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und Geschichtlichen, aber er läßt sich dadurch nicht etwa zur Leugnung der Persönlichkeit verführen. Im Gegenteil, eines seiner Hauptverdienste besteht darin, daß er, namentlich durch seine Analysen, auch in der Musikgeschichte das Verständnis für die künstlerische Individualität geweckt und geschärft hat. Damit verband sich bei ihm allerdings sofort ein weiterer, echt romantischer Zug: das historische Betrachten und Zergliedern der Mozartschen Kunst wurde ihm unter der Hand zu einem Idealisieren, sie erschien ihm als ein fernes Märchenland, zu dem er in ewig ungestillter Sehnsucht hinblickte. Verstärkt wurde dieser Drang noch durch den eben damals auf der ganzen Linie entbrannten Kampf um Wagner, in den Jahn bekanntlich als entschiedener Gegner Wagners eingegriffen hat. Auch sein Mozart trägt die deutlichen Spuren davon. Wenn gerade Mozart geraume Zeit das seltsame Los gefallen ist, als reinster Vertreter der alten, "wahren" Kunst und ihrer "geheiligten" Formenwelt gegen die bösen Neuerer ausgespielt zu werden, so geht das in erster Linie auf Jahn zurück. Diese Kanonisierung Mozarts bezog sich aber nicht allein auf die Zeit Jahns, sondern auch auf das Verhältnis Mozarts zu seinen Vorgängern. Für Jahn strebt die ganze Entwicklung auf den einen, gewaltigen Höhepunkt Mozart zu, in dem sich alles Bisherige, Unfertige und Unvollkommene vollendet. Besonders die italienische Kunst hatte unter dieser Betrachtungsweise zu leiden, in der ganz deutlich das mächtig erstarkende Nationalbewußtsein der deutschen Romantik nachwirkt. Unterstützt wurde sie durch die der romantischen Geschichtsschreibung eigentümliche Art der Quellenbenutzung, die sich noch mit einer Auswahl von Quellen begnügte und danach eine allgemeine Anschauung von den Dingen zu gewinnen suchte. Hier ist der Punkt, an dem Jahns Werk zuerst abbröckeln mußte: die geschichtlichen Grundlagen seines Mozartbildes erwiesen sich als zu schwach, und damit mußte über kurz oder lang auch der darüber errichtete Bau ins Wanken geraten.

      Das von Jahn entworfene Idealbild Mozarts trägt aber auch in seiner Ausführung bis in Einzelheiten hinein das Gepräge der Romantik. Das Publikum, für das es bestimmt ist, ist dasselbe wie das, für das Mendelssohn, Schumann und Brahms ihre Werke schufen: das deutsche Bürgertum jener Tage mit seiner geistigen Regsamkeit und seiner feinen literarischen Bildung. Daher rührt die Wahrheit und Klarheit der Jahnschen Darstellung, die so wohltuend von der Windbeutelei und Selbstbespiegelung mancher moderner Autoren absticht, die erlesene Kunst in Aufbau und Ausdruck, die allem Aufdringlichen und Unechten peinlich aus dem Wege geht. Aber eben dieser Charakter läßt auch die Begrenztheit des Jahnschen Mozartideals deutlich erkennen: es hat etwas Bürgerliches, Wohlanständiges, wenn auch im allerbesten Sinne, es gleicht einem Mozartbilde, das für die gute Stube eines deutschen Bürgerhauses bestimmt ist, geschmackvoll und fein ausgeführt, aber doch im wesentlichen auf Geschmack und Anschauungswelt der Bewohner berechnet. Das zeigt sich schon rein biographisch in dem Streben, an Mozarts und der Seinen Persönlichkeiten alles, was vom Standpunkte gemeiner Moral nicht ganz einwandfrei ist, zu mildern und abzuschleifen, bei seinen verschiedenen äußeren Konflikten, besonders mit Erzbischof Hieronymus, unbedingt Partei für ihn selbst zu nehmen u. dgl. Unter demselben Zeichen steht aber auch der künstlerische Teil. Es ist sehr bezeichnend, daß Jahn es als einen Hauptvorzug der Mozartschen Kunst empfindet, daß sie den Gärungsprozeß, den sie ihren Schöpfer gekostet habe, dem Hörer erspare. Mozart ist für ihn der Meister des Fertigen, Abgerundeten, des vollendeten Ebenmaßes. Jahn kennt an ihm keine Überraschungen, keine seelischen Abgründe, keine plötzlich hervorschießenden Leidenschaften. Mozart, der seiner eigenen Zeit noch als unheimlicher Romantiker gegolten hatte, wurde jetzt, im Zeitalter der Romantik, zum Klassiker, und zwar wie ihn sich das damalige, ruheselige Bürgertum dachte, im Sinne einer reinen, von keinem Erdenrest der Leidenschaft getrübten, nach Nietzsches Wort apollinischen Schönheit. Das Jahnsche Mozartland gleicht den elysischen Gefilden des Gluckschen "Orfeo": "che puro ciel, che chiaro sol!" Das war nicht nur abermals eine Spitze gegen die zeitgenössische Oper Wagners, sondern auch eine fühlbare Reaktion gegen das Treiben der älteren romantischen "Beethovener", für die Mozart und Haydn bereits zum alten Eisen gehörten. Hier hat Jahn zur Herstellung des Gleichgewichts ungemein viel beigetragen.

      Sein Werk gehört somit nicht allein der Geschichtsschreibung, sondern auch der Geschichte seiner Zeit an, indem es die Richtung ihrer Ideen und ihres musikalischen Empfindens mit besonderer Treue widerspiegelt. Die heutige Zeit sucht von der Romantik loszukommen; sie ist vom idealistischen, konstruktiven Denken längst zum empirischen, realistischen übergegangen und damit auch in der Kritik und Benutzung der Quellen weit strenger geworden. Sie begnügt sich nicht mehr mit einer Auswahl, sondern strebt nach dem Ganzen. Aber auch der Künstlerpersönlichkeit als solcher tritt sie anders gegenüber. Sie drängt auch hier auf dem Wege der Empirie nach Vergeistigung, faßt das Problem vor allem von der psychologischen Seite und sucht es durch möglichst feine Zergliederung des Stils, als des Allerpersönlichsten, zu lösen. Jahn war hier mit seinen Analysen bereits auf dem besten Wege, wurde aber durch sein vorgefaßtes Ideal immer wieder davon abgelenkt. Gewiß ist es keiner Zeit und keinem Biographen gegeben, eine solche Aufgabe erschöpfend zu lösen, denn es gehört zum Wesen des schöpferischen Genius, daß er jeder Generation wieder andere Seiten seines Wesens offenbart. Aber wir haben wenigstens die Pflicht, uns über unsere jeweilige Stellung zu ihm immer wieder aufs neue Rechenschaft abzulegen und unsere geistige Selbständigkeit unseren Großvätern gegenüber zu wahren.

      Das ist aber im Falle Jahn-Mozart nur allzulange versäumt worden. Die verhängnisvollste Folge des Jahnschen Werkes war die lange Zeit allgemein verbreitete Ansicht, daß damit alle Arbeit nicht nur über Mozart, sondern auch über seine Zeit endgültig erledigt sei. Es begannen Jahrzehnte des Ausschreibens und damit des Verwässerns der Jahnschen Ergebnisse, goldene Zeiten für den Musikjournalismus, die bis in unsere Tage hineinreichen. Das Jahnsche Mozartbild, das zur Zeit seiner Entstehung noch eine lebendige Kraft gewesen war, begann, je mehr es in die breiteren Volksschichten hinabdrang, desto mehr zu erstarren und zu verblassen. Schließlich blieb ein ganz verblasenes, formales Schönheitsideal übrig, hinter dem das Beste an Mozart, seine Persönlichkeit, ganz verschwand. Er war jetzt wirklich der "ewig heitere Sonnenjüngling Amadeus" unserer jungen und alten Backfische geworden, der außerdem den großen Vorzug hatte, daß man sich geistig bei ihm fast gar nicht mehr anzustrengen brauchte. Kein Wunder, daß so mancher, dem dieses philiströse Ideal nicht mehr genügte, Mozart überhaupt den Rücken kehrte und sich dabei noch besonders fortschrittlich dünkte. So schwanken die Urteile über Mozart lange Zeit zwischen einer bei aller Ehrlichkeit recht epigonenhaften und zahnlosen Verehrungsmichelei (man lese z.B. die Ausführungen in E. Hanslicks Kritiken) und hochmütiger Ablehnung hin und her, die in einem Falle dem Gegner sogar bewußte Heuchelei vorgeworfen hat. Und doch mehren sich sowohl bei den Künstlern als bei den Forschern die Anzeichen dafür, daß man auch im Falle Mozart über die Anschauungen der Romantik hinauszukommen strebte. Man braucht nur R. Wagners Äußerungen über Mozart mit denen R. Schumanns zu vergleichen, um den großen Fortschritt zu erkennen. Von wissenschaftlicher Seite aus erfolgte der erste kritische Ansturm gegen Jahns Theorie von Mozarts absoluter Überlegenheit über alle Vorgänger und Zeitgenossen durch Fr. Chrysander in seinen bekannten Aufsätzen über den Mitridate, aber es sollte noch über zwei Jahrzehnte dauern, bis der hier angesponnene Faden, wenigstens was Mozarts Opern anlangte, wieder aufgenommen wurde. Fürs erste folgten alle zusammenhängenden Arbeiten über Mozart dem Beispiel von Hermann Deiters und behielten die Jahnsche Grundlage bei. Am selbständigsten tat dies O. Fleischer in seinem Mozart (Berlin 1900); er hat das Verdienst, auf wichtige Punkte, wie das Verhältnis Mozarts zu Joh. Christ. Bach, als erster hingewiesen zu haben und gibt außerdem im Anhang eine sehr sorgfältige Bibliographie. Weit weniger selbständig ist das umfangreiche Buch von K. Storck, Mozart, Stuttgart 1908, das sich aufs engste, zum Teil bis in den Ausdruck hinein, Jahn anschließt. Wo es über ihn hinauszugehen versucht, stehen wir auf einem geschichtlich sehr schwankenden Boden, und auch die zahl- und umfangreichen kulturgeschichtlichen Erörterungen, die übrigens für eine bestimmte Art moderner Kunstschriftstellerei typisch sind, können trotz ihren geistreichen Einzelheiten die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß über Jahn hinaus mit diesem Buch zum mindesten kein Fortschritt erfolgt ist. Der Mozart von Leopold Schmidt (Berlin 1912) vollends bekennt sich ganz zur populären Musikschriftstellerei.

      Bessere Ergebnisse als diese Epigonen Jahns hatte die wissenschaftliche Kleinarbeit über Mozart seit 1889 zu verzeichnen. Bibliographisch ist hier nach

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