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um ein halb zwölf Uhr dort …«

      »Das ist an­stän­dig; vol­le Zah­lung und vier Pro­zent«, sag­te sie mit nai­ver Ver­wun­de­rung. »Hö­ren Sie, lie­ber Herr, ich ma­che gute Ge­schäf­te mit Ihrem klei­nen Rot­kopp; der is an­stän­dig und läßt mich gut ver­die­nen, ohne den Preis zu drücken, weil er mich ent­schä­di­gen will; wis­sen Sie was, ich wer­de Ih­nen eine Quit­tung ge­ben, aber be­hal­ten Sie Ihr Geld, mein ar­mer Al­ter! Die Ma­dou ist hit­zig und schreit leicht, aber hier hat sie auch was«, sag­te sie und schlug sich da­bei auf die dicks­ten Fleisch­kis­sen, die je­mals in den Markt­hal­len ge­se­hen wor­den sind.

      »Kei­nes­falls,« sag­te Bi­rot­teau, »das Ge­setz ist klar und deut­lich, ich wün­sche, Sie voll zu be­zah­len.«

      »Na, dann wer­de ich mich nicht län­ger bit­ten las­sen«, sag­te sie. »Aber mor­gen in der Markt­hal­le, da wer­de ich Ihr eh­ren­wer­tes Ver­hal­ten über­all her­u­mer­zäh­len. Ach, das is eine Sel­ten­heit, die­se Ge­schich­te!«

      Die­sel­be Sze­ne spiel­te sich bei Crot­tats Schwie­ger­va­ter, dem Stu­ben­ma­ler, aber in et­was an­de­rer Form ab. Es reg­ne­te drau­ßen und Cäsar hat­te sei­nen Schirm an die Tür ge­stellt. Der reich­ge­wor­de­ne Ma­ler­meis­ter war nicht sehr lie­bens­wür­dig, als er be­merk­te, wie das Was­ser auf den Fuß­bo­den sei­nes schö­nen Spei­se­zim­mers lief, wo er mit sei­ner Frau beim De­jeu­ner saß.

      »Also was wün­schen Sie, ar­mer Va­ter Bi­rot­teau?« sag­te er in dem gro­ben Tone, in dem die Leu­te mit läs­ti­gen Bett­lern zu spre­chen pfle­gen.

      »Herr Lour­dois, hat Ih­nen Ihr Schwie­ger­sohn nicht mit­ge­teilt …«

      »Was denn?« frag­te Lour­dois un­ge­dul­dig, der an ir­gend­ei­ne Bet­te­lei dach­te.

      »Daß Sie sich heu­te vor­mit­tag um ein­halb zwölf Uhr bei ihm ein­fin­den sol­len, um mir über mei­ne vol­le Zah­lung Quit­tung zu er­tei­len? …«

      »Ach, das ist et­was an­de­res; aber neh­men Sie doch Platz, Herr Bi­rot­teau, und es­sen Sie einen Bis­sen mit uns …«

      »Ma­chen Sie uns doch das Ver­gnü­gen, mit uns zu früh­stücken«, sag­te Frau Lour­dois.

      »Nein, Herr Lour­dois, ich muß alle Tage aus der Hand an mei­nem Schreib­tisch früh­stücken, um et­was Geld zu ver­die­nen; aber mit der Zeit hof­fe ich, al­len Scha­den, den ich mei­nen Nächs­ten ver­ur­sacht habe, wie­der gut­ma­chen zu kön­nen.«

      »Wahr­haf­tig,« sag­te der Ma­ler­meis­ter und schob eine Schnit­te mit Gän­se­le­ber­pas­te­te in den Mund, »Sie sind ein Ehren­mann.«

      »Und was macht Frau Bi­rot­teau?« sag­te Frau Lour­dois.

      »Sie führt Herrn An­selm Po­pi­not die Bü­cher und die Kas­se.«

      »Arme Leu­te«, sag­te Frau Lour­dois zu ih­rem Man­ne.

      »Wenn Sie mich brau­chen soll­ten, mein lie­ber Herr Bi­rot­teau, kom­men Sie nur zu mir,« sag­te Lour­dois, »viel­leicht kann ich Ih­nen hel­fen …«

      »Ich brau­che Sie nur heu­te um elf Uhr, Herr Lour­dois«, sag­te Bi­rot­teau und ent­fern­te sich. Die­ses ers­te Er­geb­nis mach­te dem Kri­dar Mut, wenn es ihm auch noch nicht sei­ne Ruhe wie­der­gab; der Wunsch nach Wie­der­her­stel­lung sei­ner Ehre rieb ihn über­mä­ßig auf; er hat­te sei­ne blü­hen­de Ge­sichts­far­be völ­lig ver­lo­ren, sein Blick war er­lo­schen, sein Ant­litz ab­ge­ma­gert. Wenn alte Be­kann­te Cäsar früh um acht oder nach­mit­tags um vier Uhr auf sei­nem Hin- und Rück­we­ge in der Rue de l’Ora­toire be­geg­ne­ten, in dem­sel­ben Über­rock, den er zur Zeit der Ka­ta­stro­phe ge­tra­gen hat­te, und den er, wie ein ar­mer Un­ter­leut­nant sei­ne Uni­form, schon­te, mit ganz weiß ge­wor­de­nem Haar, bleich und ängst­lich, so hiel­ten ihn ei­ni­ge ge­gen sei­nen Wunsch fest, ob­wohl er, um sich spä­hend, aus­zu­wei­chen such­te, in­dem er wie ein Dieb an den Mau­ern ent­lang­sch­lich.

      »Ihr eh­ren­haf­tes Ver­hal­ten ist all­ge­mein be­kannt, lie­ber Freund«, sag­ten sie zu ihm. »Aber alle be­dau­ern, daß Sie, eben­so wie Ihre Toch­ter und Ihre Frau, so hart ge­gen sich selbst ver­fah­ren.«

      »Gön­nen Sie sich doch et­was mehr Zeit«, sag­ten an­de­re, »an ei­ner Geld­wun­de stirbt man nicht.«

      »Nein, aber an ei­ner See­len­wun­de«, ant­wor­te­te der arme er­mat­te­te Cäsar ein­mal Ma­ti­fat.

      Zu Be­ginn des Jah­res 1822 wur­de der Bau des Kanals Saint-Mar­tin be­schlos­sen. Die im Fau­bourg du Tem­ple ge­le­ge­nen Ter­rains er­reich­ten wahn­sin­ni­ge Prei­se. Nach dem Pro­jekt soll­te das Grund­stück du Til­lets, das frü­her Cäsar Bi­rot­teau ge­hör­te, in der Mit­te durch­schnit­ten wer­den. Die Ge­sell­schaft, die die Bau­kon­zes­si­on für den Kanal er­hal­ten hat­te, woll­te ihm einen un­ge­heu­ren Preis zah­len, wenn der Ban­kier das Ter­rain zu ei­nem be­stimm­ten Ter­min über­ge­ben könn­te. Der Miet­ver­trag, den Cäsar mit Po­pi­not ge­schlos­sen hat­te, ver­hin­der­te das. Der Ban­kier such­te des­halb den Dro­gis­ten in der Rue des Cinq-Dia­mants auf. Wenn Po­pi­not auch du Til­let gleich­gül­tig war, so emp­fand Cäsa­ri­nes Ver­lob­ter einen in­stink­ti­ven Haß ge­gen die­sen Men­schen. Er kann­te we­der den Dieb­stahl noch die nie­der­träch­ti­gen Ma­chen­schaf­ten des er­folg­rei­chen Ban­kiers, aber eine in­ne­re Stim­me sag­te ihm: Die­ser Mensch ist ein straflo­ser Dieb. Po­pi­not hät­te nicht das kleins­te Ge­schäft mit ihm ma­chen mö­gen, sei­ne Ge­gen­wart war ihm ver­haßt. Dazu muß­te er ge­ra­de jetzt se­hen, wie du Til­let sich an dem, des­sen er sei­nen frü­he­ren Prin­zi­pal be­raubt hat­te, be­rei­cher­te, denn der Wert der Ter­rains an der Ma­de­lei­ne be­gann schon so zu stei­gen, daß man die Rie­sen­prei­se ah­nen konn­te, die sie im Jah­re 1827 er­reich­ten. Als der Ban­kier da­her den An­laß sei­nes Be­suchs ihm mit­ge­teilt hat­te, be­trach­te­te ihn Po­pi­not mit er­höh­ter Ent­rüs­tung.

      »Ich will es nicht ab­leh­nen, von mei­nem Miet­ver­tra­ge zu­rück­zu­tre­ten, aber ich ver­lan­ge da­für sech­zig­tau­send Fran­ken und wer­de kei­nen Hel­ler von die­ser Sum­me ab­las­sen.«

      »Sech­zig­tau­send Fran­ken?« rief du Til­let aus und mach­te An­stal­ten, sich zu ent­fer­nen.

      »Ich habe noch fünf­zehn Jah­re Kon­trakt und müß­te für eine neue Fa­brik jähr­lich drei­tau­send Fran­ken mehr aus­ge­ben. Also es bleibt bei sech­zig­tau­send Fran­ken, oder wir brau­chen über die Sa­che nicht wei­ter zu re­den«, sag­te Po­pi­not und ging in den La­den zu­rück, wo­hin ihm du Til­let folg­te.

      Die Dis­kus­si­on wur­de leb­haft, und es fiel der Name Bi­rot­teau, als Frau Kon­stan­ze ge­ra­de her­un­ter­kam, die du Til­let seit dem be­rühm­ten Ball zum ers­ten­mal wie­der­sah. Der Ban­kier konn­te beim An­blick der Ver­än­de­rung, die das Aus­se­hen sei­ner ehe­ma­li­gen Prin­zi­pa­lin er­fah­ren hat­te, ein Zei­chen der Über­ra­schung nicht zu­rück­hal­ten und schlug, er­schreckt über sein Werk, die Au­gen nie­der.

      »Der Herr«, sag­te Po­pi­not zu Frau Bi­rot­teau, »ver­dient an ›Ihren‹ Ter­rains drei­hun­dert­tau­send Fran­ken und will uns nicht sech­zig­tau­send Fran­ken Ent­schä­di­gung für un­sern Miet­ver­trag ge­wäh­ren …«

      »Das sind drei­tau­send Fran­ken Ren­te«, sag­te du Til­let em­pha­tisch.

      »Drei­tau­send

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