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Winterleuchten am Liliensee. Elisabeth Büchle
Читать онлайн.Название Winterleuchten am Liliensee
Год выпуска 0
isbn 9783961224456
Автор произведения Elisabeth Büchle
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Wie konnte das passieren?“, knurrte Robert die Arbeiter an. „Wo ist Schuster?“
„Der Chef ist in der Sägemühle. Ich habe keine Ahnung, woher die Frau so plötzlich gekommen ist.“
„Habt ihr die Markierungen vergessen?“
„Nein, die haben wir an allen drei Pfaden aufgehängt, die in diese Gegend führen.“
Lisa machte sich instinktiv etwas kleiner. Ob diese roten Lappen an den Sträuchern etwa jene Markierungen sein sollten? Aber woher sollte sie auch wissen, was sie zu bedeuten hatten? Sie kam aus einer französischen Großstadt, nicht aus … Vierbrücken, Lehengericht oder Schiltach.
„Ich denke, das reicht. Tretet mal zurück.“
Ehe sie sich’s versah, wurde Lisa von Robert unter den Achseln gepackt und wie ein erlegtes Wild aus der unmittelbaren Nähe des gefällten Baumes gezerrt. Zumindest stellte sie sich vor, dass ein geschossenes Reh so behandelt wurde. „Lassen Sie mich los, ich kann allein aufstehen!“, fauchte sie ihn deshalb an. Er gehorchte sofort, sodass sie beinahe mit dem Allerwertesten auf dem Boden gelandet wäre.
Robert reagierte schnell – vielleicht auch, weil er das geahnt hatte – und hielt sie erneut fest. Endlich gelang es Lisa, sich aufzurappeln. Der Mann, der sie festhielt, roch angenehm nach Wald und etwas, was sie als Wildnis und Freiheit interpretierte. Sie schälte sich aus seinem Griff, trat zwei große Schritte zurück und zerrte an ihrer Daunenjacke und der Bluse. Beides war bedenklich weit nach oben gerutscht. Fichtennadeln rieselten ihren Rücken hinunter.
„Haben Sie die roten Markierungen am Wegrand nicht gesehen?“, fragte Robert und klang bemüht freundlich.
„Doch, aber es befand sich kein Schild dabei, auf dem ahnungslosen Wanderern erklärt wird, was sie zu bedeuten haben. Vielleicht wäre es ohnehin von Vorteil, Schilder zu verwenden, anstatt zerrissene Hemden an Sträuchern zu drapieren wie Weihnachtskugeln am Christbaum. Städter und Touristen können nämlich durchaus lesen, auch wenn Sie womöglich vom Gegenteil ausgehen.“ Sie war aufgebracht, weil ihr das Geschehene unangenehm war und weil sie sicher schrecklich aussah. Weil die vier Männer im Hintergrund breit grinsten und sich gegenseitig anstießen. Weil Robert sie mit gerunzelter Stirn böse ansah und weil sie … einfach empört sein wollte. Schließlich war ihr gerade beinahe ein Koloss von Baum auf den Kopf gefallen. Und ihr Nacken schmerzte.
„Es geht ihr gut, wie wir hören können, Männer. Ihr könnt weiterarbeiten.“
Roberts Reaktion und dieses deutliche Grinsen auf seinem Gesicht brachten Lisa noch zusätzlich gegen ihn auf. „Und ich setze meinen Weg auch fort“, beschloss sie, wurde aber von einer Hand auf ihrem Unterarm zurückgehalten.
„Sie bluten. Wir gehen jetzt zu meinem Jeep, und ich schaue mir das an.“
„Das ist sicher nicht mehr als ein Kratzer.“
„Das werden wir sehen.“
Robert legte ihr eine Hand in den Rücken und schob sie regelrecht den Berg hinauf. Schließlich dirigierte er sie auf den Weg, den sie vorhin als den falschen ausgemacht hatte. Recht schnell gelangten sie zu seinem dort geparkten Jeep.
„Am besten, Sie ziehen die Jacke aus.“
Lisa überlegte kurz, ob sie auf diese wenig freundlich vorgebrachte Bitte einfach nicht reagieren sollte, verwarf den Gedanken aber. Hauptsächlich deshalb, weil ihr pochende Schmerzen vom Nacken aus in den Kopf und die Schultern zogen. Also pellte sie sich aus der Jacke und erschrak über deren Zustand. An mehreren Stellen war der Stoff zerrissen. Weiße und graue Federn quollen hervor, als wollten sie nicht länger eingesperrt sein, sondern sich den Weg in die Freiheit bahnen. Dunkle Streifen am Kragen zeigten ihr, dass sie tatsächlich blutete. Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, das Blut sacke ihr in die Beine, doch sie wehrte sich entschieden gegen die überhandnehmen wollende Schwäche ihres Körpers.
„Dann lassen Sie mich mal sehen.“ Jetzt klang Robert schon viel freundlicher. Also stützte Lisa die Hände auf den Türholm und neigte den Kopf nach vorn. Robert strich ihr behutsam die Haare aus dem Nacken, was ein seltsames Prickeln von dort aus bis in ihre Fingerspitzen und Zehen schickte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an.
„Da ist ein Schnitt, gut fünf Zentimeter lang. Aber er ist weder breit noch scheint er sehr tief zu sein. Ich denke nicht, dass man das nähen muss.“
Mehr als ein beipflichtendes Nicken brachte Lisa nicht zustande. Robert hatte eine Hand auf ihren Oberarm gelegt, als wolle er sie stützen. Die dünne Bluse ließ die Wärme, die von ihm ausging, ungehindert zu ihr durch. Mit der anderen Hand strich er ihr behutsam über den Nacken und entfernte damit Rindenreste, Fichtennadeln und weiteren Schmutz.
„Bleiben Sie mal so stehen“, forderte er sie auf, wechselte auf die andere Seite des Fahrzeugs und kramte dort in einer Kiste. Lisa hob leicht den Kopf und spickte an ihren Haaren vorbei. Sie meinte, noch immer seine Berührungen zu spüren, obwohl er jetzt mehrere Meter von ihr entfernt stand. Das war verwirrend. Entsprechend aufgewühlt betrachtete sie seinen gesenkten Kopf mit dem kurzen, dichten Haar, in dem der halbe Wald zu stecken schien. Sie lächelte bei dem Anblick, aber nur so lange, bis ihr bewusst wurde, dass ihr Haar vermutlich wie ein Vogelnest aussah. Sie wollte es glatt streichen, unterließ es jedoch, da ihr selbst die kleinste Bewegung Schmerzen bereitete. Offenbar hatte sie von ihrem Rendezvous mit der Fichte mehr als nur einen Schnitt im Nacken davongetragen.
Robert kam wieder auf ihre Seite des Jeeps herüber. In der Hand hielt er eine dieser bauchigen Feldflaschen, die Wanderer so gern mit sich herumschleppen.
„Ich hoffe, da ist Champagner drin und nicht irgendein billiger Obstler.“
„Ich lebe nicht so dekadent, dass ich Ihnen Champagner über den Nacken schütten würde“, meinte er und tat, was er angedroht hatte. Eiskaltes Wasser perlte über ihre Haut. Sie zuckte zusammen und wollte dem Strahl ausweichen, kam aber nicht weit. Robert hatte sie erneut mit einer Hand am Oberarm gepackt und brauchte dort nur seinen Griff zu verstärken, auf der anderen Seite stellte er ihr einfach seinen breiten Körper in den Weg. Ein zweites Mal kam sie sich vor wie ein Reh. Diesmal aber wie eines, das von Robert in die Enge getrieben worden war. Seltsamerweise empfand sie das nicht unbedingt als etwas Schlechtes.
„So, das hat den gröbsten Schmutz rausgewaschen. Ich hoffe, Sie sind gegen Tetanus geimpft?“
Lisa nickte und verlor sich beinahe in seinen Augen, deren Farbe der des nahe gelegenen Sees glich. Sie sah etwas darin aufleuchten, als würden sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch den morgendlichen Dunst bahnen, der über der Wasseroberfläche hing, doch Robert wandte sich von ihr ab, ehe sie das Phänomen ergründen konnte.
„Steigen Sie bitte ein. Ich fahre Sie hoch zum Forsthaus.“
„Ich wollte an den See“, widersprach sie, vermutlich einfach nur, damit widersprochen war, und weil der dumpfe Schmerz in ihrem Oberkörper immer mehr zunahm.
„Meine Mutter lässt mich vier Nächte lang auf der Terrasse schlafen, wenn ich Sie in diesem Zustand allein zum See hinuntermarschieren lasse.“
„Das glaube ich Ihnen nicht. Ihre Mutter ist eine herzensgute, fürsorgliche und liebe Person.“ Eine Mutter, wie ich sie gern gehabt hätte. Sie vertrieb den Gedanken, der mit zu viel Schmerz einherging.
„Richtig. Und ihre Fürsorge erstreckt sich auch auf ihre Nachbarn da unten am See, auf die in Vierbrücken, offenbar auf Ihre Mutter und damit auch auf Sie. Also rein mit Ihnen.“
„Und auf Sie nicht?“
„Das hat mit der Terrasse nichts zu tun. Zu ‚herzensgut‘, ‚fürsorglich‘ und ‚liebend‘ gesellt sich – was ihre Söhne betrifft – auch eine gewaltige Portion Strenge.“
„Deshalb sind Sie alle so gut geraten?“
Robert, der Lisa die Tür aufhielt, schaute sie einen Moment zu lange