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die k. k. Monarchie.

      Man schreibt Dienstag, den 21. November 1916, es ist 21.05 Uhr, als Kaiser Franz Joseph I. sein Leben aushaucht. Mit ihm, darin sind sich die Bewohner Österreich-Ungarns einig, ist eine Epoche gestorben, niemand kann sich vorstellen, wie es ohne den seit 68 Jahren regierenden Monarchen weitergehen soll.

      Die Besorgnis in seiner nächsten Umgebung hat in den ersten Novembertagen eingesetzt. Unter den Adjutanten im Schloss Schönbrunn herrscht Niedergeschlagenheit. Gerade noch waren die Politik, das Leben bei Hof und der seit zwei Jahren wütende Krieg die alles beherrschenden Themen. Jetzt fürchten die engsten Mitarbeiter des Kaisers um dessen Gesundheit, die Angst herrscht vor, dass es mit ihm – und damit auch mit der sechshundert Jahre alten Habsburgermonarchie – zu Ende gehen könnte.

      In den letzten Oktobertagen hat der Kaiser trotz seines Alters von 86 Jahren noch frisch und voller Energie gewirkt, doch danach beginnt er rasch zu ermüden und körperlich zu verfallen. Dazu kommt ein hartnäckiger Husten, der den alten Herrn quält und erschöpft. Dennoch verrichtet er tagtäglich seine Arbeit wie seit fast sieben Jahrzehnten schon: Morgens um halb vier Wecken durch den Kammerdiener, nach dem Einseifen durch den Bademeister, der Rasur und dem Ankleiden setzt er sich an den Schreibtisch, um Akten aufzuarbeiten. Um fünf Uhr nimmt der Kaiser das erste Frühstück ein, danach neuerliches Aktenstudium. Um zwölf wird das Mittagessen aufgetragen, bestehend meist aus Suppe, Rindfleisch und Mehlspeise. Nachmittags wieder Akten, um fünf eine leichte Jause, Abendessen gibt’s fast nie. Kurz nach acht Uhr begibt sich der Kaiser zu Bett.

      Franz Josephs Leibarzt Dr. Joseph von Kerzl beunruhigt der Gewichtsverlust des Allerhöchsten Patienten, und er beklagt sich bei dessen Tochter, Erzherzogin Marie Valerie, dass Franz Joseph angesichts seines Alters und seines angegriffenen Gesundheitszustands zu viel arbeite.

      Norbert Ortner * 10. 8. 1865 Linz, † 1. 3. 1935 Salzburg. Primarius an der Wiener Rudolfstiftung, Ordinarius an den Universitäten Innsbruck und Wien.

      Am 9. November hat Franz Joseph erstmals erhöhte Temperatur, 37,6 Grad werden gemessen. Der Internist Professor Norbert Ortner wird beigezogen. Die Ärzte schlagen vor, dem Monarchen Krankenschwestern zur Seite zu stellen, doch dieser lehnt ab: »Meine Diener haben ihrem Kaiser, als er gesund war, treu gedient, sie sollen für ihn auch sorgen, wenn er krank ist.«

      Am 11. November steigt die Temperatur auf 38,4 Grad, Franz Joseph fühlt sich schwächer als an den vorangegangenen Tagen und sagt zu Dr. Kerzl, der seinem Kaiser selbstverständlich im Gehrock gegenübersteht: »Diesmal wird es wohl zu Ende gehen.«

      Marie Valerie will einen Priester kommen lassen, der ihrem Vater die Letzte Ölung erteilt, doch am nächsten Tag tritt Besserung ein. Das Thermometer zeigt Normaltemperatur, Franz Joseph hat wieder Appetit. Am kaiserlichen Hof herrscht Zuversicht, dass er es auch diesmal – wie schon mehrmals davor – schaffen werde. Dr. Kerzl meint, dass man mit den Sterbesakramenten warten solle. Es folgen vier Tage der Erholung, in denen es dem Kaiser von Stunde zu Stunde besser zu gehen scheint, er empfängt sogar Prinz Wilhelm von Hohenzollern und den bayerischen König Ludwig III. und unterhält sich angeregt.

      Doch am 15. November kehren die Symptome wieder. Fieber, eine starke Bronchitis, Schmerzen im Rippenfell. 38,5 Grad werden gemessen, aber Franz Joseph sitzt weiter von morgens bis abends am Schreibtisch und erledigt Akten. Am Sonntag, dem 19. November wird die heilige Messe statt in der Schlosskapelle in seinem Arbeitszimmer gelesen, dem Kaiser fällt es sichtlich schwer, auf dem Betschemel niederzuknien, sich dann wieder aufzurichten, ein paar Schritte zu gehen. An diesem Abend halten Professor Ortner, Dr. Kerzl, des Kaisers Obersthofmeister Alfred Fürst Montenuovo und Generaladjutant Eduard Graf Paar ein Konsilium ab. Die Ärzte diagnostizieren einen entzündlichen Herd an der Lunge, von Lebensgefahr könne aber keine Rede sein.

      Am nächsten Tag betritt Erzherzogin Marie Valerie die kaiserlichen Gemächer. Franz Joseph steht mühsam auf, um seine Lieblingstochter zu begrüßen, und geht ihr ein paar Schritte entgegen. »Ich fühle mich sehr schlecht«, klagt er, lässt sich aber beim Niedersetzen nicht helfen. Für einen weiteren Besuch, den Marie Valerie ihm mit ihren beiden Töchtern abstatten will, bedauert der Kaiser wegen des noch zu erledigenden Arbeitspensums keine Zeit zu haben. Als sie ihren Vater vor dem Abschied zum Schreibtisch geleitet, gesteht er ihr, dass er an diesem Tag gestürzt sei, sich aber glücklicherweise nicht verletzt habe. Dr. Kerzl ordnet an, dass sich ab sofort ständig ein Kammerdiener bei geöffneter Tür im Nebenzimmer aufzuhalten habe, um dem Kaiser bei jedem Schritt behilflich sein zu können.

      Zu den letzten Amtsgeschäften, die der Kaiser erledigt, gehört der Antrag um Begnadigung einer zum Tode verurteilten Kindesmörderin. Flügeladjutant Albert von Margutti liest dem fiebernden Monarchen das Gnadengesuch vor und Franz Joseph unterschreibt mit zittriger Hand.

      Am Morgen des 21. November zeigt das Fieberthermometer 38,1 Grad. Trotzdem sitzt der Kaiser ab halb fünf Uhr früh an seinem Schreibtisch. Die Ärzte stellen zunehmende Müdigkeit fest, aber auch, dass sich die Entzündung an der Lunge nicht weiter ausgebreitet hat. Am Vormittag erscheint General Arthur von Bolfras, Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, um den Kaiser über den positiven Verlauf der Gefechtshandlungen in Rumänien zu informieren. Er meint, Franz Joseph zum ersten Mal leicht verwirrt vorgefunden zu haben. Gegen zehn bringt Burgpfarrer Ernst Karl Jakob Seydl »den päpstlichen Segen« mit besten Genesungswünschen. Als der Priester nach Beichte und Erteilen der Kommunion das Arbeitszimmer verlässt, sagt er zu den im Vorraum Wartenden, dass Seine Majestät, ganz im Gegensatz zu der Wahrnehmung von General Bolfras, über völlige Geistesklarheit verfüge.

      Um halb zwölf Uhr erscheinen Thronfolger Karl und seine Ehefrau Zita in Schönbrunn. Sie erklären, Franz Josephs Arbeitszimmer nur betreten zu können, wenn er ruhig sitzen bleibe. Der diensthabende Flügeladjutant meldet dies dem Kaiser, der jedoch erwidert, dass es unmöglich sei, eine Dame sitzend zu empfangen. Er versucht sich zu erheben, als er jedoch merkt, wie sehr ihn die Kräfte bereits verlassen haben, bleibt er sitzen und sagt: »Nun gut, wenn es nicht anders möglich ist, so soll es sein.«

      »Am Vormittag des 21. November 1916 empfing Kaiser Franz Joseph Erzherzog Karl und mich«, schreibt Kaiserin Zita in ihren Lebenserinnerungen. »Er saß an seinem Schreibtisch in Uniform und arbeitete noch an einem Rekrutierungsakt. Er war brennend vor Fieber, und trotzdem ließ er nicht von der Arbeit.« Das Ehepaar bleibt nur wenige Minuten, in denen der Kaiser seiner Hoffnung Ausdruck gibt, bald wieder genesen zu sein, da er »fürs Kranksein keine Zeit« habe. Er erwähnt die Truppenerfolge und die freundliche Teilnahme des Papstes an seiner Genesung. »Dann entließ uns der Kaiser mit viel Herzlichkeit«, schreibt Zita, »und das war das letzte Mal, dass wir ihn bei Bewusstsein gesehen haben.«

      Joseph Ritter von Kerzl * 28. 8. 1841 Pardubitz/Böhmen, † 29. 8. 1919 Semmering. Ab 1884 Hofarzt, begleitet er Kaiserin Elisabeth auf ihren Reisen, seit 1897 Leibarzt Kaiser Franz Josephs.

      Franz Joseph nimmt, nachdem Karl und Zita gegangen sind, ein leichtes Mittagessen ein, danach ist Kabinettsdirektor Franz von Schießl gemeldet, um Allfälliges zu besprechen, doch der in seinem Lehnstuhl sitzende Kaiser ist nicht mehr in der Lage, ihn zu empfangen. Dr. Kerzl kommt, sieht Franz Joseph ganz in sich zusammengesunken, das Thermometer zeigt erstmals 39,5 Grad. Der Leibarzt informiert Marie Valerie von einer deutlichen Verschlechterung des Zustands Seiner Majestät.

      Dennoch erhebt sich Franz Joseph etwas später aus seinem Lehnstuhl und geht mit Hilfe eines Kammerdieners zu seinem Schreibtisch, wo er seine laufenden Geschäfte zu erledigen versucht. Mit großer Besorgnis beobachtet ein Flügeladjutant durch einen Spiegel aus dem Nebenzimmer, wie Franz Joseph immer wieder den Kopf fallen lässt. Die Feder, die ihm vom Kammerdiener gereicht wird, fällt zu Boden. Der Kaiser legt das Haupt in die Hand und schläft ein.

      Um vier Uhr nachmittags erwacht er und lässt sich die Feder reichen, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. Er arbeitet den Aktenstoß auf, unterschreibt und ordnet, sperrt die Mappe zu.

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       Bis zuletzt an seinem Schreibtisch: der greise Monarch bei der Arbeit

      Nach einem kleinen Abendessen um sechs erlaubt der

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