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Ge­fühl er­spart und den Ball für den Tag der Un­ter­zeich­nung des Ehe­ver­tra­ges an­ge­setzt. Kon­stan­ze hat­te ihr kirsch­ro­tes Kleid vor­ge­fun­den, in dem sie ein ein­zi­ges Mal in, ach so flüch­ti­gem Glan­ze er­schie­nen war! Cäsa­ri­ne hat­te Po­pi­not die Über­ra­schung be­rei­tet, sich wie­der in der Ball­toi­let­te zu zei­gen, von der er im­mer und im­mer wie­der mit ihr ge­spro­chen hat­te. So soll­te Bi­rot­teau in sei­ner Woh­nung das be­zau­bern­de Schau­spiel wie­der vor sich se­hen, das er nur an ei­nem ein­zi­gen Abend ge­nos­sen hat­te. We­der Kon­stan­ze, noch Cäsa­ri­ne, noch An­selm hat­ten eine Ah­nung da­von, daß die­se Rie­sen­über­ra­schung Cäsar ge­fähr­lich wer­den könn­te, und sie er­war­te­ten ihn um vier Uhr mit ei­ner Freu­de, die sie Kin­de­rei­en trei­ben ließ.

      Nach der un­aus­sprech­li­chen Er­re­gung, die ihm die Rück­kehr zur Bör­se ver­ur­sacht hat­te, soll­te die­ser Held der kauf­män­ni­schen Red­lich­keit noch die Über­ra­schung er­tra­gen, die ihn in der Rue Saint-Ho­noré er­war­te­te. Als er sein al­tes Haus be­trat und am Fuße der Trep­pe, die un­be­rührt ge­blie­ben war, sei­ne Frau in ih­rem kirsch­ro­ten Sam­met­klei­de, Cäsa­ri­ne, den Gra­fen von Fon­taine, den Vi­com­te von Van­den­es­se, den Baron von La Bil­lar­diè­re, den be­rühm­ten Vau­que­lin er­blick­te, da brei­te­te sich ein leich­ter Schlei­er über sei­ne Au­gen, und der On­kel Pil­ler­ault, der ihm den Arm reich­te, fühl­te, wie er er­zit­ter­te.

      »Das ist zu viel,« sag­te der Phi­lo­soph zu dem ver­lieb­ten An­selm, »er wird so­viel Wein, wie du ihm ein­schenkst, nicht ver­tra­gen kön­nen.«

      Die Freu­de war eine so all­ge­mei­ne, daß alle die Er­re­gung Cäsars und sein Schwei­gen der na­tür­li­chen Freu­de­trun­ken­heit zu­schrie­ben, die aber nicht sel­ten töd­lich wer­den kann. Als er sich in sei­nem al­ten Heim wie­der­fand, als er den Sa­lon, die Gäs­te, die fest­lich in Ball­toi­let­te er­schie­ne­nen Da­men wie­der­sah, da rausch­te plötz­lich das he­ro­i­sche Schluß­mo­tiv der großen Beetho­ven­schen Sym­pho­nie ihm durch Kopf und Herz. Die himm­li­sche Mu­sik er­tön­te mit ih­rem strah­len­den Glan­ze, ju­bel­te in al­len Über­gän­gen und ließ ihre Trom­pe­ten­klän­ge in al­len Win­dun­gen die­ses über­mü­de­ten Ge­hirns wi­der­hal­len, für das sie das große Fina­le be­deu­ten soll­te.

      Über­wäl­tigt von die­sem in­ne­ren Mu­si­krau­schen, faß­te er den Arm sei­ner Frau und sag­te lei­se mit von ei­nem zu­rück­ge­hal­te­nen Blutstrom er­stick­ter Stim­me: »Mir ist nicht wohl!«

      Die er­schreck­te Kon­stan­ze führ­te ih­ren Mann in ihr Zim­mer, bis zu dem er müh­sam ge­lang­te; hier sank er in einen Ses­sel und sag­te:

      »Herrn Hau­dry, Herrn Loraux!«

      Der Abbé Loraux er­schi­en, ge­folgt von den Gäs­ten und den Da­men in Ball­toi­let­te, die alle ste­hen blie­ben und eine ent­setz­te Grup­pe bil­de­ten. An­ge­sichts die­ser Fest­ge­sell­schaft drück­te Cäsar sei­nem Beicht­va­ter die Hand und neig­te das Haupt auf die Brust sei­ner vor ihm kni­en­den Frau. Ein Ge­fäß war ihm in der Brust ge­sprun­gen und eine Aor­ta­geschwulst er­stick­te sein letz­tes At­men.

      »Hier stirbt ein Ge­rech­ter«, sag­te der Abbé Loraux in erns­tem Tone und wies auf Cäsar mit je­ner gött­li­chen Ge­bär­de hin, wie sie Rem­brandt auf sei­nem Ge­mäl­de »Die Au­fer­we­ckung des La­za­rus durch Chris­tus« wie­der­zu­ge­ben ver­mocht hat. Je­sus heißt hier die Erde, ihre Beu­te zu­rück­ge­ben, der from­me Pries­ter zeig­te dem Him­mel einen Mär­ty­rer der kauf­män­ni­schen Red­lich­keit, da­mit er ihn mit der ewi­gen Pal­me krö­ne.

Das Chagrinleder

      1 Ster­ne, La­wrence (1713-1768): eng­li­scher Schrift­stel­ler, be­rühmt durch sei­nen Ro­man »Das Le­ben und die An­sich­ten Tristram Shan­dys« (1759), aus dem Balzac in leicht ver­än­der­ter Form die Ti­tel­vi­gnet­te ent­lehn­te. Bei Ster­ne stellt sie die Be­we­gung ei­nes Stockes dar, mit der Kor­po­ral Trim sei­ne ab­leh­nen­de Hal­tung zur Ehe be­kräf­tigt <<<

      2 Sa­va­ry, Fe­lix (1797-1841): fran­zö­si­scher Astro­nom <<<

      »Ihren Hut bit­te, Mon­sieur!« rief ihm mit tro­ckener, mür­ri­scher Stim­me ein klei­ner, al­ter Mann zu, der zu­sam­men­ge­duckt hin­ter ei­nem Ver­schlag im Halb­dun­kel saß und, als er sich un­ver­mit­telt er­hob, ein fah­les, ab­sto­ßen­des Ge­sicht zeig­te.

      Be­tritt man ein Spiel­haus, dann nimmt ei­nem das Ge­setz zu­erst ein­mal den Hut. Ist das ein sym­bo­li­sches Vor­zei­chen, ein Akt der Vor­se­hung? Oder ist es nicht viel­mehr eine Art Teu­fel­s­pakt, der einen Pfand ab­for­dert? Will man den Spie­ler viel­leicht auf die­se Wei­se nö­ti­gen, Ehr­er­bie­tung den­je­ni­gen ge­gen­über zu wah­ren, die ihm sein Geld ab­knöp­fen wol­len? Oder hat die Po­li­zei, die ihre Nase in je­den schmut­zi­gen Win­kel der Ge­sell­schaft steckt, gar ein In­ter­es­se dar­an, den Na­men sei­nes Hut­ma­chers oder sei­nen ei­ge­nen zu er­fah­ren, falls er ihn in sein Hut­fut­ter ge­schrie­ben hat? Oder ob man etwa dem Schä­del Maß neh­men will, um eine lehr­rei­che Sta­tis­tik über die Grö­ße der Spie­ler­hir­ne auf­zu­stel­len? Über die­sen Punkt hüllt sich die Ver­wal­tung in tiefs­tes Schwei­gen. Aber ei­nes muß der Spie­ler wis­sen: So­wie er den ers­ten Schritt zum grü­nen Tisch ge­tan hat, ge­hört ihm sein Hut eben­so­we­nig, als er sich sel­ber ge­hört. Er ist dem Spiel ver­fal­len, er, sei­ne Habe, sein Hut, sein Stock und sein Man­tel. Ver­läßt er schließ­lich den Saal, de­mons­triert das Spiel­haus wie mit ei­nem Zei­chen bei­ßen­den Hoh­nes, daß es ihm we­nigs­tens et­was läßt: den Hut. Soll­te er je­doch einen neu­en Hut be­sit­zen, wird er aus sei­nem Scha­den ler­nen, daß es rat­sam ist, sich eine spe­zi­el­le Klei­dung fürs Spiel zu­zu­le­gen.

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