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Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Читать онлайн.Название Wolfgang Amadeus Mozart
Год выпуска 0
isbn 9783849601973
Автор произведения Hermann Abert
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Auch ist L. Mozart keineswegs die Salzburger Lokalgröße gewesen, zu der ihn einzelne Leute gern herabdrücken möchten. Noch vor dem Erscheinen seiner Violinschule, 1753, ernannte ihn L. Mizler zum Mitglied der "Societät der musikalischen Wissenschaften" in Leipzig, was Mozart dem Verleger Lotter am 24. November mit den Worten mitteilt25:
Ihnen im größten Vertrauen gesagt, man hat mir einen Brief von einem weiten Ort geschrieben, wo man mir berichtet, daß man gedenket mich als ein Mitglied – erschrecken Sie nicht! – – oder – – lachen Sie nicht – – mich als ein Mitglied der correspondierenden Societät musikalischer Wissenschaften zu ernennen. Potz Plunder! das spritzt. Schwätzen Sie aber ja nicht aus der Schule, denn es möchten nur Winde sein. Ich einmal hab mein Lebstag nicht einmal daran gedacht; das weiß ich als ein ehrlicher Mann zu sagen.
Am 23. Juni 1759 aber redet Marpurg, der eine ähnliche Gesellschaft in Berlin begründet hatte, den Salzburger Kunstgenossen folgendermaßen an26:
Die Gesellschaft ist Willens, ihre periodischen Aufsätze in Briefen herauszugeben, und sie wird sich die Freyheit nehmen, ihre Briefe an Personen von Verdienst, Einsicht und Geschmack zu richten. Konnte selbige bey diesem Vorsatze einen glücklicheren Anfang machen als mit Ihnen?
Diese Beziehungen des Vaters Mozart zu den norddeutschen Musikern verdienen entschieden mehr beachtet zu werden, als es bisher der Fall war; haben sie sich doch sehr bald auch für die Entwicklung des Sohnes als besonders wichtig erwiesen. Aber auch mit den ersten Musikverlegern der Zeit gelang es L. Mozart Verbindungen anzuknüpfen, was bei dem damaligen Brauche, der bei Tonwerken nur mit den Bedürfnissen des Tages und mit sehr beschränkten Abnehmerkreisen rechnete, immerhin schon ein gutes Maß künstlerischen Ansehens voraussetzt. Der Nürnberger Verleger J.U. Haffner hat uns in seinen (Euvres mêlées Mozarts drei Klaviersonaten erhalten und in den Katalogen Gottlob Immanuel Breitkopfs in Leipzig erscheinen von 1762 an 20 Werke von ihm angezeigt, von denen freilich nur sieben erhalten sind.
Die Behauptung, L. Mozart habe, als er Wolfgangs Genie aufdämmern sah, das eigene Schaffen völlig eingestellt und nur noch der Erziehung des Sohnes gelebt, ist in dieser Bestimmtheit unrichtig. Das hätten ihm ja schon seine Amtspflichten verboten. Tatsächlich wissen wir von ihm selbst, daß er während des kurzen Salzburger Aufenthalts zwischen den italienischen Reisen verschiedene Kirchensachen geschrieben hat27, und im Jahre 1770 raffte er sich sogar, angefeuert durch Wolfgangs Erfolge, in Rom noch zur Komposition einer Sinfonie auf28. Aber freilich, den Vergleich mit früher hielt diese schöpferische Tätigkeit nicht entfernt mehr aus. Bei den vielen Reisen und sonstigen Mühen, die mit der Erziehung des Sohnes verbunden waren, ließ sich seine Muse immer seltener vernehmen und verstummte schließlich ganz. In seinen letzten, schwer verbitterten Jahren hat er sie sogar selbst verleugnet und ihr so vor der Zeit das Grab gegraben.
Hinter einem Manne wie L. Mozart, der sich sein Leben durchweg selbst gezimmert hat, wird man mit Fug auch eine eigentümliche, selbständige Persönlichkeit suchen. Die meisten älteren Biographen, Jahn an der Spitze, haben in ihrem romantischen Drange, alles zu idealisieren, was mit ihrem Helden zusammenhängt, auch L. Mozart zum idealen Vater eines Genies gemacht und ein verklärtes Bild von seinem Wesen entworfen, das den Tatsachen nicht entspricht. Neuerdings ist ein natürlicher Rückschlag eingetreten: die ehrwürdige Patriarchengestalt ist einem Charakterbilde gewichen, das vorwiegend aus Schwächen, wie Pedanterie, Starrsinn, Eitelkeit, Neid und kleinbürgerlicher Selbstgefälligkeit zusammengesetzt ist, ja L. Mozart erscheint hier geradezu als das Verhängnis seines Sohnes29. Dieser seltsame Umschlag beweist nur, wie schwer es ist, den Vätern großer Männer gegenüber unbefangen zu bleiben, zumal wenn sie, wie in unserem Falle, ihren eigenen Charakterkopf haben. Das rationalistische Streben, ihre Charaktere auf bestimmte typische Formeln zu bringen, wird zum Haupthindernis der Erkenntnis ihrer eigentlichen Persönlichkeit. L. Mozart liefert den besten Beleg dafür.
Seine schwäbische Abkunft hat an seinem Wesen einen entscheidenden Anteil. Die ihm eigene schwerblütige, oft grüblerische Art, das Leben zu nehmen, die bis zur Dickköpfigkeit gesteigerte Zähigkeit in der Verfolgung seiner Ziele, auch der eigentümliche, trockene Humor verraten den Schwaben nicht minder als die merkwürdige Schlauheit, die er im Verkehr mit den Menschen an den Tag legt. Er war unablässig bemüht, diesen Blick für die Menschen und die realen Verhältnisse zu schärfen, um sie desto besser zu seinem Vorteile lenken zu können, und er ist darüber je länger desto mehr zum Verächter, ja zum Feinde der Menschen geworden. "Die Menschen sind alle Bösewichter", schreibt er 1777 an den Sohn30, "je älter Du wirst, je mehr Du Umgang mit den Menschen hast, je mehr wirst Du diese traurige Wahrheit erfahren. Denke nur auf alle Versprechen, Maulmacherei und hundert Umstände, die mit uns schon vorgegangen sind, und mache den Schluß selbst, wieviel auf Menschenhilfe zu bauen ist, da am Ende jeder geschwind eine scheinbare Ausflucht weiß oder erdichtet, um die Verhinderung seiner guten Gesinnung auf die Schuld eines Dritten hinüber zu wälzen". In diesem Pessimismus zeigt sich der richtige Jünger der Aufklärung, der L. Mozart überhaupt seiner ganzen Weltanschauung nach war; er entsprang demselben Traume von einer vollkommeneren Welt, der in weicheren Gemütern damals das schwärmerische Verlangen nach Seelenaustausch und wechselseitiger Veredlung hervorgerufen hat.
Es war freilich kein weltfremder und tatenloser Pessimismus, dem L. Mozart huldigte. Davor bewahrte ihn seine ausgesprochene Willensnatur und besonders sein unwandelbares Gefühl der Pflicht zuerst sich selbst und später dem Talente des Sohnes gegenüber. Das ist der Zug seines Wesens, der sich dem Betrachter zuerst und am öftesten aufdrängt. Die einen haben ihn daraufhin zu einem Helden idealster Entsagung, die andern zu einem beschränkten Pedanten gemacht. Beides ist gleich falsch.
Zum guten Teil wurzelte jenes Pflichtgefühl in seiner religiösen Anschauung. L. Mozart war überzeugter Katholik, er regelte sein Verhältnis zu seiner Kirche mit derselben peinlichen Genauigkeit, die auch in seinem Hauswesen herrschte, und Züge von Bigotterie fehlen dabei durchaus nicht; auch hütete er seine Familie ängstlich vor dem gefährlichen Einfluß anderer Bekenntnisse. Am 15. Dezember 1777 schreibt er dem Sohne: "Darf ich wohl fragen, ob Wolfgang nicht auf das Beichten vergessen hat? – – Gott geht vor Allem. Von dem müssen wir unser zeitliches Glück erwarten, und für das ewige immer Sorge tragen: junge Leute hören dergleichen Sachen nicht gerne, ich weiß es, ich war auch jung; allein, Gott sei Dank gesagt, ich kam doch bey allen meinen jugendlichen Narrenspossen immer wieder zu mir selbst, floh alle Gefahren meiner Seele und hatte immer Gott und meine Ehre, und die Folgen, die gefährlichen Folgen vor Augen"31. Die letzten Worte deuten bereits auf den starken aufklärerischen Zug seines religiösen Lebens hin. Er verwahrt sich ausdrücklich gegen den Vorwurf des "Betbruders" und des "Scheinheiligen"32, vor allem aber hatte es ihm die religiöse Aufklärung angetan, wie sie damals in Norddeutschland ihren klassischen Dichter in Gellert gefunden hatte. Seine Verehrung für Gellert ist ein schlagendes Beispiel für das Ansehen, dessen sich der Leipziger Dichter bei beiden Bekenntnissen erfreute, und daß er sogar den Sohn als Kind in die Welt des protestantischen Kirchenliedes einführte, wird bald durch ein höchst merkwürdiges Zeugnis zu belegen sein33. Es ist bei alledem kein Wunder, daß L. Mozart trotz aller Anhänglichkeit an die Kirche gegen Ende seines Lebens noch dem Freimaurerorden beigetreten ist.
Auch bei den Grundsätzen, die er sich für die Erziehung seines Sohnes, methodisch wie immer, zurechtlegt, spricht die Religion das entscheidende Wort. Die Art, wie