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Falls Chinchilla nicht den geraden Kurs wählte, sondern es vorzog, zunächst zur französischen Küste hin abzufallen, würde auch eine intensivere Suche im Morgengrauen kaum den erhofften Erfolg bringen.

      Dan O’Flynn kehrte schon wieder zurück. Er hatte lediglich die Kleidung gewechselt und trug jetzt festeres Zeug, durch das die Nässe nicht mehr so leicht hindurchdrang.

      „Der Ärger geht erst los!“ prophezeite Old Donegal auf der Kuhl. „Wegen eines solchen Affenarsches müssen wir den Konvoi verlassen.“

      „Reg dich nicht auf, Admiral!“ rief der Profos mit mühsam gedämpfter Stimme. „Das schadet der guten Verdauung. Außerdem sind die ‚Isabella‘ und die ‚Wappen von Kolberg‘ auch noch da. Oder traust du den Kerls überhaupt nichts zu?“

      Old O’Flynns Antwort hörte Hasard nicht mehr, weil Dan ihn in dem Moment anstieß und nach Backbord voraus deutete.

      „Da!“ raunte er. „Ein Schatten. Schätzungsweise fünfhundert Yards Distanz.“

      Hasard sah nichts. Wieder einmal bewahrheitete sich, daß Dan Augen wie ein Falke hatte.

      „Es ist die Schatzgaleone.“ Dan O’Flynn verriet nicht, woran er das erkannte. Wahrscheinlich zog er seine Schlüsse aus der Tatsache, daß das Schiff ohne Licht segelte.

      „Ruder ein Strich Backbord!“ rief der Seewolf halblaut zur Kuhl hinunter. Der Befehl wurde weitergegeben.

      Das Knarren der Rahruten, das Singen der Pardunen und das monotone Rauschen der Bugwelle veränderten sich nur wenig. Langsam schwenkte die Schebecke herum.

      „Gut so!“ rief Dan.

      Hasard sah die „Nuestra Señora de lagrimas“ noch immer nicht. Aber dann entdeckte er den fahlen Schimmer einer sich verlaufenden Hecksee. Allerdings fand er den feinen Schaumstreifen nur, weil er wußte, wo er danach suchen mußte.

      „Ausgezeichnet!“ lobte er. „Wir gehen bis auf Tuchfühlung ran.“

      „Soll ich den Rudergänger einweisen?“

      „Genau das wollte ich eben anordnen, Dan. Chinchilla soll der Schreck in alle Glieder fahren, daß er ihn so schnell nicht mehr vergißt.“

       5.

      Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lief mit gutem Wind südwärts. Nach und nach verschwanden die Lichter des Konvois achteraus in der Nacht.

      Je mehr Zeit verstrich, desto ruhiger wurde Capitán Chinchilla. Don Julio de Vilches und seine Mannschaften waren auch nur Menschen mit allen Fehlern und Schwächen. Wahrscheinlich würde sich der Sonderbeauftragte in den Hintern beißen, wenn er bei den ersten Sonnenstrahlen feststellte, daß eine der Schatzgaleonen fehlte.

      Alvaro Chinchilla bedauerte nur, daß er nicht dabeisein konnte, um diesen Anblick zu genießen. Wenn sich nun noch herausstellte, daß de Vilches auf eigene Faust handelte und ein Schwindler und Betrüger war …

      Der Capitán stutzte. Irgend etwas hatte seine Aufmerksamkeit geweckt, nur wußte er nicht zu sagen, was.

      Ein Geräusch.

      Er lauschte aufmerksam, aber vergeblich. Da waren nur das Singen des Windes in Stagen, Wanten und Pardunen, das leise Knistern der Segel und das Ächzen und Stöhnen des Schiffsrumpfs, sobald er sich in ein Wellental senkte und dabei noch weiter überholte. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ war ein gutes Schiff, das schon manchen Sturm schadlos überstanden hatte, selbst wenn andere, leichter beladene Galeonen dabei zu den Fischen gingen.

      Zufrieden klopfte Chinchilla mit der flachen Hand auf die Brüstung der Achterdecksverschanzung. Die „Señora“ war treuer und anspruchsloser als alle Frauen, die er an Land kennengelernt hatte.

      Sie teilte alles mit ihm, Freude und Trauer ebenso wie Hunger und Überfluß, sie gab ihm ein Zuhause, in dem er sich wohlfühlte, und er sorgte dafür, daß ihre Plankennähte stets dicht waren und der Rumpf frei von Muscheln und anderem Bewuchs.

      Unwillkürlich kniff Chinchilla die Brauen zusammen. Sein Blick wanderte über die schäumende Hecksee, glitt tiefer in die Dunkelheit und weiter nach Backbord. Die gischtende Woge, die dort scheinbar mit der „Señora“ mitlief, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diese Woge schien sich zu teilen, als würde sie gegen ein verborgenes Riff gedrückt.

      Nur gab es eben keine Felsen, die achterlich einem Schiff folgten.

      Im selben Moment wußte der Kapitän, daß seine Hoffnungen trogen. Julio de Vilches segelte keine halbe Kabellänge hinter ihm.

      Die Folgen konnte er sich an den Fingern einer Hand abzählen.

      „Nicht mit mir!“ stieß er gepreßt zwischen den Zähnen hervor. „Das Gold der ‚Señora‘ wurde noch nie nach Irland verfrachtet, und das wird es auch diesmal nicht.“

      Er peilte nochmals an der Hecklaterne vorbei in die Nacht. Die gischtende Woge, die er für die Bugwelle der Schebecke hielt, war noch da. Sie schien sich sogar ein Stück genähert zu haben.

      Alvaro Chinchilla hastete nach vorn zur Kuhl.

      „Bereit zum Anluven!“ befahl er mit halblauter Stimme. „De Vilches segelt auf kurze Distanz hinter uns.“

      Die Männer reagierten unterschiedlich. Einige stöhnten unterdrückt, andere murrten oder ergingen sich in Verwünschungen. Jemand rief, daß es sinnlos und verrückt sei, sich gegen de Vilches aufzulehnen. Chinchilla erkannte die Stimme nicht.

      Aber gerade deshalb sagte er: „Wem meine Entscheidung nicht paßt, der kann über Bord springen. Laßt euch von der Schebecke auffischen.“

      Zufrieden registrierte er, daß Brassen und Schoten klargelegt wurden. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ mußte hoch an den Wind gehen und wieder blitzschnell abfallen, sobald die Schebecke folgte. Ihm war klar, daß nur die Hecksee die Position der Galeone verraten haben konnte, so wie er den Verfolger wegen seiner Bugwelle entdeckt hatte.

      Die einzige Chance bestand darin, kurzfristig die Distanz zu vergrößern und backzubrassen, bis die Fahrt gänzlich aufgezehrt war. Mit aufgetuchten Segeln würde die „Señora“ lediglich mit der Strömung treiben und keine verräterische Spur nach sich ziehen. Der nahende Morgen mußte dann zeigen, ob die Entscheidung richtig gewesen war.

      Chinchilla hoffte, daß der Sonnenaufgang nicht schon in drei Stunden erfolgte, sondern daß die Dämmerung wegen der undurchdringlichen Wolkendecke länger auf sich warten ließ.

      Er erteilte den Befehl zum Anluven, als auf der kaum noch fünfzig Schritte entfernten Schebecke eine starke Blendlaterne aufflammte. Ihr Schein reichte aus, das Achterschiff der „Señora“ der Dunkelheit zu entreißen.

      „Schneller, Männer!“ zischte der Kapitän. „Zwanzig Peitschenhiebe für jeden, der nicht spurt!“

      Sie gaben ihr Bestes, die Galeone luvte hart an, aber der zitternde Lichtkegel ruhte unverrückbar auf dem Heck.

      Als die Schebecke noch höher an den Wind ging und weiter aufschloß, ließ Chinchilla abfallen.

      Mit schlagenden, sich rasch wieder blähenden Segeln glitt die Galeone so dicht an der Schebecke vorbei, daß Einzelheiten sichtbar wurden. Vorübergehend nahm die „Nuestra Señora de lagrimas“ dem Dreimaster sogar den Wind aus den Segeln.

      „Geben Sie auf, Capitán!“ rief Julio de Vilches vom Achterdeck herüber. „Sie werden sich den Unmut des Königs zuziehen!“

      Chinchilla lachte schrill.

      „Kein Ire wird unser Gold und Silber je zwischen die Finger kriegen“, brüllte er zurück. „Ich traue Ihnen nicht mehr, de Vilches! Wer sagt mir, daß Sie nicht selbst versessen auf die Schätze sind?“

      „Ich!“ erklang es laut und ohne jede Regung. Der Schein der Blendlaterne huschte über die Galeone und verharrte auf dem Capitán.

      „Wenn

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