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an, in der Dunkelheit unterzutauchen. Geräuschvoll füllte der Wind wieder die Lateinersegel der Schebecke.

      Auf drei- bis vierhundert Yards schätzte Chinchilla die Distanz, bis die Verfolger ebenfalls auf dem neuen Kurs lagen. Das war herzlich wenig, doch es mußte genügen.

      Die Laterne war gelöscht worden. Wo er auch hinblickte, der Kapitän glaubte dennoch ihren hellen Schein zu sehen. Selbst wenn er die Lider schloß, wich die Blendwirkung nur zögernd. Er stieß eine ellenlange Verwünschung aus, die seine aufkeimende Unsicherheit überspielen sollte.

      „Halten Sie es wirklich für angebracht, den Sonderbeauftragten herauszufordern, Capitán?“ Der Erste Offizier stand plötzlich neben ihm. Die Daumen hatte er herausfordernd hinter den Waffengurt gehakt. „Die Schebecke ist schneller als unsere Galeone und schwerer bestückt.“

      „Wollen Sie mir Vorschriften erteilen, Serrador?“ fragte der Kapitän gereizt.

      „Ich versuche nur zu erinnern, daß nicht die gesamte Mannschaft Ihr Vorgehen billigt.“

      „Vergessen Sie’s!“ Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte Chinchilla sämtliche Bedenken beiseite. „Ich weiß, was ich tue.“ Das klang lauernd und aggressiv.

      „Selbstverständlich, Capitán“, beeilte sich José Serrador zu versichern. „Daran habe ich nie gezweifelt.“

      Chinchilla wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. „Lassen Sie die achteren Geschütze klarmachen!“

      „Capitán …“

      „Haben Sie mich verstanden?“

      „Jawohl“, stieß der Erste knirschend zwischen den Zähnen hervor. „Es ist Ihre Entscheidung.“

      Um Alvaro Chinchillas Mundwinkel zuckte es verhalten, als er wieder allein an der brusthohen Verschanzung lehnte und in die Nacht starrte. Er würde sich bald nach einem anderen Ersten umsehen. Das Gefühl, daß Serrador nach der Kapitänswürde strebte, ließ sich nicht mehr ignorieren.

      Die Gedanken des Spaniers wurden schnell in andere Bahnen gelenkt, als er achteraus, in der Hecksee der Galeone, einen Schatten entdeckte. Offenbar schloß die Schebecke erneut auf. Die Entfernung betrug höchstens noch zweihundert Schritte.

      Ein verächtliches Lächeln umspielte Chinchillas Mundwinkel. Er wandte sich um und rief: „De Vilches segelt im Kielwasser hinter uns. Feuer frei für die Heckgeschütze! Ohne Befehl feuern!“

      Wer die Anordnung weitergab, wußte er nicht, es war ihm auch ziemlich egal. Jedenfalls hörte er gleich darauf das Poltern der schweren Lafetten, das von der Galerie zu erklingen schien. Die beiden Achtzehnpfünder standen aber auf dem Deck darunter, zu beiden Seiten des Ruderblatts.

      Die Kanonen wurden ausgerannt und auf ein Ziel ausgerichtet, das auf dem Batteriedeck niemand sehen konnte. Hauptsache, die Kerle hielten drauf und Don Julio de Vilches erkannte, daß seiner Macht Grenzen gesetzt waren.

      Alvaro Chinchilla dachte an die leider nur spärlichen Informationen, die die Kapitäne erhalten hatten, während der Konvoi auf Reede vor Havanna zusammengestellt worden war. Auf Ost-Nord-Ost-Kurs nach Teneriffa zu segeln, war wirklich neu gewesen.

      Im dortigen Haupthafen Santa Cruz, so hatte es geheißen, würde der Geleitzug vom Kommandanten de Vilches mit seiner riesigen Kriegsgaleone „Casco de la Cruz“ übernommen werden. Nun, Don Julio de Vilches war da, jedoch nicht mit einem Schiff, sondern gleich mit deren drei, und er ließ auch nicht Spanien anlaufen, sondern segelte geradewegs nach Irland.

      Niemand, selbst der Generalkapitän nicht, kannte den Kommandanten persönlich.

      Chinchilla hämmerte mit der Faust auf den Handlauf. Er ahnte, daß er der Antwort auf viele Fragen so nahe war wie nie zuvor – aber noch entzog sie sich seinem Zugriff.

      Unter ihm brüllte das Backbordgeschütz auf. Zuckender Feuerschein erhellte für die Dauer eines Lidschlags die See ringsum, dann wölkte dichter Pulverdampf hoch.

      Durchs Spektiv versuchte der Kapitän, den Einschlag des Geschosses zu erkennen. Leider sah er nicht einmal mehr den Schatten, den er für die Schebecke hielt. Vor seinen Augen tanzten grelle Lichterscheinungen einen verwirrenden Reigen. Er blinzelte und massierte mit den Fingerspitzen Augenwinkel und Nasenwurzel.

      Nicht minder heftig zündete das zweite Rohr. In das Krachen der Pulverladung mischten sich andere Geräusche, ein Dröhnen, Splittern und Poltern, als würde das Schiffsheck bersten, und dazwischen die Flüche der Männer. Wahrscheinlich war eins der Brooktaue gebrochen, die den Rückstoß des Geschützes auffingen, und die Lafette hatte eine Innenwand durchschlagen.

      Der Kapitän konnte nicht feststellen, ob ein Wirkungstreffer erzielt worden war. Achteraus blieb alles ruhig. Er biß sich auf die Unterlippe, bis er warmen Blutgeschmack im Mund verspürte. Angewidert spie er aus.

      „Die Blinde setzen!“

      Vergessen war die Absicht, ohne Fahrt über Grund abzuwarten. Die Schebecke lauerte in unmittelbarer Nähe, das spürte er beinahe körperlich. Ihr davonzulaufen, war das einzige, was noch blieb, nachdem die Schüsse den Standort der „Señora“ verraten hatten. Was spielte es da für eine Rolle, ob die Männer beim Vorheißen der Blinde Gefahr liefen, den Halt zu verlieren?

      Keine hundert Schritte entfernt blitzte es auf. Der Kanonendonner rollte einen Augenblick später heran und klang wie Hohngelächter in Chinchillas Ohren.

      Fünf Mannslängen hinter der Galeone stieg eine gigantische Wassersäule aus der See empor und fiel rauschend und schäumend wieder in sich zusammen.

      Zwei weitere Mündungsblitze verrieten, daß de Vilches keineswegs davor zurückschreckte, seine Befehle mit Waffengewalt durchzusetzen. Beide Einschläge lagen so dicht neben dem Heck der „Señora“, daß Alvaro Chinchilla unwillkürlich den Atem anhielt, weil er jeden Augenblick das Splittern von Planken zu hören glaubte. Die Fontänen stiegen höher als das Achterdeck und überschütteten ihn mit einem Schwall eisigen Wassers.

      Er lief nach vorn.

      „Was ist los mit der Blinde?“ brüllte er. „Wie lange soll ich warten?“

      Vor dem Niedergang zur Kuhl vertrat ihm der Erste den Weg. „Befehlen Sie beizudrehen, Capitán!“

      „Noch haben wir nicht verloren.“

      „De Vilches schießt uns in Grund und Boden.“

      „Das wird er nicht wagen.“

      „Er segelt auf.“

      Die Hecklaterne und zwei kleinere Lichter mittschiffs erhellten jetzt die Decks der Schebecke. Sie rauschte mit einem Tempo heran, mit dem die Schatzgaleone niemals mithalten konnte. Chinchilla ballte die Hände zu Fäusten, sein Gesicht verzerrte sich in ohnmächtigem Zorn.

      Kaum einer kümmerte sich noch um die Blinde. Alle starrten dem Dreimaster entgegen, der so hart auf die „Nuestra Señora de lagrimas“ zuhielt, als hätte die Mannschaft Befehl zum Entern. Gerade sechs Schritte Zwischenraum blieben schließlich zwischen den Bordwänden.

      Don Julio de Vilches stand im vorderen Bereich des Achterdecks. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte unbeweglich wie eine Statue. Licht und Schatten wechselten auf seinem Gesicht und ließen es kantig erscheinen.

      Neben ihm stand ein alter Mann mit weißem Haar, einer riesigen weißen Halskrause und überheblichem Grinsen im runzligen Gesicht. Er richtete die Blendlaterne erneut auf die Galeone.

      „Desertieren!“ rief er schrill. „Gold und Silber selbst behalten, als wäret ihr lausige Piraten! Don Julio de Vilches sollte euch für diese Unverschämtheit zu den Haien schicken!“

      „Wir haben uns entschlossen, die Schätze nur dem König zu übergeben und niemandem sonst!“ brüllte Alvaro Chinchilla zurück.

      „Wer ist wir?“ fragte Hasard.

      „Die Mannschaft und ich.“

      „Dann werden alle Männer die Folgen

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