich darüber zu informieren, was es bedeuten kann, Wirtschaftswissenschaften als economists4future zu betreiben.

      Das Buch richtet sich an Studierende, Forschende, Lehrende an Schulen wie Hochschulen, an Bildungspolitiker*innen sowie an alle anderen Menschen, die sich offen halten für Möglichkeiten des Verstehens und Staunens. Es will dafür werben, im Studium, in der Forschung und im Alltag zwischen »Wissen« und »Gewissheit« zu unterscheiden. Denn nach wie vor sind viele Zukünfte gesellschaftlicher Selbstgestaltung möglich. Der individuelle wie kollektive Souverän entscheidet, was wie wann wo gemacht wird. Doch was warum und inwiefern unter welchen Bedingungen sinnvoll sein könnte, das beantwortet nur eine Wissenschaft, die ihre Mündigkeit nicht gegen Gleichmut getauscht hat.

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      Prof. Dr. Lars Hochmann ist Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet zu sozialökologischem Unternehmer*innentum sowie ökonomischen Natur- und Weltverhältnissen an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung.

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      »Junge Menschen müssen lernen dürfen, welche alternativen Prozesse des Erkennens ihnen offenstehen, wie sie sich für sie entscheiden und wie sie sie aktiv gestalten können. Sie sollten das Erkennen selbst erkennen und gestalten können.«

      Silja Graupe

image BIODIVERSITÄT DES ERKENNENS

      Visionäre Zukunftsgestaltung braucht reflexive Freiheit

      Weltweit gehen junge Menschen auf die Straße. Angesichts von Klimakrise, Ungerechtigkeit und Zerstörung der ökologischen Grundlagen allen Lebens fordern sie die Gestaltung einer neuen, einer anderen und hoffentlich auch besseren Zukunft. Wie aber können sie in der Gegenwart ein Verständnis des Vergangenen und des Gegenwärtigen mit einer Imagination des zukünftig Möglichen vereinen? Wie können Menschen allgemein realistisch und utopisch zugleich agieren? Economists4future nehmen die Herausforderung an, sich diesen Fragen im Bereich des Ökonomischen zu stellen – offen und ohne den Zwang einzig richtiger oder feststehender Antworten. Auch ich möchte in diesem Beitrag keine Antworten vorgeben, sondern in grundsätzlicherer Absicht zuallererst neue, nämlich imaginative Spielräume des Möglichen eröffnen.

       DIE AUFGABEN EINER NEUEN REFLEXIVEN BILDUNG

      Diese Herausforderung ist keine des abstrakten Elfenbeinturms theoretischer Forschung. Sie ist eine der Bildung. Wie lassen sich Wege finden, um Zukunft gemeinsam mit jungen Menschen gestalten zu lernen? Ich bin, ebenso wie etwa das Netzwerk Plurale Ökonomik, der Überzeugung, dass es hierfür einer neuen Methoden- und Theorievielfalt bedarf. Mehr noch: Modelle und Theorien beruhen immer schon auf bestimmten Vorstellungen darüber, wie Menschen im Allgemeinen und speziell Wissenschaftler*innen die Welt sowie die eigene Stellung, die sie in ihr einnehmen, erkennen können. Elinor Ostrom spricht diesbezüglich von der fundamentalen Ebene der Frameworks, auf der Prozesse des Erkennens hochgradig spezifisch, zumeist aber unbewusst dirigiert werden.

      Genau auf dieser Ebene bin ich der Auffassung, dass wir gerade in der Ökonomie dringend eine diversere Erkenntnisvielfalt brauchen. Es bedarf neuer Formen des »Erkennens des Erkennens« – und dies nicht nur in einem passiven Singular, sondern im aktiven Plural. Denn wir leben in hochgradig komplexen Zeiten, in vielfältigsten Lebensräumen. Um diese zu gestalten, brauchen wir mehrere Weisen des Erkennens gleichzeitig und zudem die Fähigkeit, uns ebenso frei wie situationsadäquat zwischen ihnen entscheiden zu können. Es bedarf einer bewusst gestaltbaren Biodiversität des Erkennens, statt eines einzigen Erkenntnisparadigmas, das per definitionem stets stillschweigend vorausgesetzt ist. Diese aber wird es ohne gesteigerte Fähigkeiten zur (Selbst-)Reflexion nicht geben können: Junge Menschen müssen lernen dürfen, welche alternativen Prozesse des Erkennens ihnen offenstehen, wie sie sich für sie entscheiden und wie sie sie aktiv gestalten können. Sie sollten das Erkennen selbst erkennen und gestalten können.

       DER ZUSTAND EINER TROSTLOSEN ÖKONOMISCHEN BILDUNG

      In der weltweiten ökonomischen Standardlehre ist es um eine solche Diversität denkbar schlecht bestellt. Denn hier herrscht – weitgehend unbemerkt – ein Erkenntnisparadigma vor, das sich von der Metapher des Eisbergs – zu sehen in der Abbildung gegenüber – leiten lässt: Wie sich bei einem Eisberg, der auf dem Meer schwimmt, mehr als 80 Prozent seiner Masse unterhalb der Wasseroberfläche befindet, so soll der Verhaltensökonomik nach der allergrößte Teil menschlichen Erkennens unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen – und damit der Reflexion entzogen bleiben. Statt einer bewussten und aktiv gestaltenden Diversität des Erkennens soll es jenseits rationalen Denkens nur eine erstarrte und in der Dunkelheit des Unbewussten verharrende Ansammlung unzugänglicher kognitiver Strukturen geben.

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      1 Eisbergmetapher / Verhaltensökonomik

      Was damit gemeint ist, beschreibt etwa der Psychologe und Verhaltensökonom Daniel Kahneman im Bestseller Schnelles Denken, langsames Denken: Bewusst soll nur das rationale Erkennen ablaufen, wie es der Homo oeconomicus symbolisiert. Gemeint ist damit ein kühl berechnendes Zweck-Mittel-Denken. Dessen Funktionsweise lässt sich am ehesten mit der eines Computers vergleichen, dessen Regeln nach der Logik der Mathematik, genauer gesagt nach den Gesetzmäßigkeiten des Optimierungskalküls programmiert sind. Eine (Selbst-)Reflexion dieses Programms kann es nicht geben; die rational Erkennenden haben schlicht nicht die Wahl, wenn es darum geht auszuleuchten, nach welchen Regeln sie ihre Entscheidungen treffen.

      Kahneman geht wie andere Verhaltensökonom*innen davon aus, dass sich das rationale Erkennen nur mühevoll und langsam vollziehen kann. Zum Lohn wird es dafür vom strahlenden Licht der abstrakten Vernunft beschienen. Kein Wunder also, dass die weltweit herrschende ökonomische Standardlehre gerade diesen Bereich des Erkennens fokussiert. Ganz gleich, was Studierende zu berechnen haben, es gilt in jedem Falle, dass sie rechnen müssen: Als Erkenntnissubjekte haben sie sich auf frappierende Weise ihrem Erkenntnisobjekt – dem Homo oeconomicus – anzugleichen.

      Unterhalb der Schwelle bewusst kalkulierender Wahrnehmung liegt der Eisbergmetapher zufolge ausschließlich das dunkle Reich der Irrationalität. Hier, so Kahneman, treffen Menschen ihre Entscheidungen zwar blitzschnell und mühelos, zugleich aber nicht zu ihrem Besten – zumindest sofern kalkulatorische Maßstäbe angelegt werden. George Akerlof und Robert Shiller, ebenfalls Verhaltensökonomen, sprechen gar von »Affen auf den Schultern«, die den Menschen einflüstern, was sie zu tun hätten – stets ohne bemerkt zu werden und zumeist gegen deren wohl kalkulierte Interessen. Diese im Dunkeln liegende Masse unbewusster Weisen des Erkennens soll vornehmlich aus stillschweigend verinnerlichten Gewohnheiten bestehen, gespeist etwa durch das nahezu reflexhafte Verarbeiten von Sprache, das seinerseits quasiautomatisch

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