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der feudalen Villa in der Nußwaldgasse in Wien-Döbling läutet das Telefon, damals noch ein Luxusgegenstand, der nur wenigen Haushalten zur Verfügung stand. Die nun folgenden beiden Gespräche werden zum Schicksal zweier Menschen, die im kulturellen Wien der Jahrhundertwende eine bedeutende Rolle spielen.

      »Gustav Mahler. Guten Tag. Ich bringe Ihnen Grüße aus Paris.«

      »Vielen Dank, Herr Direktor, dass Sie sich diese Mühe nehmen«, erwidert Berta Zuckerkandl.

      »Zu danken habe ich Ihren Verwandten in Paris. Dort fand ich Verständnis, wirkliche Musikliebe … Nur das hat mich bewogen, Sie anzurufen. Ist sonst nicht meine Art.«

      »Ich traue mich kaum, Sie zu fragen, Herr Direktor, ob es Ihnen passt, einen Abend bei uns zu verbringen?«

      »Vielleicht entschließe ich mich dazu. Aber es ist ein Opfer. Und nur unter der Bedingung: Keine Gesellschaft, sonst laufe ich davon.«

      »Das weiß ich, Sie brauchen nichts dergleichen zu befürchten.«

      »Donnerstag bin ich frei. Ich esse nur Grahambrot und Meraner Äpfel. Empfehle mich.«

      Gustav Mahler * 7. 7. 1860 Kalischt/Böhmen, † 18. 5. 1911 Wien. Komponist und Dirigent. 1897 bis 1907 Direktor der Wiener Hofoper.

      Tatsächlich, Gustav Mahler hat Berta Zuckerkandl noch in der Sammlung prominenter Gäste in ihrem Salon gefehlt, in dem die künstlerische und wissenschaftliche Elite der Donaumonarchie ein- und ausgeht. Zu ihnen gehören die bedeutendsten Kapazitäten auf ihrem Gebiet, darunter Johann Strauß, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Otto Wagner, Josef Hoffmann, Julius Wagner-Jauregg, Alexander Girardi und Max Reinhardt. Nun also ist Gustav Mahler dran. Und wie’s der Zufall will, klingelt am nächsten Tag im Hause Zuckerkandl schon wieder das Telefon, diesmal wird Bertas Mann, der angesehene Arzt Emil Zuckerkandl, an den Apparat gerufen. Am anderen Ende der Leitung ist Almas Mutter, Anna Moll: »Emil, ich möchte dich konsultieren.«

      »Mich? Ich kuriere nur Leichen.«

      »Ja, ich weiß. Aber ich bilde mir ein, dass ein berühmter Anatom wie du vieles besser weiß als so ein Auswendigkurierer.«

      »Also, was gibt es?«

      »Es ist wegen Alma. Das Mädel magert ab, ist ganz blass und – kannst du dir das vorstellen – ist ganz still geworden. Was mir am meisten auffällt, sie kokettiert nicht mehr.«

      »Das ist bedenklich. Was sagt euer Arzt?«

      »Blödsinn. Dass sie bleichsüchtig ist. Es gibt nur eine Erklärung. Alma sitzt beinahe jeden Abend in der Oper. Sie kommt dann ganz verweint nach Hause, setzt sich ans Klavier und spielt stundenlang.«

      »Soll ich eine Diagnose stellen? Es ist möglich, dass die Suggestionskraft dieses Musikers an der sogenannten Bleichsucht schuld ist. Sollte das der Fall sein, vielleicht kann ich Alma kurieren.«

      »Dann bist du ein Hexenmeister.«

      Von »Keine Gesellschaft«, wie Gustav Mahler es gefordert hat, kann somit keine Rede sein. Nicht genug mit Alma Schindler, angelt sich Berta Zuckerkandl für diesen 7. November 1901 auch noch den Dichter Hermann Bahr, den früheren Burgtheaterdirektor Max Burckhard und den großen Maler Gustav Klimt als Gäste. Die Zusammensetzung der Gesellschaft entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Mit Klimt hat die 22-jährige Alma bereits eine Romanze hinter sich, Burckhard ist ihr gegenwärtiger Verehrer und Gustav Mahler ihr künftiger Ehemann. Bald wird sich zeigen, dass dieser Abend Berta Zuckerkandl die Möglichkeit eröffnet, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzukommen: der Kuppelei.

      Der 41-jährige Mahler verbringt trotz Zuwiderhandelns gegen seine Bedingung, der einzige Gast zu sein, den ganzen Abend im Hause Zuckerkandl. Genaue Auskunft über das Treffen im Salon gibt ein Brief, den Berta drei Wochen später an ihre Schwester Sophie nach Paris schickt, die mit Paul Clemenceau, dem Bruder des künftigen französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, verheiratet ist. »Vor allem«, schreibt Frau Zuckerkandl, »muss ich Dir von Gustav Mahler erzählen. Denk Dir, er selbst hat mich eines Tages angerufen, um mir eure Grüße zu bestellen. Er hat sogar zugesagt, einen Abend bei uns zu verbringen. Es war keine leichte Frage, wen man zu diesem scheuen, verschlossenen, hypersensiblen Menschen einladen sollte. Längst war der Ruf von ungemütlichen Vorfällen zu mir gedrungen.«

      Berta Zuckerkandl erwähnt, dass neben Hermann Bahr, Burckhard und Klimt »nur ein junges Mädchen kam, das einzuladen Emil sich in den Kopf gesetzt hatte. Alma Schindler, die Tochter des großen Malers Emil Schindler. Er ist vor Jahren gestorben, jetzt ist sie die Stieftochter des Malers Carl Moll, des frevelhaft geschickten Impresarios der Sezession.«

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       Brachte Alma und Gustav Mahler zusammen: Wiens große Salondame Berta Zuckerkandl

      Und so schildert Berta Zuckerkandl den Verlauf des Abends: »Natürlich war das Menü auf Mahler eingestellt, er verträgt nur leichte Kost. Punkt acht Uhr kam er. Viel gemütlicher als wir dachten.« Der Hofoperndirektor erzählt von einem Erzherzog, der verlangte, eine absolut unbegabte, aber ausnehmend hübsche, von ihm protegierte Sängerin an die Oper zu engagieren, was von Mahler abgelehnt wurde. Burckhard gibt an, ähnliche Protektionsversuche auch am Burgtheater abgewendet zu haben, was seinem Vorgänger noch nicht gelungen war. Die Möglichkeiten des Erzhauses, auf künstlerische Belange Einfluss zu nehmen, seien also geringer geworden.

      Alma hat schweigend zugehört. Nun fragt sie temperamentvoll: »Warum hat sich das Publikum das gefallen lassen?«

      Mahler hat sie bisher nicht beachtet. Jetzt sieht er sie aufmerksam an. »Eine solche Frage kann nur die Jugend stellen, die weiß noch nichts von Feigheit und Kompromissen.«

      Dann wird das Dessert serviert und Mahler wendet sein Interesse den Äpfeln zu. Zum schwarzen Kaffee löst sich die Tischgemeinschaft auf. Plötzlich hört Berta Zuckerkandl laute Stimmen aus dem Nebenzimmer, denen sie nachgeht. Zornig steht Alma da. Auch Mahler ist wütend und hüpft hin und her.

      »Sie haben nicht das Recht, ein Werk, das Ihnen eingereicht wird – noch dazu von einem echten Musiker wie Zemlinsky – einfach ein Jahr lang liegen zu lassen«, wird Mahler von Alma attackiert. »Sie können ›Nein‹ sagen, aber antworten hätten Sie müssen!«

      »Das Ballett ist miserabel«, knurrt der Hofoperndirektor. »Ich verstehe nicht … Sie studieren doch Musik – wie können Sie für so einen Schmarren eintreten?«

      »Erstens ist es kein Schmarren. Wahrscheinlich haben Sie sich nicht die Zeit genommen, das Werk durchzusehen, und zweitens kann man auch höflich sein, wenn es sich um schlechte Musik handelt.«

      Gustav Mahler hat natürlich keine Ahnung, dass Alma auch mit Alexander Zemlinsky, ihrem Kompositionslehrer, durch ein stürmisches Verhältnis verbunden ist.

      Der Direktor nagt an seinen Lippen. Plötzlich streckt er seine Hand aus: »Machen wir Frieden. Ich verspreche Ihnen natürlich nicht, das Ballett anzunehmen. Weil Sie aber so tapfer für Ihren Lehrer einstehen, verspreche ich Ihnen, Zemlinsky morgen zu mir zu bitten.«

      Alma Mahler geb. Schindler * 31. 8. 1879 Wien, † 11. 12. 1964 New York. Geliebte, Ehefrau und Muse bedeutender Künstler. Sie heiratet 1902 Gustav Mahler, zweite Ehe mit Walter Gropius, dritte Ehe mit Franz Werfel.

      Alma ist über ihren Temperamentsausbruch sichtlich erschrocken. Wie hat sie ihn ihrem Idol gegenüber nur wagen können? Sie flüchtet zu Klimt und Burckhard. »Klimt hat für sie geschwärmt, als sie sechzehn Jahre alt gewesen ist. Burckhard ist eben jetzt in sie verliebt. Sie aber nimmt das recht gleichgültig hin«, schreibt Berta Zuckerkandl.

      »Es ist das erste Mal«, drängt Mahler zum Aufbruch, »dass ich mich in einer Gesellschaft wohlfühle. Ich muss aber fort, denn ich habe morgen Kostümprobe. Übermorgen ist die Generalprobe von Hoffmanns Erzählungen

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