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      Die Vorstellungen zur Organisations- und Regulationsstruktur des Wirtschaftens gehören zu einer zweiten Reflexionsebene, die in der Soziologie als »Konzepte zweiter Ordnung« bezeichnet werden. Solche Konzepte werden seitens der Wissenschaften entwickelt, werden aber zu »Konzepten erster Ordnung«, wenn sie, so Anthony Giddens, »innerhalb des gesellschaftlichen Lebens angeeignet werden«. Dann bilden diese Konzepte erster Ordnung die Sphäre der Ökonomie als den Bereich, der über die Art und Weise der Bewirtschaftungsvorgänge entscheidet. Sie entscheiden somit über den Umgang mit Ressourcen, über Verteilung, über Verantwortlichkeiten und ähnliches mehr und tun dies mittels eigener dafür geschaffener Institutionen – ob Organisationen, Ämter oder Gesetze.

      Bei dieser Differenzierung geht es weder um Spitzfindigkeiten bei der Wortwahl noch um eine Suggestion, dass es einfache Antworten auf die drängenden Probleme gäbe, die aus den Folgen einer derzeit fast ungezügelten Ökonomisierung auf der Erde entstanden sind – und aktuell durch die Corona-Pandemie noch verschärft werden. Sondern es geht darum, den Unterschied zu verdeutlichen: Bewirtschaftungssphäre und ökonomische Sphäre sind nicht deckungsgleich. Und gerade die Auswirkungen der Pandemie machen überdeutlich, dass zwischen diesen Bereichen unterschieden werden muss. Denn ausgerechnet in dieser Krisensituation wird das praktiziert, was in »Normalsituationen« undenkbar erscheint: Per politischem Beschluss werden geltende ökonomische Regularien, die bislang als keinesfalls veränderbar galten – einfach geändert. Gleichzeitig tritt dadurch zutage, wie stark diejenigen Bewirtschaftungsbereiche, die der direkten Versorgung des Menschen dienen, bereits in die ökonomische Sphäre involviert worden sind – mit negativen Folgen, wie aktuell angezeigt am Bereich Gesundheit und Pflege.

      Diese missliche Gemengelage hat mit der nicht vollzogenen Grundunterscheidung zwischen Bewirtschaften und Ökonomie zu tun. Denn mit der stillschweigenden Identifikation von Bewirtschaftungs- und ökonomischer Sphäre änderte sich auch die Zielsetzung in jener erstgenannten Sphäre. Dies ist schon an der Wortherkunft erkennbar: Be-wirt-schaften bezeichnet den Vorgang, bei dem Menschen mit dem haushalten, was sie in die »Bewirtung« ihrer selbst und ihrer Umwelt einbeziehen. Schon die griechische Auffassung von Oikonomia umfasst das Behüten beziehungsweise Regeln (nemein) des Haushaltes (Oikos). Die Chrematistik, also der Gelderwerb, wurde davon unterschieden. Heute umfasst Ökonomie hingegen alles, was Menschen institutionalisiert haben, um dieses Wirtschaften regelgeleitet und mit dem Ziel des Gelderwerbes umzusetzen. Es basiert auf Kapital, dem Privateigentum an allen Ressourcen, mit dem es gelingt, aus dem Bestehenden ein Mehr zu schaffen. Daher ist die heute so gerne herangezogene »Marktwirtschaft« nichts anderes als eine Kapitalwirtschaft beziehungsweise – in klassischer Ausdrucksweise – ein Kapitalismus. Bereiche der sozialen Versorgung, wie Gesundheit, Energie, Verkehr und dergleichen, sind in dieser Ökonomie nur dann interessant, wenn sie auch ökonomisch interessant sind, also wenn sie in das Regelwerk des Kapitalismus einverleibt werden, was gerade in den letzten Jahrzehnten gelang.

      Eine Abkehr von dieser Herangehensweise bedeutet daher eine Abkehr von dem grundsätzlichen Denken, das mit der heutigen Ökonomik transportiert wird und bei dem die Vermischung von Bewirtschaften und Ökonomie eine zentrale Rolle spielt. Erschwert wird eine Lossagung von dieser Vermengung durch eine apodiktische und noch dazu unhaltbare Wissenschaftsauffassung in der Ökonomik: In der Einbildung, dass in den Sozialwissenschaften ebenso wie in den Naturwissenschaften unumstößliche Gesetze gelten würden, wird einem Phantom nachgejagt. Dabei ist man gerade in den Naturwissenschaften bereit, zuvor angenommene Auffassungen mit wachsenden Einsichten aufzugeben – ob es um einen geobasierten Bezug in der Astronomie geht oder einen feststehenden Raum-Zeit-Bezug in der Physik. Mit diesem Vorgehen werden in den Naturwissenschaften sukzessive neue Zusammenhänge entdeckt. In den Sozialwissenschaften besteht die Herausforderung darin, dass sich geltende Auffassungen mit dem gesellschaftlichen Fortkommen mitentwickeln müssen. Beiden Arbeitsweisen verweigert sich die Ökonomik seit Jahrzehnten. Wie dies erfolgt und welche verheerenden Auswirkungen daraus resultieren, wird nachstehend zu drei Schwerpunkten verdeutlicht: Zuerst wird die Grundauffassung der Ökonomie beleuchtet, dann die Position der Wirtschaftsakteure problematisiert und schließlich die Rolle des Staates befragt.

       ZUR GRUNDAUFFASSUNG DER ÖKONOMIE

      Die Vermischung von Bewirtschaften und Ökonomie beginnt schon auf der grundsätzlichen Ebene. Ökonomie wird in den gängigen Lehrbüchern definiert als »Wissenschaft vom Einsatz knapper Ressourcen zur Produktion wertvoller Wirtschaftsgüter«, nachzulesen etwa bei Paul Samuelson und William Nordhaus und zurückzuverfolgen sogar bis in die 1930er-Jahre, als Lionel Robbins diese Definition aufgestellt hat. Die Entscheidung darüber, welche Güter wertvoll sind und wie der Einsatz von Ressourcen organisiert ist, treffen nach dieser Diktion »Wirtschaftsakteure«.

      Bei dieser Grundannahme – Ökonomie als Wissenschaft von Entscheidungen zwischen Zwecken und knappen Mitteln seitens der Wirtschaftsakteure – werden die Folgen solchen Entscheidens von Anfang an aus der Ökonomie ausgeklammert. Sie werden als »externe Effekte« – als unkompensierte Auswirkungen dieser ökonomischen Entscheidungen – behandelt. Für sie zahlt niemand oder leistet einen Ausgleich, obwohl die Entscheider*innen doch gleichzeitig die Verursacher*innen sind. In den meisten Fällen, in denen die Auswirkungen nicht ausgeblendet werden, werden sie einzig wieder zu Verwertungszwecken in die Ökonomie integriert, nachzuvollziehen etwa an den Emissionsmärkten. Diese, schon im wörtlichen Sinne verantwortungslose, Grunddefinition der Ökonomie ist mit den immer bedrohlicheren Umweltschäden nicht mehr durchhaltbar. Wer darauf hinweist, oder gar die Forderung nach der Begrenzung von Wirtschaftswachstum erhebt, erlebt geradezu erpresserische Abwiegelungen, die nur möglich sind, weil zwischen Bewirtschaftung und Ökonomie nicht unterschieden wird: Es werden Drohszenarien zu deflationären Entwicklungen entworfen, Krisen und Arbeitslosigkeit prognostiziert, Kollapsdystopien ausgemalt und too-big-to-fail-Ansprüche gestellt. Aber Wirtschaftswachstum ist nicht gleichzusetzen mit ökonomischem Wachstum. Auch dies wird an der Corona-Pandemie wie durch ein Brennglas deutlich, wenn auf einmal in Erwägung gezogen wird, dass es Wirtschaftsbereiche geben kann, welche der Konkurrenzökonomie entzogen werden. Dies zeigt: Ob und welche wirtschaftlichen und hier insbesondere physischen Ressourcen der derzeit praktizierten ökonomischen Verwertungspraxis unterliegen, ist letztlich eine Frage politischer Entscheidungen und keine unausweichliche Gegebenheit ökonomischer Zwangsgesetze.

       ZUM PROBLEM DER WIRTSCHAFTSAKTEURE

      Auch die verzwickte Situation der Wirtschaftsakteure wird als eine quasinatürliche behauptet. Die Kernargumentation ist hier doppelt gelagert: Erstens wird unterstellt, dass eine Begrenzung von Bedürfnissen »natürliche« Ursachen hätte. Und zweitens seien Wirtschaftsakteure auch in ihrer Verwendung ihrer Mittel eingeschränkt, da die Ressourcen des Planeten nun einmal endlich seien. Hier werden die persönliche und die gesellschaftliche Ebene ganz gezielt vermischt und darüber hinaus mit physischen Vorgängen kombiniert: Bei der ersten Argumentationslinie – dass eine Begrenzung der Bedürfnisse eine »natürliche« Ursache hätte – wird auf ernährungsphysiologische Vorgänge insistiert, welche für alle Lebewesen gelten, und daraus ein »Gesetz« postuliert. Dieses »Sättigungsgesetz« wird den Studierenden mit dem Verspeisen von Schwarzwälder Kirschtorte oder dem Trinken von Bier eingetrichtert – ein Magen lasse nun einmal nur eine begrenzte Bedürfnisbefriedigung zu. Und für das zweite Argument – eine quasinatürliche Begrenzung der Mittel – werden die Student*innen sprichwörtlich in die Wüste geschickt, damit sie am sogenannten »Wasser-Diamant-Paradox« einsehen, dass Knappheit situativ als »natürliche« und gleichzeitig »persönliche« hinzunehmen sei – Diamanten seien nun mal selten, und je nach persönlicher Situation könne es auch Wasser sein. Beide Vermengungen – gepaart mit fragwürdiger Personifizierung – sollen gleichzeitig erforderliche Grenzziehungen begründen. Sowohl die Minimum-Grenze (»Sättigung«) wie die Maximum-Grenze (»begrenzte Mittel«) sind Voraussetzung für die mathematische Umsetzung dieses Konzepts – als Grenzwertberechnung.

      Wählt man jedoch Wasser statt Bier als Beispiel in der Sättigungsfrage, würde die Frage sofort in die einer notwendigen Versorgung in der Zeit umschlagen. Es würde auf einen der Bereiche rekurriert werden, die man vor ihrer Einverleibung

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