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vergiss nicht: Sie haben mit dem Geschäft eine echte Zukunftsperspektive; es bietet schon ein wenig mehr Stabilität als der kleine Kiosk. Kleine, gut sortierte Tante-Emma-Läden sind wieder voll im Trend. Und ich wette, Gitti hat ihnen gute Konditionen gemacht.«

      »Ich kenne keine Details, aber ich denke schon. Gitti benötigt die Pacht nicht für ihren Lebensunterhalt; außerdem kennt sie die Umsätze und somit Franks finanzielle Möglichkeiten. Ganz sicher hat sie null Interesse daran, ihn ausbluten zu lassen. Ihr war besonders wichtig, dass der Laden nicht dichtgemacht werden muss, wenn sie in Rente geht – deshalb hatte sie sich ja bisher nicht dazu entschließen können. Jetzt hat sie endlich Zeit, ihre frisch erblühte Liebe mit Herrn Wüllenhorst – Alfie – zu genießen.«

      Diana griff nach ihrem zweiten Brötchen und schnitt es auf. »Gutes Stichwort, Schätzchen. Wir werden gleich nach dem Frühstück mal nachsehen, was sich in der Zwischenzeit bei Miss Lynx getan hat.«

      Verdutzt ließ ich die Tasse sinken, aus der ich gerade hatte trinken wollen. »Jetzt schon? Bist du sicher?«

      »Na klar. Wir haben Wochenende. Was glaubst du wohl, wie viele einsame Herren gerade im Liebesgarten unterwegs sind und nach interessanten Damen Ausschau halten? Hunderte. Ach, was sag ich: Tausende!«

      »Du machst Witze.«

      Diana schüttelte den Kopf. »Niemals war mir etwas ernster.« Sie kicherte. »Na ja, zugegeben, das war vielleicht etwas übertrieben formuliert. Aber es wird bereits etliche Anfragen geben, darauf wette ich jede Summe.«

      »Ich kapiere noch immer nicht, wieso du darüber derart gut Bescheid weißt, meine Liebe. Ist es das, womit du dich beschäftigst, wenn Okko mal keine Zeit für dich hat?«

      »Oh nein, dann hält Heini mich auf Trab. Außerdem finde ich deine Frage reichlich frech. Ich weiß deshalb so gut Bescheid, weil ich die ganze Ochsentour vor ein paar Monaten mit einer alten Freundin von Okko durchexerziert habe. Sie war seit drei Jahren Single, weil ihr Mann sie verlassen hatte. Und sie war todunglücklich. Sie hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, ihr dabei zu helfen, ein Profil bei einer ähnlichen Plattform anzulegen und sie beim Bewerten der Anfragen zu unterstützen.«

      Ich verstand nur Bahnhof. Und realisierte, dass ich wirklich überhaupt keine Ahnung hatte, wie das mit diesen Single-Plattformen funktionierte. Das schien ja eine richtige Wissenschaft zu sein … »Wie darf ich das denn verstehen? Was gibt es denn daran zu bewerten?«

      Diana stierte mich entgeistert an. »Herrje – bist du wirklich so naiv, oder tust du nur so? Was glaubst du eigentlich, wie viel Elend du zu sehen und zu lesen bekommen wirst?«

      »Und? Hatte Okkos Freundin Erfolg?«

      Diana nickte. »Letztendlich schon. Aber mit etlichen Höhen und Tiefen. Dreimal glaubte sie, den perfekten Mann gefunden zu haben, aber …« Sie zuckte mit den Schultern.

      »Was ist passiert?«

      »Alle drei haben sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr gemeldet – nachdem es einen täglichen Austausch gegeben hatte, bei dem sie mit Komplimenten überhäuft worden war. Zack – stumm. Einfach so, ohne Erklärung. Manche Männer sind so.«

      Wie ätzend war das denn bitte? »Klingt nicht sehr ermutigend. Wie kann ich mich davor schützen?«

      »Kannst du leider nicht. Zumal dann nicht, wenn du so einen Typen richtig klasse findest. Und gerade deshalb ist eine zweite, objektive Meinung – wie meine – Gold wert.«

      »Na toll. Du fährst morgen zurück an die Küste, und das war’s dann mit einer zweiten Meinung.«

      »Das denkst auch nur du. Schließlich kenne ich dein Passwort. Ich werde immer auf dem Laufenden sein, Schätzchen.«

      Das konnte ja heiter werden.

      Nach dem Frühstück räumten wir den Tisch ab. Diana kochte frischen Espresso, während ich schon mal den Laptop nach draußen brachte, aufklappte und hochfuhr. Das Pavillondach spendete genug Schatten, dass ich trotz der Sonne alles auf dem Monitor erkennen konnte.

      Mit zwei Bechern Kaffee kam Diana auf die Terrasse und setzte sich neben mich. »Showtime«, sagte sie grinsend. »Los, Miss Lynx, einloggen.«

      Sekunden später waren wir auf meinem Profil, und eine Zahl in einem roten Kreis neben dem Menüpunkt ›Kontaktanfragen‹ informierte mich darüber, dass 32 Männer sich für mich interessierten. Ich war baff.

      Diana wollte sich über meine offenbar nicht allzu gut verborgene Verblüffung schier kaputtlachen.

      »Hab ich dir doch gesagt!«, quiekte sie vergnügt. »Du bist neu auf der Plattform, und schon stürzen sich alle auf dich wie Wespen auf Apfelkuchen. Gratuliere, du hast die freie Wahl, Schätzchen. Aber ich wage mal die verwegene Prophezeiung, dass höchstens drei von ihnen nicht durch dein Raster fallen werden.«

      »Wieso?«

      Dianas Grinsen war geradezu diabolisch. »Warte es ab. Ich sagte ja schon: Du wirst eine Menge Elend zu sehen bekommen. Und zu lesen.«

      Ich klickte die Liste mit den Anschreiben der hoffnungsvollen Bewerber an. Schon als ich die ersten las, wusste ich, was sie meinte. Denn: Wie sollte ich zum Beispiel auf eine Nachricht reagieren, die lediglich aus dem Wort hallo bestand? Oder aus der kryptischen Mitteilung Kaffe trinken – wobei mich nicht nur die mangelhafte Rechtschreibung irritierte, sondern auch die Unvollständigkeit des Satzes und das Fehlen von Satzzeichen. Handelte es sich hier um eine Frage, eine Bitte oder gar um einen Befehl?

      Natürlich bemerkte Diana meine Irritation. »Du solltest dir die Profile der Herren angucken«, sagte sie.

      »Auch die von denen, die nicht mehr als zwei oder drei Silben zustande kriegen?«

      »Also, speziell denen unterstelle ich ja, dass sie täglich Dutzende ihrer dämlichen Hallos verschicken – irgendeine wird schon anbeißen. Aber auch die solltest du dir näher ansehen, schon allein, um einen möglichst breit aufgestellten Überblick zu bekommen.«

      Also klickte ich das nächstbeste Profil an, das mit einer derartigen Nachricht verlinkt war: Wolfgang, Mitte vierzig, Beruf: Lebenskünstler.

      »Ah – direkt ein Volltreffer.« Diana nickte zufrieden. »Mit ein wenig Übung kannst du eine Menge aus dem herauslesen, was im Profil steht. Lebenskünstler sind meist arbeitslose Loser, die eine Frau suchen, die sie durchfüttert.«

      »Ist das nicht ein bisschen sehr verallgemeinernd?«, fragte ich zweifelnd.

      »Mag sein, dass ich dem einen oder anderen Unrecht tue. Aber ich bitte dich: Was verstehst du denn unter einem Lebenskünstler? Sehen wir uns doch mal an, was der gute Wolfgang sonst noch über sich preisgibt.« Sie studierte die Angaben im Profil. »Hm … soso. Keine Auskünfte zur Körpergröße, also ist er ein Zwerg. Ein paar Pfund zu viel auf den Rippen? Also ist er ein kugelrunder Zwerg. Auf die Frage, was er gerne liest, hat er geantwortet: deine SMS. Jesses. In seiner Wohnung dürfte kein Bücherregal zu finden sein. Und wie verbringt er seine Freizeit? Am Computer, aha. Wie dein Tom damals. Erinnerst du dich?«

      Blöde Frage. Natürlich erinnerte ich mich. Bis Tom es mir demonstriert hatte, war mir nicht klar gewesen, wie viel Zeit man mit Online-Rollenspielen wie World of Dingsbums verbringen konnte – der sichere Todesstoß für jede Partnerschaft.

      »Kapiert?«, fragte Diana. »Der kugelrunde, garantiert vollbärtige Zwerg hockt Tag und Nacht vor seinem Rechner und spielt den Helden, weil er im wahren Leben nichts auf die Reihe kriegt. Ich wette, seine Spielfigur ist ein muskulöser Riese, der aussieht wie der junge Dolph Lundgren. Und er ist damit derart ausgelastet, dass er hier nichts weiter hinkriegt als ein dürres Hallo. Erbärmlich.«

      »Wenn du mir Hoffnung darauf machen wolltest, auf dieser Plattform einen netten Mann zu finden – das ist gründlich fehlgeschlagen.«

      »Du willst doch nicht sofort wieder die Flinte ins Korn werfen? Nach einer Niete? Was ich dir demonstrieren wollte, ist Folgendes: Du brauchst einen ganz klaren Katalog an Kriterien, und den benutzt

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