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und auch da, wo sie zur Kritik herausfordern, anregend und fördernd wirken. Besonders Sänger, Kapellmeister und Regisseure, deren Stilgefühl, was Mozart anbetrifft, großenteils noch sehr im argen liegt, seien auf diese Abschnitte hingewiesen. Ähnliche Ziele, nur ohne musikgeschichtliche Ausführungen, verfolgt das von Emil Gerhäuser verfaßte Werk Stuttgarter Bühnenkunst, Stuttgart 1917, das eine ganze Reihe von Inszenierungsvorschlägen zu Mozart gibt und außerdem deshalb wichtig ist, weil es von Bernhard Pankoks neuer Ausstattung sämtlicher Mozartscher Opern ausgeht. Das neue dekorative Gewand, das Mozarts Opern hier in Stuttgart erhalten haben, gehört zum künstlerisch Wertvollsten, was die moderne Kunst der Theaterdekoration überhaupt aufzuweisen hat.

      Daß das vorliegende Werk sich wenigstens bemüht, alle Ergebnisse der neueren Forschung kritisch zu verarbeiten, ist selbstverständlich. Es ist versucht worden, für jede Gattung, in der sich Mozart betätigt hat, namentlich für die lange vernachlässigte Oper, zunächst den geschichtlichen Tatbestand festzustellen. Nur erwarte man dabei keine ins einzelne gehende Darstellung. Wir haben es hier mit dem Genius Mozarts zu tun, nicht mit einer Geschichte der Oper, Sinfonie usw. Es kann sich daher bei allen diesen älteren Meistern nur um das Wesentliche, d.h. das Lebendige handeln, das in den Strom der Mozartschen Kunst eingegangen ist. Ja, auch hier mußte eine Auswahl getroffen werden: wo eine ganze Reihe von Zeugnissen für denselben Einfluß vorliegt, gilt nur das, worin jener Einfluß am klarsten zum Ausdruck kommt. Auch können jene älteren Meister erst dann für Mozart fruchtbar gemacht werden, wenn wir sie selbst wieder zu lebendigen Kräften zu machen vermögen. Denn das waren sie für die damalige Zeit und auch für Mozart selbst; deshalb muß es uns gelingen, den inneren Anteil nachzufühlen, den er ihnen entgegenbrachte; mit bloßen Namen, fertigen Begriffen und Etiketten ist's nicht getan. Ob und wieweit meine Auswahl stichhaltig ist, mag der Leser entscheiden.

      Warum ich auf den in modernen Musikerbiographien sehr beliebten Brauch verzichtet habe, zuerst das Leben und dann die Werke Mozarts zu besprechen, habe ich oben auseinandergesetzt. Die einzelnen Werke sind somit immer in Verbindung mit dem Lebensabschnitt besprochen, zu dem sie gehören. Nur beim Re pastore habe ich eine Ausnahme gemacht und ihn mit den übrigen opere serie zusammen behandelt. In der Chronologie der Werke habe ich mich in der Mehrzahl der Fälle nach genauer Nachprüfung Wyzewa und Saint-Foix angeschlossen, die Numerierung der Werke nebst der Angabe des betreffenden Bandes der Gesamtausgabe dagegen nach Köchel und Jahn beibehalten.

      Auch der landläufigen Einteilung der Werke in kirchliche, dramatische, lyrisch-vokale und instrumentale möchte ich nicht unbedingt das Wort reden. Wohl haben alle diese Gattungen ihre besonderen Stilgesetze, die respektiert werden müssen, aber für den Biographen, der es mit der einzelnen Künstlerpersönlichkeit zu tun hat, reichen sie nicht aus. Für ihn steht hinter dem Allgemeinen das Individuelle, nie Dagewesene, Neue, d.h. eben der Genius. Wir werden bei Figaro und Don Giovanni wohl von der opera buffa, bei der Entführung und Zauberflöte vom deutschen Singspiel auszugehen haben, aber der Genius erweist sich auch hier als der Neubildner, ja Zersprenger der Gattung. Das lehrt allein schon die Literatur über den Don Giovanni, der bis auf den heutigen Tag die Frage keine Ruhe zu lassen scheint, ob wir hier eine "komische" oder eine "tragische" Oper vor uns haben. Auch werden durch jenes Prinzip Werke, die innerlich zusammengehören, auseinandergerissen. So steht z.B. die Zauberflöte dem Requiem, Ave verum, ja auch den großen Instrumentalwerken der vorangehenden Jahre entschieden näher als ihrem "Schwesterwerk", dem Titus, obwohl dieser ebenfalls zur Gattung der "dramatischen Musik" gehört. Und was soll vollends der Schauspieldirektor zwischen ihr und der Entführung? Er gehört bei aller Anmut doch mehr zu den Berufspflichten Mozarts als zu seinen vollbürtigen Kunstwerken.

      Wir wissen ja überhaupt, daß der größte Teil seiner Werke nach dem Brauche der älteren, vorbeethovenschen Zeit bestellte Arbeit, also aus äußeren Anlässen hervorgegangen ist. Es bestand damals noch eine lebendige Tradition, eine von allen, Auftraggebern wie Beauftragten, anerkannte und gefühlte Summe von Form- und Stilgesetzen, denen sich kein Künstler zu entziehen vermochte. Die Hauptfrage bei allen diesen älteren Meistern, deren letzter eben Mozart ist, ist somit die, wie jeder einzelne von ihnen den Ausgleich zwischen seinem eigenen künstlerischen Urerlebnis und jener Tradition gesucht und gefunden hat. Auch Mozarts Werke lassen sich unter diesem Gesichtspunkte in drei Gruppen einteilen. Die erste davon bilden die, in denen sich sein Genius jener Tradition ohne weiteres anpaßt, ja unterordnet; es sind die sub specie momenti geschriebenen, die Versuche, Kompromisse, gleichsam die Hobelspäne, die in seiner Werkstatt umherliegen, wie z.B. die verschiedenen dramatischen und sinfonischen Festmusiken, die für einzelne "Sängergurgeln" oder für Schüler geschriebenen Stücke u. dgl. Die mittlere Gruppe umfaßt die Werke, die sich zwar ebenfalls noch innerhalb der Tradition halten, aber sie mit der Urkraft des eigenen Erlebens durchdringen und dadurch umbiegen, bereichern und ihren Formenkreis erweitern. Typisch dafür sind besonders die großen Klavierkonzerte der achtziger Jahre: sie verkörpern noch fühlbar das alte Ideal der Gesellschaftsmusik, aber es ist bereits persönlich gefaßt und gedeutet. In den Werken der dritten Gruppe endlich ist das Urerlebnis, die ursprüngliche Erschütterung des Künstlers, die Hauptsache, hinter der die Tradition vollständig verschwindet. Der Schwerpunkt des Schaffens ist vom aufnehmenden Teil, dem Gesellschaftspublikum, auf den Künstler übergegangen. Die Tradition ist in diesen Werken dergestalt vom Feuer des Mozartschen Genius durchglüht, daß sie schließlich der Asche gleich abfällt und ganz neue Gestalten erscheinen läßt. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob sich dieser Genius unmittelbar ausspricht, wie z.B. in den großen Sinfonien und Streichquintetten, oder sich des Mediums eines ihm von Hause aus fremden Stoffes bedient, wie z.B. in den großen Opern. Gerade an ihnen läßt sich das hier besprochene Verhältnis am deutlichsten aufzeigen: beim Idomeneo ist das künstlerische Urerlebnis weit stärker als beim Titus, der in die zweite Gruppe gehört, und bei Figaro, Don Giovanni und der Zauberflöte ist es wiederum stärker als bei allen andern Opern. Natürlich sind jene drei Gruppen im einzelnen Fall nicht reinlich voneinander geschieden; es gibt Misch- und Kreuzungsformen, denen nachzugehen einen besonderen Genuß gewährt.

      Was für Mozart besonders charakteristisch ist und ihn tatsächlich in die Nähe Goethes rückt – sonst sollte man diese beliebte Parallele nicht zu weit treiben – das ist sein schon in frühester Jugend hervortretender Drang, zu formen und zu gestalten. Er hat es nie über sich gebracht, gleich dem jungen Haydn und später dem jungen Schubert und Schumann, seinen seelischen Rohstoff fessellos dahinströmen zu lassen. Er verzichtet zunächst lieber auf alle bestechende Originalität und späht bei seinen zahlreichen Vorbildern nach den Zügen aus, die jenen Bildnertrieb in ihm zu stärken und zu fördern geeignet sind. Und zwar äußert sich dieser Trieb zunächst unbewußt, etwa bis zum Abschluß der italienischen Reisen, dann in bewußtem Streben, bis über den Idomeneo hinaus, und endlich in reifster Entfaltung von der Entführung bis zum Ende. Diese Einteilung des Mozartschen Schaffens scheint mir deshalb auch die natürlichste zu sein. Die zweite dieser Perioden liebt man neuerdings unter das Zeichen von Sturm und Drang zu stellen, der ja gegenwärtig in Literatur und Kunst wieder besonders hoch im Preise steht. Gewiß hat Mozarts Kunst hier viel von Sturm und Drang an sich, namentlich auch im Idomeneo, aber sie ist doch nicht selbst Sturm und Drang, denn selbst in den stürmischsten Ausbrüchen dieser Zeit ist immer noch jener Trieb erkennbar, zu gestalten und den Naturalismus in Kultur zu verwandeln. Man braucht sich nur die Art zu vergegenwärtigen, wie Mozart das Erbe Joh. Schoberts, eines der ausgesprochensten Stürmer und Dränger in der Musik, um- und weitergebildet hat, und man wird ohne weiteres erkennen, was ihn von jener Richtung grundsätzlich trennt.

      Die hauptsächlichsten Vorarbeiten für dieses Buch konnte ich zum Glück noch vor Kriegsausbruch abschließen; nur die französischen und englischen Bibliotheken waren mir nicht mehr erreichbar. Indessen ist die von dort zu erwartende Ernte nicht so reichlich, daß ich mich hätte bestimmen lassen, die Herausgabe des Werkes auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. Das freundlichste Entgegenkommen fand ich auf den italienischen Bibliotheken, die für die historischen Grundlagen der Mozartschen Kunst natürlich die reichste Ausbeute abwarfen, so namentlich auf der Konservatoriumsbibliothek von Neapel (Cav. Pagliara †), den Bibliotheken von S. Cecilia (Prof. Mantica) und der Casanatense in Rom, und der Bibliothek des Liceo musicale zu Bologna (Prof. Vatielli). Auch der Leitung der Biblioteca Estense in Modena, der Marciana

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