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Alles nur Zufall?. Georg Markus
Читать онлайн.Название Alles nur Zufall?
Год выпуска 0
isbn 9783902862983
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Am 28. Jänner 1889 führt er die Baronesse mit seinem Gespann jedoch laut Anweisung des Kronprinzen zum Gasthaus Rother Stadl nahe von Kalksburg. Anfang Februar wird Bratfisch beim Wiener Polizeipräsidenten Franz Freiherr von Krauss zu Protokoll geben, dass sich Rudolf dorthin von seinem Hofkutscher Prechtler führen ließ und gegen 13 Uhr ankam. Weiters sagte Bratfisch aus: »Der Kronprinz war sehr aufgeräumt und heiter und entschuldigte sich bei mir, dass wir so lange warten mussten. Er gab nun den Befehl, nach Mayerling zu fahren. Er sagte aber, ich solle mir Zeit lassen, damit wir erst in der Dämmerung dorthin kommen. Die Straßen waren so schlecht und vereist, dass es ohnehin nicht schneller ging.« Im Kassabuch des Fuhrwerkunternehmers Wollner ist vermerkt: »Bratfisch fährt nach Mayerling, 30 Kronen.«
Als zwei Tage später in Rudolfs Jagdschloss die beiden tödlichen Schüsse fallen, ist Bratfisch bereits in Wien. Er hat also nicht, wie oft fälschlich berichtet wird, »zum Abschied« noch für Rudolf und Mary Wienerlieder gesungen.
Nach dem Doppelselbstmord Rudolfs und Marys werden dem Leibfiaker von ausländischen Zeitungen enorme Geldbeträge geboten, um »das Geheimnis von Mayerling lüften« zu können. Doch der Fiaker bleibt über den Tod seines Herrn hinaus loyal und verschwiegen. Er wird auch vom Kaiser – wohl um seine Diskretion fortzusetzen – in großzügiger Weise ausbezahlt und baut sich mit der Abfindung einen eigenen Fiakerbetrieb auf.
Zeitzeugen gaben an, dass es nach dem Tod seines Herrn »um Bratfisch geschehen« war. Der einst so frohe und lebenslustige Mann wurde wortkarg wie ein Kartäusermönch, nie mehr hörte man ihn singen, nie mehr sah man ein fröhliches Lachen um seinen Mund. Bratfisch konnte seine Selbstständigkeit als Unternehmer nicht lange genießen, er starb knapp drei Jahre nach Mayerling im Alter von 45 Jahren an Kehlkopfkrebs. Der Kutscher fand in einem ehrenhalber gewidmeten Grab der Stadt Wien auf dem Hernalser Friedhof seine letzte Ruhe und wurde in dem 1956 gedrehten Film Kronprinz Rudolfs letzte Liebe von Attila Hörbiger dargestellt.
»SCHREIBEN S’ MIR EINE TYPE«
Hans Moser wird entdeckt, 31. Dezember 1922
Hans Moser, eigentlich Hans Julier * 6. 8. 1880 Wien, † 19. 6. 1964 Wien. Volksschauspieler. 1925 von Max Reinhardt an das Theater in der Josefstadt und nach Berlin geholt. 200 Filme u. a. Burgtheater (1936), Hallo Dienstmann! (1952).
42 Jahre musste dieser Schauspieler alt werden, ehe man von ihm Notiz nahm. Mehr als zwei Jahrzehnte war er auf böhmischen Schmierenbühnen aufgetreten, als jugendlicher Liebhaber mit Chor- und Statisterieverpflichtung, musste Kulissen schieben und Theaterzettel austragen. Meist in schmutzigen Gasthaussälen, in denen es als »Gage« ein nicht einmal besonders schmackhaftes Abendessen gab. Kein Direktor oder Regisseur ließ ihn sein, wofür er geboren war: ein Komödiant von Gottes Gnaden.
Er selbst wusste, was er konnte. Sein Traum war es, sein komisches Talent in Solonummern zeigen zu können, so wie sie den berühmten Kollegen der damals populären Wiener Varieté- und Kabarettbühnen auf den Leib geschrieben wurden. Aber niemand würde einem unbekannten Schmierendarsteller aus der Provinz eine solche Nummer schreiben.
1922 hat er endlich wieder einmal ein Engagement in Wien. Es ist nichts von Bedeutung, Hans Moser spielt im Varieté Reklame auf der Praterstraße in dem Einakter Nachtasyl eine kleine Rolle.
Doch er weiß, dass dieses Engagement seine vielleicht letzte Gelegenheit sein könnte. Und er nützt sie. Im Ensemble des Varietés befindet sich eine junge Soubrette namens Friedl Weiss, die jeden Abend nach der Vorstellung vom berühmten Librettisten Fritz Löhner-Beda – der viele Sketches, aber auch Texte für die Operetten von Franz Lehár schrieb – abgeholt wird. Wie Moser herausfindet, ist die Schauspielerin mit dem angesehenen Schriftsteller verlobt.
Hans Moser wittert seine Chance, wie mir Friedl Weiss fast sechzig Jahre später anvertraute. »Eines Tages klopfte Herr Moser an meine Garderobentür, trat ein und sagte: ›Frau Weiss, ich bin ein armer kleiner Schauspieler, Sie sind doch immer in Begleitung des Herrn Dr. Löhner-Beda. Ich hätte eine Bitte an ihn. Vielleicht könnte er mir eine Soloszene schreiben, das wäre sehr wichtig für mich.‹«
Fritz Löhner-Beda, eigentlich Löwy * 24. 6. 1883 Wildenschwert/Böhmen, † 4. 12. 1942 Auschwitz (ermordet). Kabarettautor, Librettist. Mit Franz Lehár Schöpfer u. a. der Operetten Das Land des Lächelns (1929), Giuditta (1934).
Wie nicht anders zu erwarten, explodiert der stets unter Zeitdruck stehende Löhner-Beda, als er durch seine Verlobte vom Wunsch des unbekannten Schauspielers erfährt: »Immer kümmerst du dich um die anderen, ich komm nicht einmal dazu, dir eine neue Nummer zu schreiben, und das wäre viel wichtiger.«
Moser lässt nicht locker und klopft schon am nächsten Abend wieder an der Garderobentür des Fräulein Weiss. »No, was hat er gesagt, der Herr Doktor?«
»Sehr gut schaut’s nicht aus, Herr Moser. Aber passen S’ auf, wenn ich heut aus dem Theater geh, wird er draußen auf mich warten. Da werde ich Sie ihm vorstellen.«
Gesagt, getan. »Herr Doktor Beda – Hans Moser!«
»Ja, meine Verlobte hat mir von Ihnen erzählt«, stöhnt der Vielbeschäftigte. »Ich soll Ihnen was schreiben. Was hätten S’ denn gern?«
»A Type, Herr Doktor, wenn S’ mir eine Type schreiben könnten, das wär sehr gut, wissen S’, so was Wienerisches.«
»Was für eine Type denn?«
»Ich hab’ mir dacht, einen Garderober oder einen Hausmeister oder so was halt.«
»Also gut, ich werd’s versuchen«, erwidert Löhner-Beda – wohl eher um den Schauspieler loszuwerden. »Kommen S’ halt morgen vor der Vorstellung ins Dobner.«
Pünktlich, wie vereinbart, betritt Moser am nächsten Abend das beliebte Künstlercafé am Naschmarkt. Fritz Löhner-Beda sitzt an seinem Stammtisch, hatte die Vereinbarung aber längst vergessen. Er bittet um Entschuldigung, sperrt sich eine Dreiviertelstunde lang in die Herrentoilette ein – und kommt mit einem fertigen Einakter zurück. Der Titel lautet: Ich bin der Hausmeister vom Siebenerhaus.
Löhner-Beda überlässt Moser die Szene eines »Hausdrachens«, der seine »Macht« gegenüber den Wohnungsmietern ausspielt, ohne dabei die Armut und die Erbärmlichkeit seines eigenen Daseins zu erkennen.
Der Direktor des Varieté Reklame ist sofort begeistert, als er davon erfährt. »Was, ein Sketch vom Löhner-Beda? Schon gekauft, das ist doch klar.«
Die Silvestervorstellung steht unmittelbar bevor, für sie ist die Nummer des berühmten Librettisten ideal. Und wirklich, am 31. Dezember 1922, tritt Hans Moser mit dem Hausmeister vom Siebenerhaus in seiner ersten Solonummer auf.
Endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, kann der bisher so gut wie nicht wahrgenommene Schauspieler sein überragendes Talent unter Beweis stellen. Fritz Löhner-Beda sitzt in der Vorstellung und ist hingerissen, als er sieht, was Moser aus seiner Nummer herausholt. Der Librettist lädt für die folgenden Abende Gott und die Welt ins Varieté Reklame, und Moser wird zum Gesprächsthema der Stadt. Man engagiert ihn in andere Unterhaltungsetablissements, in den Simpl, ins Café Lurion, ins Konzertcafé Westminster, ins Chat Noir und ins Rideamus, in denen er mit der einzigartigen Interpretation seiner Solonummer das Publikum begeistert. Begleitet wird er immer von seiner Frau Blanca, mit der er seit 1911 verheiratet ist, die immer an ihn glaubte und ihm auch in den düsteren Stunden der Verzweiflung Mut machte. Eines Abends sitzt die berühmte Komikerin Gisela Werbezirk im Publikum und wünscht sich Moser als Partner für das von Karl Farkas an der Neuen Wiener Bühne inszenierte Lustspiel Frau Lohengrin.
Nach zwei weiteren Nummern, die Löhner-Beda für ihn schreibt – Der Patient und Der Heiratsvermittler – fasst Moser 1923 den Mut, selbst eine Solonummer zu entwickeln. Das Budapester Orpheum auf der Taborstraße hat ihn engagiert, und er will auf der renommierten Kabarettbühne