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      Von den »führenden Ökonom*innen« wird die Regierung aktuell in der Corona-Krise aufgefordert, »man müsse schnell handeln, um jetzt durch die Bereitstellung von Milliarden-Mitteln […] Vertrauen zu schaffen«, so etwa Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts im Interview der Deutschen Welle. In einer Ökonomie, die von vornherein gedacht wird als »economy in which decisions about production and consumption are made by individual producers and consumers«, wie Paul Krugman und Robin Wells es formulieren, kommt ein Staat als ökonomischer Akteur gar nicht vor.

      In Krisenzeiten allerdings wird wie selbstverständlich nach ihm gerufen. Schon 2009 konstatierte der damalige deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, dass »in der Krise eine Renaissance des Staates« als selbstverständlich thematisiert wird, aber Ökonom*innen diesen Staat sonst »weitgehend als Störfaktor in der Wirtschaft« sehen, »den man möglichst weit heraushalten wollte«.

      Eine Institution, die von allen Arbeitnehmer*innen sowie allen Unternehmen eines Landes einen beträchtlichen Anteil an Steuern einnimmt – sofern sich diese dem nicht auf illegale Weise entziehen – als ökonomisch irrelevant zu erklären, gehört nicht nur zum fehlenden Reflexionsvermögen der herrschenden Ökonomik, sondern gleicht auch einem antistaatlichen Framing. Das stärkste Argument im politischen Kampf um die vorherrschende Wirtschaftsordnung gegen eine »Planwirtschaft« lieferte Adam Smith schon 1779:

       »Ein Staatsmann, der es versuchen sollte, Privatleuten vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihr Kapital investieren sollten, würde sich damit […] eine Autorität anmaßen, die man nicht einmal einem Staatsrat oder Senat, geschweige denn einer einzelnen Person getrost anvertrauen könnte […].«

      Doch inwieweit gilt diese Warnung vor einer – in den Worten Friedrich von Hayek – »Anmaßung von Wissen« noch, wenn in allen relevanten Wirtschaftsbereichen nur noch eine Handvoll Großkonzerne existieren? Wenn sich in Deutschlands Lebensmitteleinzelhandel Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe und Aldi 85 Prozent des Absatzmarktes teilen? Beziehungsweise wenn nur ein Unternehmen eine ganze Branche beherrscht, wie Google 90 Prozent des deutschen Suchmaschinenmarktes? Oder wenn es sogar um die weltweite Beherrschung eines Marktes geht – Beispiel Saatgutmarkt, der zu zwei Drittel durch die Chemiekonzerne Bayer-Monsanto, Syngenta und Dupont kontrolliert wird?

      Diese Marktbeherrschung wird in der Ökonomik ebenso ungenügend problematisiert, wie die realen Entwicklungen der Wirtschaftsakteure nicht reflektiert werden. Angesichts solcher Konzentrationen wird die in der Ökonomik bis heute bemühte »invisible hand« als »unplanned economy«, wie es von Paul Krugman und Robin Wells heißt, schlichtweg obsolet. Auch diese Auffassung gehört zum unreflektierten Grundrepertoire der herrschenden Ökonomik. Allzu bekannt ist sie als Rhetorik von der angeblichen Selbstlenkung der »Märkte«, die als sich selbst regulierende »Koordination« angepriesen wird, wie Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus dies in ihrem Lehrbuch 2007 tun. Sie sprachen 2016 sogar den »Markt« als handelndes Wesen an und fragten enthusiastisch: »Wer löst die drei Grundfragen wirtschaftlicher Organisation, nämlich was, wie und für wen produziert wird?«

      Ja – wer löst diese Grundfragen wirtschaftlicher Organisation? Organisationen sind von Menschen gemachte Institutionen. Kein »Markt« existiert »an sich« oder reguliert sich selbst. Märkte sind organisiert. Sie sind, laut Reinhard Pirker, Regulierungsformen des sozialen Lebens. Daher ist jede Marktökonomie eng mit der Legislative, Exekutive und Judikative eines Staates verbunden. Ohne diese Verwobenheit wären weder unternehmensfreundliche Gesetzgebungen erklärbar noch umgekehrt politische Entscheidungen gegen Unternehmensinteressen.

      Auch in diesem Punkt wird die Corona-Pandemie zeigen, inwieweit die Politik sich im Zuge der Krisenbewältigung emanzipieren kann oder – wie in der Finanzkrise ab 2008 – nur von Unternehmensinteressen getrieben agiert und »Staatsschulden« anhäuft, ohne das Reglement wirksam neu zu gestalten. Seitens der aktuell zur Tagespolitik befragten und zitierten »führenden Ökonom*innen« beobachten die Medien derzeit zwar mehrheitlich eine »Abkehr von der reinen Lehre«, wenn das Aufkündigen der »Schwarzen Null« im Bundeshaushalt, massive Staatshilfen sowie sogar Staatsbeteiligungen für Unternehmen gefordert werden. Weit wesentlicher für die Zukunft aber wird sein, diese »reine Lehre« endlich umzustellen auf eine realistische Ökonomik, in der die ökonomischen Entwicklungen und deren Folgen und die eigene Gestaltungskraft reflektiert werden. Hierin stehen Ökonom*innen in der Verantwortung, der sie sich nicht entziehen können. Wie würden Sozialwissenschaftler*innen reagieren, wenn Politikwissenschaftler*innen ankündigten, politische Entscheidungsprozesse zu analysieren, aber die politischen Folgen als »extern« ausklammert, mit der Begründung, sie seien kein Thema der Politikwissenschaften?

      Das Reflexionsdesaster in der Ökonomik ist endlich zu beenden!

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      Dr. Katrin Hirte ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) der Universität Linz und forscht u. a. zur gesellschaftlichen Wirkung der Wirtschaftswissenschaften.

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      »Reflexivität verträgt sich in Lehre und Forschung nicht mit geistiger Monokultur, dogmatischer Starre, methodischer Verengung und erkenntnismäßigem Zwang. Reflexivität als Rückbezogenheit auf die Gesellschaft und Nachdenklichkeit im Analysieren, Interpretieren und Bewerten gesellschaftlicher Veränderungsprozesse trifft den Kern der ›Third Mission‹ von Hochschulen.«

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