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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Читать онлайн.Название Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962815226
Автор произведения Honore de Balzac
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Wenn mich alle beneiden, so hat mein Glück mehr Würze für mich. Wenn sie nichts tut, was die anderen Frauen tun, nicht geht wie sie, nicht lebt wie sie, sich in einen Mantel hüllt, den sie nicht haben können, Düfte atmet, die nur ihr eigen sind, scheint es mir, als ob meine Geliebte mir noch mehr angehöre. Je mehr sie sich von der Erde entfernt, selbst in dem, was die Liebe Irdisches hat, desto schöner wird sie in meinen Augen. Zum Glück für mich gibt es in Frankreich seit 20 Jahren keine Königin mehr, sonst hätte ich die Königin geliebt. Um das Auftreten einer Prinzessin zu haben, muß eine Frau reich sein. Was war, angesichts meiner romantischen Phantasien, Pauline? Konnte sie mir Nächte verkaufen, die das Leben kosten, eine Liebe, die Tod bringt und alle menschlichen Fähigkeiten abverlangt? Wir sterben wohl kaum für arme kleine Mädchen, die sich hingeben. Ich habe nie von diesen Dichterträumen und Gefühlen ablassen können. Ich war für die unmögliche Liebe geschaffen, und der Zufall wollte, daß ich über meine Wünsche hinaus bedient wurde. Wie oft habe ich nicht Paulines zierliche Füßchen in Atlasschuhe gesteckt, ihren Körper, schlank wie eine junge Pappel, in ein Tüllkleid gehüllt, ein duftiges Tuch über ihren Busen geworfen, sie über die Teppiche ihres Hotels schreiten lassen und zu einem eleganten Wagen geführt! So hätte ich sie angebetet. Ich verlieh ihr einen Stolz, den sie nicht besaß, ich beraubte sie aller ihrer Tugenden, ihres kindlichen Liebreizes, ihres anmutvollen Naturells, ihres unbefangenen Lächelns, um sie in den Styx18 unserer Laster zu tauchen und ihr Herz unverwundbar zu machen, sie mit unseren Verbrechen herauszuschminken, eine extravagante Salonpuppe aus ihr zu machen, eine bleichsüchtige Frau, die morgens zu Bett geht, um abends beim Schein der Kerzen wieder aufzuleben. Pauline war ganz Gefühl, ganz Frische; ich wollte sie fühllos und kalt. In den letzten Tagen meines Wahns zeigte die Erinnerung mir Pauline so, wie sie uns die Szenen unserer Kindheit zurückruft. Mehr als einmal dachte ich bewegt an köstliche Augenblicke: sei es, daß ich das liebe Mädchen nahe bei meinem Tisch sitzen, mit einer Näharbeit beschäftigt sah, friedlich, still, nachdenklich, und sanft vom Tageslicht beschienen, das durch meine Dachluke hereindrang und über ihr schönes schwarzes Haar einen zarten Silberschein breitete; sei es, daß ich ihr junges Lachen oder ihre wohlklingende Stimme liebliche Weisen singen hörte, die sie mühelos selbst komponierte. Häufig geriet meine Pauline beim Musizieren in schwärmerisches Verzücken, ihr Gesicht glich dann auffallend dem edlen Kopf, in dem Carlo Dolci19 Italien darstellen wollte. Immer wieder führte mir mein grausames Gedächtnis in meinem zügellosen Dasein das Bild jenes jungen Mädchens vor Augen wie eine Verkörperung der Tugend, des Gewissens. Doch überlassen wir das arme Kind seinem Geschick. So unglücklich es auch sein mag, jedenfalls habe ich es vor einem entsetzlichen Ungemach bewahrt, indem ich es nicht mit in meine Hölle hineinriß. Bis zum letzten Winter führte ich das ruhige und arbeitsreiche Leben, von dem ich dir einen Eindruck zu geben versuchte. In den ersten Tagen des Dezembers 1829 begegnete ich Rastignac, der mir trotz des elenden Zustandes meiner Kleider den Arm gab und sich mit einer wahrhaft brüderlichen Anteilnahme nach meinem Geschick erkundigte. Von seinem einnehmenden Wesen gefangen, erzählte ich ihm kurz mein Leben und meine Hoffnungen; er lachte und hieß mich Genie und Dummkopf zugleich. Seine gascognische Redeweise, seine Welterfahrung, das Auf-großem-Fuß-Leben, das er seiner Gewandtheit verdankte, wirkten unwiderstehlich auf mich. Er prophezeite mir, daß ich wie ein verkannter Tropf im Armenhaus enden, er meinen eigenen Leichenzug anführen und mich ins Loch der armen Leute werfen würde. Er sprach von Scharlatanerie. Mit seinem liebenswerten Elan, der ihn so mitreißend macht, stellte er alle Genies als Scharlatane hin. Er erklärte mir, daß ich einen Sinn zuwenig besäße und es dem Tode gleichkäme, wenn ich weiterhin einsam in der Rue des Cordiers leben wollte. Er sei der Meinung, daß ich in Gesellschaft gehen, die Leute daran gewöhnen müßte, meinen Namen auszusprechen, und selbst das demütige ›Monsieur‹ ablegen solle, das sich für einen großen Mann zu seinen Lebzeiten nicht ziemt. ›Dummköpfe‹, rief er, ›nennen solch Handeln: intrigieren; Moralprediger ächten es mit der Bezeichnung: verschwendetes Leben; lassen wir uns von den Menschen nicht aufhalten, sehen wir uns die Resultate an. Du also arbeitest? Schön, du wirst es nie zu etwas bringen. Ich eigne mich für alles und tauge zu nichts, bin faul wie ein Hummer! Schön, ich erreiche alles. Ich mache mich überall breit, dränge mich vor, man macht mir Platz; ich rühme mich, man glaubt mir; ich mache Schulden, man bezahlt sie! Verschwendung, mein Lieber, ist ein politisches System. Das Leben eines Mannes, der sein Vermögen durchbringt, wird oft eine Spekulation; man legt seine Kapitalien an in Freunden, Vergnügungen, Gönnern, Bekanntschaften. ›Riskiert‹ ein Geschäftsmann eine Million? 20 Jahre lang trinkt er nicht, schläft er nicht, amüsiert er sich nicht, er brütet über seiner Million, läßt sie durch ganz Europa wandern; er langweilt sich, überläßt sich allen Teufeln, die der Mensch erfunden hat; und schließlich kommt eine Liquidation, wie ich es oft mit angesehen habe, und läßt ihn ohne einen Sou, ohne Namen, ohne Freund. Der Verschwender hingegen genießt es zu leben, alles aufs Spiel zu setzen. Wenn er durch Zufall sein Kapital verliert, kann ihm immer noch das Glück blühen, Obersteuereinnehmer zu werden, sich reich zu verheiraten, bei einem Minister oder Gesandten einen Posten zu bekommen. Er hat noch Freunde, einen Namen und immer Geld. Da er die Triebfedern der Welt kennt, läßt er sie zu seinem Vorteil spielen. Ist dieses System logisch, oder bin ich nur ein Narr? Ist es nicht die Moral der Komödie, die sich alle Tage in der Welt abspielt?‹ – ›Dein Werk ist vollendet‹ fuhr er nach einer Pause fort, ›du hast ein kolossales Talent. Nun, jetzt stehst du da, wo ich begonnen habe. Deinen Erfolg mußt du selber zustande bringen, das ist