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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Читать онлайн.Название Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962815226
Автор произведения Honore de Balzac
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Der Generalstaatsanwalt verlas nun die Konkurstabelle und benannte die noch geschuldeten Beträge und die Namen der Gläubiger.
»Ein jeder dieser Schuldbeträge ist bezahlt worden und zwar mit Zinsen, meine Herren Richter, und nicht etwa gegen einfache Quittungen, die eine strenge Nachprüfung erfordern, sondern gegen authentische Quittungen, die der gewissenhaftesten richterlichen Prüfung standhalten, und die amtlich in der gesetzlich vorgeschriebenen Form als richtig befunden worden sind. Sie werden Birotteau nicht seine Ehre, aber die Rechte, deren er sich beraubt sah, wieder zusprechen und Sie werden damit ein gerechtes Urteil fällen. Ein solcher Fall unterliegt so selten Ihrer Prüfung, daß wir nicht unterlassen können, dem Antragsteller auszusprechen, wie freudig wir ein solches Verhalten begrüßen, das schon durch allerhöchste Gunst ermutigt worden ist.« Dann stellte er seine formellen Anträge im üblichen Gerichtsstil.
Der Gerichtshof faßte seinen Beschluß, ohne sich zur Beratung zurückzuziehen, und der Präsident erhob sich, um das Urteil zu verkünden. »Der Gerichtshof«, sagte er zum Schlusse, »hat mich beauftragt, Birotteau seine Genugtuung darüber auszusprechen, daß er ein solches Urteil fällen konnte. Gerichtsdiener, die nächste Sache.«
Birotteau, den die Redewendungen des berühmten Generalstaatsanwalts wie mit einem Ehrenkleide umhüllt hatten, war vor Freude wie zerbrochen, als er den feierlichen Urteilsspruch aus dem Munde des ersten Präsidenten des höchsten französischen Gerichtshofes vernahm, der zeigte, daß auch die unerschütterliche Rechtsprechung ein menschliches Empfinden kannte. Er vermochte seinen Platz an den Schranken nicht zu verlassen, er stand wie angenagelt da und starrte bewegungslos die Richter an, als seien es Engel, die ihm die Tore zu der menschlichen Gesellschaft wieder geöffnet hatten; der Onkel nahm ihn beim Arm und zog ihn mit sich fort in die Vorhalle. Jetzt steckte sich Cäsar, der der Weisung Ludwigs XVIII. nicht Folge geleistet hatte, mechanisch das Band der Ehrenlegion ins Knopfloch und wurde sogleich von seinen Freunden umringt und im Triumph in den Wagen getragen.
»Wohin wollt ihr mich denn bringen, liebe Freunde?« sagte er zu Joseph Lebas, Pillerault und Ragon.
»Nach Hause.«
»Nein, es ist drei Uhr, ich will von meinen Rechten wieder Gebrauch machen und zur Börse gehen.«
»Zur Börse«, rief Pillerault dem Kutscher zu und gab Lebas einen deutlichen Wink, denn er hatte bei dem Rehabilitierten beunruhigende Symptome wahrgenommen und fürchtete, daß er von Sinnen kommen könnte.
Der ehemalige Parfümhändler betrat nun den Börsensaal am Arme seines Onkels und Lebas’, der beiden angesehenen Kaufleute. Seine Rehabilitierung war schon bekannt geworden. Die erste Person, die die drei Kaufleute, denen Ragon folgte, bemerkte, war du Tillet.
»Ah, mein verehrter Prinzipal, ich bin entzückt, zu sehen, daß Sie sich herausgezogen haben. Und ich habe wohl durch die Bereitwilligkeit, mit der ich mich von dem kleinen Popinot habe rupfen lassen, zu diesem erfreulichen Ende Ihrer Sorgen beigetragen. Ich freue mich über diese glückliche Lösung ebenso, als ob sie mich selbst beträfe.«
»Das kann auch nicht gut anders sein,« sagte Pillerault, »Ihnen wäre so etwas nie passiert.«
»Wie soll ich das verstehen, Herr Pillerault?« fragte du Tillet.
»Im guten Sinne«, sagte Lebas und lächelte über die vergeltende Bosheit Pilleraults, der, ohne etwas Näheres zu wissen, diesen Menschen für einen Bösewicht hielt.
Jetzt bemerkte Matifat Cäsar. Sogleich umringten die namhaftesten Kaufleute den früheren Parfümhändler und die Börse brachte ihm eine Ovation dar; er empfing die schmeichelhaftesten Glückwünsche und Händedrücke, die viel Neid erregten und auch bei manchem Gewissensbisse erweckten, denn von hundert Anwesenden hatten mehr als fünfzig schon einmal liquidiert. Gigonnet und Gobseck, die sich in einer Ecke unterhielten, betrachteten den tugendhaften Parfümhändler mit Augen, wie Physiker den ersten elektrischen Zitteraal, der ihnen gebracht wurde, betrachtet haben müssen. Dieser Fisch, der mit Elektrizität wie eine Leydener Flasche geladen ist, wird als die merkwürdigste Erscheinung des Tierreichs angesehen. Nachdem er den Weihrauch seines Triumphes genügend ausgekostet hatte, stieg Cäsar wieder in den Wagen, um in sein Haus zurückzukehren, wo der Ehevertrag seiner geliebten Cäsarine und des getreuen Popinot unterzeichnet werden sollte. Ein nervöses Lachen, das ihn befallen hatte, beunruhigte seine drei alten Freunde. Es ist ein Fehler der Jugend, zu glauben, jedermann erfreue sich derselben Kraft wie sie, ein Fehler, der aber aus ihren Vorzügen entspringt; statt Menschen und Dinge durch eine scharfe Brille zu sehen, sieht sie sie, unter dem Reflex ihrer eigenen Glut, rosig gefärbt, und möchte ihre überschäumende Lebenslust auch den alten Leuten mitteilen. Wie Cäsar und Konstanze, so hatte auch Popinot das prächtige Bild des von Birotteau gegebenen Balles in seinem Gedächtnis bewahrt. Während ihrer drei Prüfungsjahre hatten Konstanze und Cäsar, ohne es sich zu gestehen, Collinets Orchestermusik oft in den Ohren gehabt, sie hatten die glänzende Gesellschaft wieder vor sich gesehen und das so grausam bestrafte freudige Gefühl empfunden, ebenso wie Adam und Eva zuweilen an die verbotene Frucht zurückdenken mußten, die ihrer ganzen Nachkommenschaft den Tod und das Leben gebracht hat, denn die Neuerschaffung von Engeln scheint ein göttliches Geheimnis zu sein. Aber Popinot konnte an dieses Fest ohne Gewissensbisse und mit Entzücken zurückdenken; Cäsarine hatte sich damals in all ihrem Glanze ihm, dem armen Jungen, zugesagt. An diesem Abend hatte er die Gewißheit erlangt, um seiner selbst willen geliebt zu werden! Als er daher die von Grindot eingerichtete Wohnung für Cölestin erworben hatte mit der Bedingung, daß alles darin unberührt bleiben müsse, als er auch die geringste Kleinigkeit, die Cäsar und Konstanze gehört hatte, wie ein Heiligtum aufbewahrte, hatte er immer davon geträumt, auch seinen Ball zu geben, ein Hochzeitsballfest. Er hatte dieses Fest mit Liebe vorbereitet, aber dabei seinen Prinzipal nur in den notwendigen, nicht in seinen unsinnigen Ausgaben nachgeahmt; die unsinnigen