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      Rojas schlug die Schiffsglocke an. Zwei Glasen der Hundewache, das entsprach ein Uhr nachts.

      Von der Balustrade des Achterdecks aus redete Alvaro Chincilla zu seinen Leuten. Er sprach davon, daß es gelte, Spanien vor einem möglicherweise schlimmen Verlust zu bewahren, und daß es besser sei, ein gesundes Mißtrauen zu entwickeln, als möglicherweise blindlings in den Tod zu segeln. König Philipp III. werde ihre Sorge um seine Staatsfinanzen verstehen und zu würdigen wissen, um so mehr, wenn sich herausstellen sollte, daß Don Julio de Vilches nichts weiter sei als ein übler Taschenspieler und Lügner, der den Hof zu betrügen versuche.

      Das zustimmende Gemurmel war eindeutig. Der Capitán wußte, wie er den Ehrgeiz seiner Leute anspornen konnte. Schon jetzt sah sich jeder als Held, dem in wenigen Tagen vom Hofe eine besondere Ehrung widerfahren würde. Dabei segelte die „Nuestra Señora de lagrimas“ nach wie vor auf Nordkurs.

      Chinchilla, selbst voll angespannter Erregung, wartete ab. Entweder hatten die Kerle auf der Schebecke das Erlöschen der Laterne nicht beobachtet – das war die beste Voraussetzung, weil das Verschwinden der Galeone vor dem frühen Morgen kaum auffallen würde –, oder sie maßen dem keine Bedeutung bei. Dann galt es allerdings, den Schutz der Nacht zu nutzen, bevor de Vilches’ Männer sich doch zur Annäherung entschlossen.

      Trotz der Kühle begann der Kapitän zu schwitzen. Das Spektiv vors Auge gepreßt, beobachtete er die Schebecke. Das schlanke, schnelle Schiff hielt unverändert Kurs. Vielleicht wurden die Wachen an Deck durch das eigene Licht geblendet. Es war eine altbekannte Weisheit, daß man besser aus der Dunkelheit heraus sah als vom Licht in die Dunkelheit.

      Mit Unterstützung durch den Generalkapitän durfte Chinchilla keinesfalls rechnen. Don Ricardo de Mauro y Avila hatte sein Glück versucht und war gescheitert. Allem Anschein nach hatte ihm de Vilches das Kommando abgenommen. Wie anders war zu erklären, daß die „Salvador“ wieder Richtung Irland segelte?

      Die Überlegung, daß der angebliche Sonderbeauftragte Seiner Majestät den Generalkapitän endlich von seiner Identität und der Richtigkeit des Kurses überzeugt hatte, schob Alvaro Chinchilla weit von sich fort. Denn diese Möglichkeit behagte ihm nicht im geringsten. Es hatte nie zu seinen Prinzipien gehört, eine einmal gefaßte Meinung umzustoßen.

      „Klar zum Halsen!“ befahl er. „Aber so wenig Lärm wie möglich. Der Wind trägt die Geräusche sonst bis zur Schebecke.“

      Momentan segelte die Galeone mit Backbordhalsen und Steuerbordschoten. Unter den augenblicklichen Bedingungen – sie konnten gerade noch die Hand vor Augen erkennen – hatten die Männer es verdammt schwer, den Kurswechsel zu vollziehen. Chinchilla ließ ihnen genug Zeit, sich zurechtzufinden.

      Vage Schemen enterten die Wanten auf. Die Gewichtsveränderung auf den Rahen ließ das Knarren anders klingen, der Kapitän hörte das heraus. Mit der ihm eigenen Ausdauer und Zähigkeit hatte er sich dieses Können angeeignet. Natürlich gehörte auch ein scharfes Ohr dazu.

      Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt.

      Alvaro Chinchilla war zufrieden. Die Schebecke hielt unverändert ihre Position.

      „Hängt das Großsegel ins Gei!“

      Ohne Zwischenfall holten die Männer das Tuch an die Rah heran. Nahezu gleichzeitig wurde der Besan geborgen.

      „Ruder Steuerbord!“

      Der Mann am Kolderstock, dem vertikal angebrachten Hebel, der über eine Achse seitlich schwenkbar mit der eigentlichen Ruderpinne verbunden war, legte alle seine Kraft hinein, um das Ruder nach Steuerbord zu bewegen. Währenddessen wurden von den Decksleuten die Großrahen vierkant gebraßt, das heißt, die Rahen standen querschiffs. Die beiden Großmarssegel begannen zu killen.

      „Verdammt!“ zischte Chinchilla. „Geht das nicht leiser?“

      Ohne das Besansegel, mit flappendem Tuch am Großmast und nur mit weiterhin steifer Fock und Vormarssegel, fiel die „Nuestra Señora de lagrimas“ rasch ab und drehte mit dem Heck in den Wind.

      Das Flattern des Tuchs im Großtopp verstummte, da der Anstellwinkel beider Segel jetzt stimmte und der achterliche Wind sie blähte. Die Galeone lief genau vor dem Wind.

      Alvaro Chinchilla ließ seiner Crew Zeit, Leinen zu belegen und wieder sicheren Halt zu finden. Was die Männer leisteten, war weit mehr, als man normalerweise von ihnen erwarten durfte. Die Aussicht, bald spanischen Boden unter den Füßen zu haben und Weihnachten im Kreis der Familie oder unter Freunden zu verbringen, spornte sie an.

      Die Vorrahen wurden herumgeholt, erst vierkant- und dann angebraßt. Die Galeone legte sich nach Backbord über und luvte weiter an.

      Großobermars- und Großuntermarssegel wurden angebraßt und der Besan wieder gesetzt. Capitán Chinchilla verließ endlich seinen Standort nahe dem achteren Steuerbordniedergang und postierte sich neben der Hecklaterne.

      Er sah die spärliche Lichterkette des Konvois in der Dunkelheit verschwinden. Nur die „Santa Helena“ und die „Concordia“ glitten noch in Rufweite vorbei – und die schlanke Galeone mit dem wohlklingenden Namen „Isabella“. Aber auch dort entdeckte keiner die auf Gegenkurs liegende „Nuestra Señora de lagrimas“.

      Chinchilla war zufrieden, als er durchs Spektiv blickte. Daß sich die Flucht so einfach gestalten würde, hätte er nicht geglaubt.

      Die Schebecke lag noch immer ungefähr gleichauf mit der „Reputacion“ und der „Santos los Reyes Mayos“. Bald würde sie selbst in der Vergrößerung der Linsen nur mehr als schwach funkelnder Lichtpunkt erscheinen.

      Die Mannschaft war mit dem Trimmen der Segel befaßt. Das Großsegel wurde wieder gesetzt. Danach würde die Galeone merklich schnellere Fahrt laufen.

      „Wir haben es geschafft“, sagte Chinchilla halblaut, als eine hagere Gestalt auf ihn zutrat. Der Mann blieb knapp zwei Schritte auf Distanz.

      „Darf ich fragen, was geschieht?“ sagte er heiser.

      Erst an der Stimme erkannte der Kapitän José Serrador. Der Erste Offizier war einer der wenigen Männer, aus denen Chinchilla nur schwer klug wurde. Serrador war undurchsichtig, ein Kerl wie ein Eisklotz, kalt, hart und kantig. Zumindest im Moment hätte ihn der Kapitän lieber in der Koje gesehen, als neben sich an Deck.

      „Wir haben den Kurs geändert“, sagte Chinchilla knapp. „Die Mannschaft ist im Begriff, aufzuklaren.“

      „Die halbe Mannschaft“, erwiderte Serrador und, bewies damit, daß er sich schon im Vorschiff umgesehen hatte. „Segeln wir nach Frankreich?“

      „Nach Spanien“, sagte der Kapitän frei heraus.

      „Wenn Sie mit der Garotte um den Hals enden wollen, Capitán, ist das allein Ihre Sache. Ich lasse mir eine solche Entscheidung aber nicht aufzwingen.“

      „Was wollen Sie dagegen tun, Señor Serrador?“ Der Kapitän ahnte, zu welchem schnellen Entschluß sein Erster gelangen würde, deshalb fügte er sofort hinzu: „Lassen Sie Ihre Waffe ruhig stecken, denn ich müßte einen solchen Vorfall als offene Meuterei auffassen. Ich habe meine Gründe, so zu handeln, wie ich es tue, und es ist mir weiß Gott nicht leichtgefallen. Aber vielleicht wartet die Admiralität nur auf eine Nachricht.“

      „Das ist lachhaft und absurd. Capitán, Sie haben hoffentlich die Güte, mich von jeder Verantwortung freizustellen.“

      „Verlangen Sie ein Schriftstück?“

      „Das wäre sicherlich das Beste.“

      „Morgen“, versprach Chinchilla und widmete sich wieder seinen Beobachtungen.

      Mindestens eine Seemeile lag die Schebecke nun schon achteraus. Der Schein der Hecklaternen begann miteinander zu verschmelzen. Der Kapitän konzentrierte sich aber nur halb auf den Blick durchs Spektiv.

      José Serrador hatte ihm soeben wieder einen Beweis seiner Unberechenbarkeit geliefert. Der Erste Offizier nutzte die Gunst der Stunde, um ohne eigene Verantwortung nach Spanien zurückzukehren. Zugleich

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