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SO LEBEN WIR AUCH

      Über die Notwendigkeit von economists4future

      Wir leben in unruhigen Zeiten, am Horizont kündigen sich Umbrüche an. Der hartnäckige Widerspruch Hunderttausender junger Menschen hat ein historisches Fenster aufgestoßen. Weltweit werden Klimaproteste, -streiks und -demonstrationen organisiert, die mehrere Millionen Menschen mobilisieren. Beharrlich fordern sie zu tiefgreifenden Veränderungen in der lokalen wie globalen Klimapolitik auf. Hier steht etwas auf dem Spiel – das scheint einer steigenden Zahl von Menschen zu dämmern. Diese Rückeroberung des politischen Raums »from below« belebt nicht nur unsere Demokratien. Der damit verbundene Aufruf – »unite behind the science«, wie Greta Thunberg es formuliert – macht diese Zeit auch bedeutsam für viele Wissenschaften, die sich mit zukunftsfähigem Leben und Zusammenleben auf diesem Planeten befassen. Im Frühjahr 2019 haben innerhalb weniger Wochen allein im deutschsprachigen Raum über 26 000 Wissenschaftler*innen verschiedener Fächer diesen klimapolitischen Willen öffentlich als Scientists for Future gerechtfertigt. Und sie haben ihn mit Bergen von Forschungsergebnissen begründet. Wissenschaft, so scheint es, hat – allen postfaktischen Unkenrufen zum Trotz – wieder eine gesellschaftlich relevante Stimme.

      Das gilt nicht nur für die klimatologisch orientierten Natur- und Ingenieurswissenschaften. Auch die Wirtschaftswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften allgemein, sind ermuntert, sich den offenkundigen und immer drängenderen Fragen unserer Zeit zu stellen. Zeitgleich zum Entstehen dieser Zeilen mischt sich der ungeladene Gast namens »Corona« ein und fügt diesem Buch eine weitere Relevanzdimension hinzu. Die Corona-Pandemie demonstriert, wie fragil unser gesellschaftliches Zusammenleben organisiert ist und macht uns bewusst, dass dieses System verschiedentlicher Justierungen bedarf. Wir alle gemeinsam sind Zeitzeug*innen tiefgreifender Veränderungen, die viele verstummen lassen, manche gar sprachlos machen. Alte Lösungsmuster versagen, sicher Geglaubtes wird strittig, Normalität und Chaos verschmelzen, Aussagen werden zu Fragen. Was passiert? Und wie weiter? Mehr denn je brauchen wir in diesen unsicheren Zeiten Orientierung, um andere und uns selbst als Akteur*innen statt Reakteur*innen zurück ins Spiel zu bringen. Es geht um eine Aufklärung, die nicht Aufklärung bleibt, sondern in tatsächliches Tun eingelassene Hoffnung ist und die zu realen Veränderungen drängt.

      Politische Forderungen, wie etwa das 1,5-Grad-Celsius-Ziel oder ein CO2-Deckel, geben in diesem Zusammenhang Halt. Sie sagen jedoch wenig über die Gesellschaften selbst und ihre Wirtschaftsformen aus, die mit solchen Zielen vereinbar sind. Wie wollen und können wir uns unter solchen Bedingungen in Zukunft mit welcher Nahrung, Energie oder Kleidung versorgen? Wie mobil sein? Wie wohnen? Es steht wohl außer Frage, dass eine »Netto-Null-Wirtschaft« – die also nur diejenige Menge an Treibhausgasen ausstößt, die sie auch wieder binden kann – nicht einfach der Status quo, nur mit weniger CO2-Äquivalenten, ist. Zukunftsbilder beinhalten neben der Kultivierung neuer Vorstellungen immer auch das Weglassen und Überwinden althergebrachter Gewohnheiten. An dieser Stelle und gerade in unsicheren Zeiten sind die Wirtschaftswissenschaftler*innen aufgefordert, ihre Expertise über die reale Vielfalt möglicher Alternativen öffentlich einzubringen.

       DIE KLIMAKRISE IST EINE GESELLSCHAFTSKRISE

      Es ist ein beträchtliches Verdienst insbesondere der Naturwissenschaften, auf die Unverfügbarkeit, die Begrenztheit und auch die in Teilen unwiderrufliche Zerstörung von dem hingewiesen zu haben, was wir – allen Steuerungsfantasien zum Trotz – heute noch »Natur» nennen können und wollen. Doch all ihre Befunde sind bloß Indikatoren, stehen also nicht für sich selbst, sondern deuten auf etwas hin. Und das, was sie anzeigen, ist bei genauerer Betrachtung keine Krise des Klimas. In einer Krise befinden sich nämlich nicht die klimatischen Begebenheiten, sondern die zu kalter Technik erstarrten Naturverhältnisse von immer mehr Menschen: Vermüllung und Übernutzung im einen, Überformung und Beherrschung im anderen Moment – und mittendrin die Zurichtung jener Natur, die wir Menschen selbst sind. Nein, es handelt sich nicht um eine Klima-, sondern um eine Gesellschaftskrise. Und die hat verheerende Folgen für das Klima und die Natur – für die gesamte Welt, wie wir sie heute kennen. Das Aussterben und Abtöten von Tierarten sowie Pflanzensorten, der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur sowie all die Neben- und Folgesfolgen, die damit einhergehen, sind nicht einfach auf einen schicksalhaften Lauf der Dinge zurückzuführen. Sie haben Ursachen, bisweilen Gründe, selten Rechtfertigungen. Und die offenbaren sich darin, wie die Gesellschaften des globalen Nordens wirtschaften.

      Es liegt demzufolge nahe, die Wirtschaftswissenschaften um eine kompetente Einschätzung der Sachlage sowie mögliche Auswege zu bitten. Doch fallen die anerkannten Wissenschaften des Wirtschaftens derzeit eher durch Schweigen oder Ratlosigkeit auf. Das ist kein Zufall, eben weil die klimatologischen Befunde jene Wirtschaftsformen für gescheitert erklären, die auf Naturbeherrschung angewiesen sind, die Wirtschaftswissenschaften aber auf breiter Front für sie Partei ergreifen. Doch die Klimakrise, die eine Gesellschaftskrise ist, führt glasklar vor Augen: Es irrt, wer glaubt, die beste aller Welten käme »naturwüchsig« zustande durch Gewinnstreben, unablässige Privatisierung und das lehrbuchhafte Schaffen von Märkten, durch Effizienz, Wachstum und neue (smarte, grüne etc.) Technologien der Naturbeherrschung.

      Es ist historisch ausführlich belegt, dass die Wirtschaftswissenschaften an der hier verhandelten Krise bis in die Gegenwart hinein, absichtsvoll oder aus Gedankenlosigkeit, tatkräftig beteiligt waren, nachzulesen etwa bei Ivan Boldyrev und Ekaterina Svetlova. Allerdings und unbezweifelbar hat ihre auf Effizienz, Opportunismus und Nutzenkalkülen beruhende Vernunft in den vergangenen fast 300 Jahren auch materiellen Wohlstand und Wohlbefinden für zumindest einen Teil der Menschen hervorgebracht. Wir leben in Zeiten, die an Gütern und Dienstleistungen voller kaum sein könnten. Dieser Denkstil jedoch, der die Welt zum »business case« erklärt, hat en passant viel Tatendrang und Ideenreichtum in Bezug auf andere Zukünfte trockengelegt, die ein gelingendes, ein besseres Leben ermöglichen könnten. Und er kapert und durchsetzt beständig neue Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wenn Bildung, Gesundheit oder Mietraum zum »Risikokapital« werden, Kunst als Ware einen Zweck bekommt, der auf dem »Kunstmarkt« gehandelt wird, wenn Professuren für »Feministische Theorie« als »Diversitymanagement« nachbesetzt werden oder ehemals »Politische Ökologie« nun als »Nachhaltigkeitsmanagement« verhandelt wird, dann ist das weder eine Spezialisierung »auf Höhe der Zeit« noch eine rein sprachliche Profilbildung, die wir feiern sollten. Es ist ein Denkmuster, das sich nur noch im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsverhältnissen bewegt, die selbst nicht als strittig betrachtet werden (können). In der praktischen Folge wird mitunter ein CO2-Preis festgesetzt und nur noch über die Höhe dieses Preises gestritten, nicht aber über das Mittel der Bepreisung, das als alleinseligmachend immer schon vorausgesetzt wird. Wir müssen diesen Denkstil vermutlich nicht verteufeln oder fallenlassen, wohl aber lernen, ihn in die Schranken zu weisen, wie ich schon in Vom Nutzen und Nachteil der Ökonomik für das Leben deutlich ausgeführt habe. Economists4future reflektieren daher ihre praktische Wirkungsmacht: #reflexivität. Sie binden diese zurück und ziehen theoretische Konsequenzen aus ihr. Ihr Denken wirkt weder manipulativ noch gleichgültig oder übergriffig, sondern bricht sich Bahn als Demut, die mit Hoffnung, Verantwortung und Trotz in eins fällt.

       WIRTSCHAFT IST KEINE TATSACHE

      Im alltäglichen wie im akademischen Wortgebrauch ist es normal geworden, von »Wirtschaft« zu reden, als gäbe es nur eine vernünftige – und daneben zahllose unvernünftige Varianten. Diese Setzung erklärt sich über die Annahme, dass einzelwirtschaftliche Optimierung als Gewinnstreben auch gesellschaftlich das größte Glück bringt. Dieser Glaube, dass Eigennutz zum Gemeinnutz würde, ist längst als Irrtum aufgeklärt. Sein praktisches Scheitern zeigt sich nicht zuletzt an der Klimakrise, die, wie gesagt, eine Gesellschaftskrise ist, und an all den anderen Verfehlungen, Verwerfungen sowie Zerstörungen, die unsere Zeit prägen und die zunehmend unsere demokratischen Institutionen zu unterwandern drohen. Auch gesellschafts- und demokratietheoretisch schlittert diese Annahme auf glattem Eis. Denn plurale, offene und freiheitliche Gesellschaften können nicht

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