Скачать книгу

      Jetzt nickte Dr. Daniel. »Eva-Maria war eines der ersten Babys, die ich in meiner Eigenschaft als Gynäkologe hier in Steinhausen auf die Welt geholt habe.« Er warf einen Blick durch die Glasscheiben der Intensivstation. »Jetzt wäre sie an ihrer ersten Schwangerschaft beinahe gestorben.«

      »Sie wußten weder etwas von dieser Schwangerschaft noch von der Spirale, die sie immer noch trug«, stellte Dr. Parker fest. »Gehört Fräulein Neubert denn nicht zu Ihrem Patientenkreis?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist vor knapp einem Jahr zu meiner Kollegin in die Kreisstadt gewechselt. Wahrscheinlich hatte sie auf einmal Bedenken, sich von einem Mann an ihren intimsten Stellen untersuchen zu lassen. Viele Mädchen entwickeln in dieser Richtung plötzlich starke Schamgefüh-

      le.«

      Dr. Parker dachte eine Weile nach, dann lächelte er. »Irgendwie kann ich das verstehen. Wenn ich mir vorstelle, ich müßte mich von einer Urologin untersuchen lassen…, ich glaube, da hätte ich auch Hemmungen, mich vor ihr auszuziehen.«

      Dr. Daniel nickte. »So gesehen haben Sie recht. Andererseits wissen Sie selbst ja auch, daß man als Arzt immer nur den Patienten sieht – gleichgültig, welchen Geschlechts er ist. Und ich denke, einer Ärztin geht es da nicht anders.«

      Jetzt lächelte Dr. Parker. »Sie müßten das eigentlich am allerbesten wissen, Robert. Immerhin sind Sie seit kurzem mit einer Ärztin verheiratet.«

      »Ich werde Manon bei Gelegenheit fragen, was sie empfindet, wenn ein gutaussehender Patient bei ihr im Sprechzimmer erscheint«, entgegnete Dr. Daniel schmunzelnd. »Schließlich ist das für mich in vielerlei Hinsicht interessant zu wissen.«

      Dr. Parkers Züge wurden fast spitzbübisch. »Fragt sich nur, ob sie Ihnen die Wahrheit sagen wird.«

      Dr. Daniel drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Mein lieber Jeff, Sie sind wohl früher ein rechter Lausbub gewesen.«

      Der junge Anästhesist nickte ohne zu zögern. »Der schlimmste von ganz Kalifornien. Und einen großen Teil davon habe ich mir bewahrt.« Er wurde plötzlich ernst. »Ich finde es traurig, wenn man als Erwachsener jeglichen Humor verliert – abgesehen davon, daß ich eigentlich nie ganz erwachsen werden möchte.« Er senkte den Kopf. »Vor ein paar Jahren, als Doreen… meine Verlobte starb, habe ich die Hölle durchlebt, und manchmal habe ich das Gefühl, als würde mich das ganze Elend von damals wieder einholen. Viele meiner Freunde haben nach diesem schrecklichen Unglück gesagt, ich würde dadurch wohl endlich erwachsen werden.« Er brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Ich bin es nicht geworden, und ich will es auch nicht werden. Ich will noch nicht fertig sein…, ich möchte etwas lernen…, etwas entdecken können…, irgendwann vielleicht sogar eine neue Liebe, obwohl das jetzt noch in weiter Ferne liegt.«

      Dr. Daniel war erstaunt über diese Offenheit. Noch nie hatte Jeff so viel über sich erzählt, und Dr. Daniel freute sich über das Vertrauen, das der junge Mann ihm offenbar entgegenbrachte. Impulsiv legte er einen Arm um Dr. Parkers Schultern.

      »Ich bin froh, daß Sie so sind, Jeff«, meinte er, dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Allmählich wird es Zeit für mich, nach Hause zu gehen.«

      Doch Dr. Parker spürte, wie er zögerte.

      »Gehen Sie nur, Robert«, erklärte er. »Ich kümmere mich schon um Ihre Patientin – abgesehen davon, daß sie sowieso die meiste Zeit schlafen wird. Immerhin hat sie eine ziemlich starke Narkose bekommen.«

      Das wußte natürlich auch Dr. Daniel, trotzdem drängte es ihn, noch eine Weile bei Eva-Maria zu bleiben.

      »Es ist wirklich nicht nötig, daß Sie auch noch Ihren Nachtschlaf opfern«, betonte Dr. Parker. »Ich habe sowieso Dienst, und Sie können sich darauf verlassen, daß ich…«

      »Ich weiß, Jeff«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Es ist auch wirklich kein Mißtrauen gegen Sie, aber gerade nach so schwierigen Operationen ist es nicht ganz einfach für mich, mich von dem Fall zu lösen – und zudem kenne ich diese Patientin nun schon eine so lange Zeit.«

      »Wenn es Sie beruhigt, rufe ich Sie an, falls sich an dem Zustand der Patientin etwas ändern sollte«, bot Dr. Parker an.

      Dr. Daniel nickte. »Das würde mich tatsächlich beruhigen.« Er sah den Anästhesisten an. »Rufen Sie aber wirklich an, Jeff. Gleichgültig, um welche Uhrzeit es sein sollte.«

      Dr. Parker legte die rechte Hand auf sein Herz und lächelte. »Großes Indianerehrenwort.«

      Dr. Daniel mußte lachen. »Sie sind wirklich unverbesserlich.« Und dabei dachte er, daß es wohl gerade das war, was einen großen Teil von Jeffs Beliebtheit bei den Kollegen, Schwestern und Patienten ausmachte. Daneben war er natürlich auch ein herausragender Anästhesist.

      *

      Noch vor Beginn seiner Sprechstunde fuhr Dr. Daniel zur Waldsee-Klinik, um nach Eva-Maria zu sehen, und ihr Zustand hatte sich tatsächlich ein wenig gebessert, wenn sie im Moment auch noch schlief. Die Temperatur war ebenfalls gesunken und damit schon fast normal, was den Arzt unter den gegebenen Umständen beruhigte. Trotzdem ließ er die Patientin noch auf der Intensivstation, um kein unnötiges Risiko einzugehen.

      »Der Chefarzt möchte Sie sprechen«, erklärte Schwester Bianca, als Dr. Daniel die Intensivstation verließ.

      Mit einem tiefen Seufzer sah der Arzt auf die Uhr. »Eigentlich sollte jetzt meine Sprechstunde beginnen. Fräulein Sarina wird mich vierteilen, und Fräulein Meindl wird ihr dabei vermutlich helfen.«

      Bianca, die sowohl Dr. Daniels Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau als auch die Empfangsdame Gabi Meindl kannte, schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Ihre beiden Damen verehren Sie viel zu sehr, als daß sie Ihnen auch nur ein Haar krümmen würden«, meinte sie. »Aber ich kann Dr. Metzler natürlich sagen, daß Sie erst mittags für ihn Zeit haben.«

      Doch Dr. Daniel winkte ab. »Fünf Minuten mehr oder weniger machen jetzt eigentlich auch nichts mehr aus. Ich komme sowieso schon viel zu spät in die Sprechstunde.« Er schmunzelte. »Aber daran sind meine beiden Damen ja ebenfalls gewöhnt.«

      Trotzdem machte er sich jetzt rasch auf den Weg zur Chirurgie und traf den Chefarzt Dr. Wolfgang Metzler in dessen Büro an. Erstaunt blickte der Dr. Daniel an.

      »Mit dir habe ich um diese Zeit noch gar nicht gerechnet«, gab er offen zu.

      »Mit mir muß man eben rechnen«, scherzte Dr. Daniel.

      Der Chefarzt zog die Augenbrauen hoch. »Du bist ja richtig gut gelaunt.«

      »Stimmt«, meinte Dr. Daniel. »Eine Patientin, die mir gestern abend beinahe auf dem OP-Tisch weggestorben wäre, ist jetzt auf dem Wege der Besserung. Das ist für mich ein Grund zur Freude.« Er lächelte. »Und wag es ja nicht, mir meine gute Laune mit irgendwelchen Hiobsbotschaften zu vermiesen.«

      Dr. Metzler betrachtete die dünne Akte, die vor ihm lag, und zuckte die Schultern. »Ob es eine Hiobsbotschaft ist, weiß ich noch nicht. Uns wurde ein Zivildienstleistender zugeteilt. Sàndor Balog.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Der Name klingt irgendwie ausländisch.«

      »Ungarisch«, belehrte Dr. Daniel ihn. »Sàndor wurde in Pècs geboren, kam nach dem Tod seines Vaters aber schon als Fünf-jähriger mit seiner Mutter hierher. Karin stammte ursprünglich aus Steinhausen, ging aber aus Liebe zu Jànos Balog nach Ungarn.«

      »Du bist ja wieder mal glänzend informiert«, stellte Dr. Metzler fest. »Komisch, ich bin in Steinhausen geboren und aufgewachsen, aber…«

      »Aber dann bist du für etliche Jahre ins Ausland gegangen«, vollendete Dr. Daniel den angefangenen Satz seines Kollegen. »Währenddessen ist in Steinhausen die Zeit allerdings auch nicht stehengeblieben.« Er lächelte. »Auch wenn man manchmal diesen Eindruck haben könnte.«

      Dr. Metzler nickte. »Ja, da hast du wohl recht.« Er schwieg einen Moment und betrachtete wieder die Akten vor sich. »Was ist dieser Sàndor eigentlich für ein Mensch?«

      »Ein

Скачать книгу