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entschuldigen sollte«, meinte Baadal. »Ich wusste nicht, dass dich die Frage so berührt.«

      »Das konntest du auch nicht wissen«, sagte sie und wischte sich mit den Fingern die Augenwinkel. »Niemand kann es verstehen, es sei denn, er war selbst dort.«

      Baadal zuckte mit den Schultern. »Warum will überhaupt jemand auf die andere Seite?«

      »Die Menschen wollen immer das, was sie glauben, zu brauchen«, sagte sie. »Und nur selten sind sie mit dem zufrieden, was sie haben. Es liegt einfach in der menschlichen Natur. Es ist die Idee, dass da draußen etwas ist, das sie glücklich, ihr Leben besser machen und die Lücken in ihrem Wesen füllen kann.«

      Baadal lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Nennt man das nicht Hoffnung?«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich meine …« Baadal suchte nach den richtigen Worten. »Ich habe kein sehr anständiges Leben geführt. Ich habe gesündigt. Ich war Täter, aber ich war auch Opfer. Doch im Hinterkopf hatte ich immer diese Vorstellung, dass ich ein besserer Mensch sein könnte. Ich dachte, ich könnte mich verändern. Ich wollte glauben, dass mein Leben …« Er suchte nach den richtigen Worten.

      »Glücklicher sein könnte?«, schlug Paagal vor.

      Baadal nickte. »Ja«, antwortete er. »Das ist das richtige Wort. Glück. Ein glücklicheres Leben. Es ist nicht so, dass ich undankbar bin, ich habe immerhin die Seuche überlebt, in den meisten Nächten ein Dach über dem Kopf und an den meisten Tagen genug zu essen, trotzdem hoffe ich immer noch auf … mehr.«

      Paagal saß schweigend da. Sie rückte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ein Stückchen zur Seite, erwiderte aber nichts.

      »Vielleicht ist das ja alles, was Battle will«, fuhr er fort. »Vielleicht hofft er einfach nur auf ein besseres Leben.«

      »Auf der anderen Seite des Walls wird er das aber nicht finden«, sagte sie nachdrücklich.

      Baadal beugte sich vor und legte seine Hände flach auf den Tisch. »Warum sagst du ihm das dann nicht?«

      »Weil er es selbst herausfinden muss«, erklärte sie.

      »Das ist aber nicht sehr …«

      »Nett?«

      Baadal zuckte mit den Schultern.

      »Wie ich dir schon gesagt habe, Felipe«, antwortete sie. »Ich bin kein guter Mensch. Eine Anführerin muss nicht gut sein, sie muss stark sein. Sie muss das tun, was für ihr Überleben notwendig ist.«

      Baadal nickte. Er verstand, wie stark die Versuchung war, Selbsterhaltung vor Moral zu setzen. Er entschied sich dagegen, nach den Details der bereits laufenden Planungen zu fragen. Er würde es zusammen mit den anderen erfahren. Vielleicht war es sogar besser, nicht zu viel zu wissen.

      

      Kapitel 9

      

       25. Oktober 2037, 17:35 Uhr

       Jahr fünf nach dem Ausbruch

       Houston, Texas

      Dass einem jemand zur Last fällt, war ein umgangssprachlicher Ausdruck, der für Ana Montes erst dann seine komplette Bedeutung erlangte, als sie dabei war, eine solche buchstäblich zu tragen. General Harvey Logan war alles andere als ein kleiner Mann, und seine Leiche zu entsorgen, war alles andere als eine leichte Aufgabe.

      »Nur noch ein paar Fuß«, sagte Sidney Reilly und stöhnte, während er rückwärts ging und Mühe hatte, Logan an den Armen hinter sich herzuziehen. »Nur. Noch. Ein. Stück.«

      »Du wiederholst dich«, stöhnte Ana. Logans Fersen rutschten ihr immer wieder aus der Hand, als sie den schmalen Flur entlanggingen, der das Wohnzimmer von den Schlafzimmern trennte.

      Immer wieder stießen sie mit ihrer schweren Last gegen die Wände. Irgendwann erreichten sie jedoch ihr Ziel und kämpften sich durch die Tür ins größere der Schlafzimmer.

      Als Ana die Schwelle überquert hatte, ließ sie Logans Füße fallen. »Warte.« Sie hob die Hand und beugte sich nach unten. »Ich muss nur kurz Luft holen. Er ist so verdammt schwer. Warum konnten wir ihn nicht einfach im Wohnzimmer zurücklassen? Wir verschwinden doch sowieso von hier.«

      »Es könnte noch ein paar Tage dauern«, sagte Sidney, der immer noch Logans Handgelenke umklammerte. Der Kopf des Generals war nach hinten geneigt, sein Adamsapfel lag bloß. »Du willst auf keinen Fall die Leiche einfach so auf dem Boden liegen lassen.«

      »Mag sein«, sagte sie und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken.

      »Die Badewanne ist schon mit Eis gefüllt, oder?«, fragte er.

      »So voll, wie es eben ging«, antwortete sie.

      »Ich dachte, ihr hättet eine Gefriertruhe voller Eis in der Garage«, sagte er. »Er ist immerhin General. Eis gehört doch zu den standesgemäßen Annehmlichkeiten, oder etwa nicht?«

      »Wir hatten Eis in einer Gefriertruhe, das auf jeden Fall«, stellte sie klar. »Aber sie war nicht voll. Sie war noch nie voll.«

      Sidney verdrehte verärgert die Augen und ließ Logans Handgelenke los. Er drehte sich zum Bad um und der Kopf des Toten knallte mit einem dumpfen Schlag auf den Boden. Obwohl er tot war, tat Ana das Geräusch fast selbst weh.

      Sidneys Stimme kam jetzt aus dem Badezimmer. »Das reicht!«, rief er. »Das hält die Leiche problemlos ein oder zwei Tage kühl.« Er erschien wieder am Kopfende von General Logan und bückte sich, um dessen Arme aufzuheben. »Lass uns die Sache hinter uns bringen, Ana.«

      Sie ging in die Knie, packte Logans Knöchel und stemmte sich wieder nach oben. Ein paar anstrengende, stolpernde letzte Schritte und sie hatten den Rest der Strecke geschafft. Sie rollten Logans nackten Körper in die Wanne und auf sein letztes Bett aus Eis.

      Ana starrte die Leiche für einen Moment an und erinnerte sich an die grauenvolle Art und Weise, auf die der Vater ihres Kindes gestorben war. Es war schwer zu ertragen, was sie getan hatte, obwohl sie wusste, dass es letzten Endes zum Wohle vieler war.

      Sidney legte seinen Arm um ihre Schulter und führte sie aus dem Badezimmer. »Das hast du gut gemacht«, sagte er. »Das war der erste Schritt. Der wichtigste Schritt.«

      »Ich weiß nicht«, sagte Ana zögernd, blieb an ihrem Bett stehen und ließ sich kraftlos nach unten sinken, um sich auf die Kante zu setzen. »Ich bin auch nicht besser als sie.«

      Sidney kniete sich vor sie hin, als wolle er ihr einen Heiratsantrag machen. Er nahm ihre Hände. »Was du getan hast, war reine Selbstverteidigung. Wir alle schützen doch nur uns selbst. Unsere Taten werden letzten Endes dafür sorgen, dass das Kartell nicht länger die Kontrolle über uns hat. Eine neue Zeit bricht an, und das Leben wird besser werden als in den langen Jahren davor.«

      »Ich wünschte, ich könnte das glauben«, sagte Ana leise. »Ich wünschte, ich wäre sicher, dass das, was wir getan haben, das Richtige ist.«

      Sidney drückte ihre Hände. »Komm schon, lass uns gehen.« Er stand auf, zog sie vom Bett hoch und stand dann mit weit geöffneten Armen da. Sie nahm seine tröstende Umarmung an und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, dann schloss sie die Augen und schlang die Arme um seinen Rücken. Sie bemerkte nicht, wie er das Messer zog, aber sie öffnete noch rechtzeitig die Augen, um das Schimmern der Klinge in dem an der Wand hängenden Spiegel zu sehen.

      Sie riss sich sofort aus seiner Umarmung los, während er das Messer um sie herum schwang. Ana lenkte den Angriff mit ihrem Unterarm ab und stieß instinktiv ihr Knie mit so viel Kraft, wie sie aufbringen konnte, nach oben.

      Ihr Knie traf in dem Moment seinen Schritt, als er seinen Arm nach unten bewegte. Die Klinge schnitt daraufhin in Anas Unterarm, doch sie wiederholte die Aufwärtsbewegung ihres Knies und rammte es ein zweites Mal in seinen Unterleib.

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