Скачать книгу

Notre-Dame und vom Jus­tiz­pa­last und den Pont-des-Arts. Die­se Bau­wer­ke schie­nen trau­rig aus­zu­se­hen un­ter dem grau­en Wi­der­schein des Him­mels, durch den hie und da ein hel­ler Strahl drang, der Pa­ris be­droh­lich wir­ken ließ, denn die­se Stadt un­ter­liegt wie eine hüb­sche Frau un­er­klär­li­chen An­wand­lun­gen von Schön­heit und Häß­lich­keit. So schi­en sich die Na­tur selbst ver­schwo­ren zu ha­ben, den Tod­hei­schen­den in schmerz­li­che Ek­sta­se zu tau­chen. Je­ner un­heil­vol­len Macht aus­ge­lie­fert, de­ren zer­set­zen­de Wir­kung mit dem Strom un­se­rer Ner­ven den gan­zen Or­ga­nis­mus durch­dringt, war es ihm, als ob sein Kör­per sich all­mäh­lich ei­nem Schwe­be­zu­stand nä­her­te. Un­ter dem An­sturm die­ser To­de­s­pein schwank­te er gleich ei­ner auf­ge­peitsch­ten Wel­le und nahm Ge­bäu­de und Men­schen wie durch einen Ne­bel wahr, in dem al­les wog­te und ver­schwamm. Er woll­te sich dem Druck ent­zie­hen, den die­se Auf­leh­nung sei­ner phy­si­schen Na­tur auf sei­ne See­le aus­üb­te, und ging auf einen An­ti­qui­tä­ten­la­den zu, wo er sei­ne Sin­ne ab­zu­len­ken oder beim Han­deln um Kunst­ge­gen­stän­de die Nacht zu er­war­ten be­ab­sich­tig­te. Er tat dies so­zu­sa­gen, um sich Mut zu ma­chen und eine Herz­stär­kung zu sich zu neh­men, wie die Ver­bre­cher, die auf ih­rem Gang zum Scha­fott ih­rer Kraft nicht trau­en. Doch das Be­wußt­sein sei­nes na­hen To­des lieh dem jun­gen Mann für einen Au­gen­blick die Si­cher­heit ei­ner Her­zo­gin, die zwei Lieb­ha­ber hat, und so trat er un­be­fan­gen, mit dem star­ren Lä­cheln ei­nes Trun­ke­nen, in den La­den des An­ti­qui­tä­ten­händ­lers. War er denn nicht trun­ken vom Le­ben oder viel­mehr vom Tode? Bald be­fiel ihn wie­der der Schwin­del, und die Ge­gen­stän­de er­schie­nen ihm in selt­sa­men Far­ben oder ver­scho­ben sich leicht, als wä­ren sie be­lebt, was höchst­wahr­schein­lich dem un­re­gel­mä­ßi­gen Krei­sen sei­nes Blu­tes zu­zu­schrei­ben war, das bald kas­ka­den­gleich braus­te, bald matt und träg wie lau­es Was­ser da­hin­floß. Er er­klär­te ein­fach, die La­ger­räu­me be­sich­ti­gen zu wol­len, um dort et­wai­ge Ku­rio­si­tä­ten aus­fin­dig zu ma­chen, die ihm zu­sag­ten. Ein fri­scher, paus­bä­cki­ger Bur­sche mit ro­tem Haar­schopf, auf dem eine Ot­ter­müt­ze saß, über­trug die Auf­sicht des La­dens ei­ner al­ten Bäue­rin, ei­ner Art weib­li­chen Ca­li­bans,18 die ge­ra­de einen Ofen säu­ber­te, ein Wun­der­werk des ge­nia­len Ber­nard Pa­lis­sy;19 dann sag­te er mit sorg­lo­ser Mie­ne zu dem Frem­den: »Schau­en Sie sich nur um, Mon­sieur! Hier un­ten sind nur ganz ge­wöhn­li­che Sa­chen. Wenn Sie sich aber die Mühe ma­chen wol­len, mit in die ers­te Eta­ge hin­auf­zu­stei­gen, kann ich Ih­nen sehr schö­ne Mu­mi­en aus Kai­ro zei­gen, meh­re­re in­krus­tier­te Töp­fer­ar­bei­ten und ein paar Eben­holz­schnit­ze­rei­en, ›ech­te Re­naissance‹ kürz­lich erst ein­ge­trof­fen und ein­fach wun­der­voll.«

      Der Frem­de ver­glich die­se drei mit den Pro­duk­ten der Zi­vi­li­sa­ti­on, den Zeug­nis­sen der ver­schie­dens­ten Kul­te, mit Gott­hei­ten, Meis­ter­wer­ken, kö­nig­li­chen In­si­gni­en, mit Aus­schwei­fung, Ver­nunft und Toll­heit voll­ge­pfropf­ten Räu­me zu­nächst ei­nem Spie­gel aus zahl­rei­chen Fa­cet­ten, de­ren jede eine Welt zeigt. Nach dem ers­ten ver­wor­re­nen Ein­druck woll­te er ein­zel­ne Ge­gen­stän­de aus­wäh­len und ge­nie­ße­risch be­trach­ten; doch nach dem vie­len Se­hen, Den­ken und Träu­men be­fiel ihn ein hef­ti­ges Fie­ber, das wohl von dem in sei­nen Ein­ge­wei­den na­gen­den Hun­ger her­rüh­ren moch­te. Der An­blick so vie­ler Pfän­der, die von ver­sun­ke­nen Na­tio­nen und da­hin­ge­gan­ge­nen Le­ben der Men­schen zeug­ten, be­täub­te vollends die Sin­ne des jun­gen Man­nes; der Wunsch, der ihn in den La­den ge­trie­ben hat­te, war er­hört wor­den: er ver­ließ die Wirk­lich­keit, stieg all­mäh­lich zu ei­ner Traum­welt em­por, ge­lang­te in den Zau­ber­pa­last der Ek­sta­se, wo ihm das Uni­ver­sum bruch­stück­haft und in Feu­er ge­taucht er­schi­en, so wie einst vor den Au­gen des hei­li­gen Jo­han­nes auf Pat­mos die

Скачать книгу