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Alles nur Zufall?. Georg Markus
Читать онлайн.Название Alles nur Zufall?
Год выпуска 0
isbn 9783902862983
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Eines der raren Fotos, die das Ehepaar gemeinsam zeigen: Alma und Gustav Mahler bei einem Spaziergang
Fort ist er. Mit hastigen Schritten verschwindet er wie ein Irrlicht. Die anderen Gäste bleiben noch.
»Alma, du kannst dich nicht beklagen«, sagt Frau Zuckerkandl im Scherz, »ich habe dir die Vergangenheit eingeladen«, und sie zeigt auf Klimt, »die Gegenwart« und sie zeigt auf Burckhard, »und vielleicht die Zukunft«.
Berta weiter in dem Brief an ihre Schwester: »Drei Wochen sind seither vergangen. Gestern hat sich Alma mit Mahler verlobt. Gleich nach dem Abend bei mir hatte er Frau Moll, Almas Mutter, besucht, war von der Atmosphäre dieses Hauses entzückt – taute auf, vergaß seine asketische Weltanschauung, wurde jung und töricht verliebt.«
Zufall? Schicksal? Bestimmung? Alma Schindler und Gustav Mahler heiraten am 9. März 1902 in der Wiener Karlskirche, 1904 wird Tochter Anna geboren. Die Ehe hält – mit Höhen und Tiefen – bis zu Mahlers Tod im Mai 1911.
Nicht mehr und nicht weniger ereignete sich an jenem Abend im Salon der Schriftstellerin und Journalistin Berta Zuckerkandl, die schon in ihrer Kindheit der großen, weiten Welt begegnet war. Ihr Vater Moriz Szeps war Chefredakteur und Herausgeber des liberalen Neuen Wiener Tagblatts und ein enger Freund des österreichisch-ungarischen Thronfolgers, Kronprinz Rudolf, der in seiner Zeitung anonym Texte veröffentlichte, die zum Teil gegen die Politik der k. u. k. Monarchie gerichtet waren.
Berta Zuckerkandls Salon befand sich bis 1916 in der Döblinger Nußwaldgasse. Als das Ehepaar an die Ringstraße übersiedelte, war der Prominententreff im Haus des Café Landtmann etabliert.
* Der Wortlaut der beiden Telefongespräche findet sich in Berta Zuckerkandls Erinnerungen Österreich intim.
EIN FIAKER MACHT KARRIERE
Josef Bratfischs Diskretion, 14. November 1887
Josef Bratfisch * 26. 8. 1847 Wien, † 16. 12. 1892 Wien. Kutscher und Wienerliedsänger, ab 1887 Leibfiaker des Kronprinzen Rudolf.
Einen solchen Fall gibt’s nur einmal. Dass der Name eines Kutschers weit mehr als hundert Jahre nach seinem Ableben immer noch bekannt, ja geradezu populär ist. Bei Josef Bratfisch spielt wohl mit, dass er »nebenberuflich« Heurigensänger und Kunstpfeifer war, vor allem aber, dass er sich als Freund des Kronprinzen Rudolf bezeichnen und diesen gemeinsam mit Mary Vetsera auf ihrer letzten Fahrt nach Mayerling bringen durfte.
In Wien wusste man von der Begeisterung des Kronprinzen für das Volkslied, oft konnte man den Sohn des Kaisers, teils erkannt, teils anonym, in Gasthäusern und Buschenschenken beobachten, in denen er stundenlang und geradezu andächtig den »schmalzigen« Melodien der Musikanten lauschte, sei es in Gesellschaft seiner meist politisch liberalen Freunde oder mit einer seiner zahlreichen Geliebten.
Der 14. November 1887 sollte zu einem besonderen Abend werden. Rudolf hatte sogar einen eigenen Berater für das Volkslied, und das war kein Geringerer als der Komponist Carl Michael Ziehrer, der eines Tages den Auftrag erhielt, für den Sohn des Kaisers und seine Jagdgesellschaft auf Schloss Orth an der Donau einen wienerischen Abend mit den besten Volks- und Heurigensängern zu organisieren. Ziehrer schrieb Anfang November an Johann Schrammel: »Bei Seiner Kaiserlichen Hoheit, dem Kronprinzen, dürfte zwischen 14. und 17. November ein echt wienerischer Abend veranstaltet werden. Komme, Sie zu fragen, ob Sie an diesen Tagen Zeit (abends) hätten, zu spielen, selbstverständlich auch mehrere Ihrer Sänger. Bitte morgen mich bestimmt zwischen 1 und 2 Uhr mit Ihrem Besuch zu beehren, da ich abends noch Bericht erstatten muss. C. M. Ziehrer, III. Bezirk, Gärtnergasse 17.«
Johann Schrammel, einer der populärsten Musiker Wiens, erkannte die Bedeutung des Auftrags und trommelte neben seinem Bruder Josef und den Partnern seines Quartetts, Anton Strohmayer und Georg Dänzer, noch weitere Volkskünstler zusammen, darunter den Kunstpfeifer »Baron Jean«, die Jodlerin »Kiesel-Marie«, den »Friseur Brady«, den Grinzinger Gastwirt und Dudler Josef Brandmeyer sowie – als musikalische Krönung – den singenden Fiaker Josef Bratfisch.
Schon am Tag der Ankunft wird auf Schloss Orth »aufg’spielt«, wobei laut einem Bericht im Illustrierten Extrablatt neben dem Kronprinzenpaar auch (der spätere Thronfolger) Erzherzog Franz Ferdinand sowie die Prinzen Leopold in Bayern und Philipp von Coburg zur erlesenen Zuhörerschar – »Herren im Frack, Damen in Promenadetoilette« – zählen. Die ausgelassene Soiree dauert von sechs Uhr abends bis drei Uhr früh, »und es ernteten die Musiker wie die Sänger den lebhaftesten Beifall der höchsten Herrschaften«.
Am nächsten Abend erteilt der Kronprinz laut Extrablatt »immer wieder das Zeichen zum Applaus, ist bester Laune und bestellte bei Bratfisch das Lied Das waß nur a Weana, a weanerisches Blut. Der Fiaker kannte wohl die Melodie, nicht jedoch den Text und so nahm der Kronprinz Papier, schrieb die Strophen des Liedes aus dem Gedächtnis auf und überreichte das Blatt dem Fiaker.«
Was nun folgt, verschweigt das Extrablatt: Bratfisch, nur der damals üblichen Kurrentschrift mächtig, kann Rudolfs Lateinbuchstaben nicht entziffern und hält dem Kronprinzen unter Außerachtlassung der im Umgang mit Mitgliedern des Kaiserhauses üblichen strengen Verhaltensregeln entgegen: »So a Schrift kann doch kein anständiger Mensch lesen!« Rudolf lacht herzhaft über diesen Temperamentsausbruch, fällt dem vierzig Jahre alten Kutscher um den Hals und trägt ihm das vertrauliche »Du« an. Dann singt er mit ihm im Duett das Wienerlied Das is in Weana sein Schan und ernennt ihn auf der Stelle zu seinem Leibfiaker.
Obwohl der Kronprinz sein Wort in einer Weinlaune gegeben hat, bekennt er sich allen Bedenken seiner Umgebung zum Trotz weiterhin zum Du-Wort, pflegt mit dem als trinkfest bekannten Bratfisch eine freundschaftliche Beziehung und macht ihn zum Vertrauten seiner geheimen Leidenschaften, weil er bald weiß, dass er sich auf Bratfischs Verschwiegenheit verlassen kann. Wie sehr er ihm vertraute, zeigen zwei Besuche Rudolfs in der Privatwohnung der Familie Bratfisch, »in Begleitung von Frl. Mizzy Kaspar«, wie uns Bratfischs Tochter Antonia Konhäuser in einer Denkschrift hinterließ. Maria Caspar, eine in Graz geborene Edelprostituierte, war Rudolfs langjährige Geliebte, der er wenige Monate später als erster Frau das Angebot unterbreitete, mit ihm in den Tod zu gehen – was diese brüsk ablehnte. Dem Kronprinzen wurde, als er im Herbst 1888 mit Mizzi in Bratfischs Parterrewohnung in der Wiener Laudongasse Nr. 52 einkehrte, eine Jause serviert, »bestehend aus garniertem Liptauer, den meine Mutter seiner Meinung nach ausgezeichnet anzurichten verstand und den er bei Hofe nie derart bekam. Dazu wurde Bier und Wein getrunken.«
Garnierten Liptauer für Kronprinz Rudolf und seine Geliebte: der musizierende Leibfiaker Bratfisch
In den knapp eineinhalb Jahren, in denen Bratfisch für Kronprinz Rudolf fährt, bleibt er wie bisher in Anstellung des Fiakerunternehmers Leopold Wollner, dessen Stallungen in der Breitenfelder Gasse Nr. 13 in Wien-Josefstadt liegen. Doch Rudolf bezahlt den singenden Fiaker für seine treuen Dienste weit über seinen eher kargen Lohn hinaus fürstlich, und er schenkt ihm sogar das Haus Lacknergasse 8 in Wien-Hernals, in das dieser dann auch mit Frau und Tochter einzieht. Josef Bratfisch ist mit seiner Fiaker-Lizenznummer 104 für den Kronprinzen abgestellt, er erledigt Einkäufe, bringt ihn zu diskreten Terminen, führt Rudolfs Liebschaften in die Hofburg oder wartet mitunter nächtelang vor deren Wohnhäusern. Ebenso ist der singende und pfeifende Fiaker bei allen ausgelassenen Festen des Kronprinzen mit seinem musikalischen Repertoire dabei. Rudolf behält zwar weiterhin seinen »offiziellen« Hofkutscher Anton Prechtler – doch für geheime Fuhren und Erledigungen ist ausschließlich Bratfisch zuständig.
Ab dem 5. November 1888, als Rudolf und