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sie keinen Kontakt zu uns haben will, dafür bewunderst, daß sie eine Jet-Set-Größe ist. Aber diese Frau ist egoistisch, sie hat ihrer Zwillingsschwester das Kind untergeschoben und sich danach auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub gemacht. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits Papa an der Angel, einen reichen Mann, denn einen solchen zu finden, war stets ihr Trachten gewesen. Sie hat Papa nicht geliebt, nur sein Geld, und deswegen hatte sie später auch kein Problem damit, ihn auszutauschen, als sich ihr eine noch stärker sprudelnde Geldquelle aufgetan hatte.«

      »Hör auf!« schrie Grit. »Ich will das nicht hören, ich glaube das alles nicht, und deswegen lege ich jetzt auch auf. Sag diesem… diesem Mann, daß er sich bei mir nicht melden soll. Wenn er es dennoch tut, dann… dann schmeiß ich ihn hochkantig raus. Ich habe zwei Brüder, basta!«

      Ohne noch etwas zu sagen und ohne Bettina die Möglichkeit zu geben, weitere Ausführungen zu machen, knallte Grit einfach den Hörer auf die Gabel.

      Das war so typisch für Grit. Immer wenn sie nicht weiter wußte, wurde sie entweder aggressiv oder legte auf.

      Bettina holte sich die Unterlagen vor, die Christian ihr dagelassen hatte.

      Als erstes fischte sie die Fotos heraus und sah sie sich an. Zuerst das von Roberta, der Sanftmütigen, dann das von Carla, der Berechnenden, dann das, auf dem die beiden Schwestern zusammen fotografiert worden waren.

      Sie sahen sich wirklich zum Verwechseln ähnlich, und das hatte den Betrug auch so leicht gemacht.

      Aber seine Leichen im Keller wurde man nicht los, irgendwann kamen sie ans Tageslicht.

      Carla hatte bestimmt nicht damit gerechnet, daß ihr Sohn einmal auftauchen würden.

      Wer ihm wohl seinen Namen gegeben hatte?

      Bestimmt Roberta, denn warum hätte Carla sich Gedanken um etwas machen sollen, was sie ohnehin nicht interessierte.

      Bettina schob die Fotografien beiseite und wandte sich den Dokumenten zu. Alles war hieb- und stichfest.

      Carla war Christians Mutter, das lag schwarz auf weiß vor ihr, daran war nichts zu deuteln, aber sie hätte Christian auch so geglaubt. Er machte nicht den Eindruck, jemand zu sein, der auf seinen Vorteil bedacht war. Außerdem, was sollte es? Mit den Fahrenbachs hatte er nichts zu tun und demzufolge keine Erbansprüche. Und Carlas Vermögen? Bettina glaubte nicht, daß er daran dachte, und sie hatte daran bislang auch keinen Gedanken verschwendet. Das Vermögen ihrer Mutter war ihr so was von egal. Sie wollte davon nichts haben. Im übrigen lebte Carla noch, und es sah nicht so aus, als würde sie bald das Zeitliche segnen.

      Christian tat ihr leid, er setzte so viel Hoffnungen darauf, seine bislang unbekannte Familie kennenzulernen. Sie war es, die ihm zugehört und ihn sofort anerkannt hatte.

      Mit Carla würde er auf jeden Fall eine Enttäuschung erleben, entweder würde sie ihn ignorieren und abwimmeln, so wie Frieder es getan hatte, oder sie würde ihn ihre ganze Kälte spüren lassen und versuchen, ihn mit Geld abzuspeisen, damit er wieder aus ihrem Leben verschwand.

      Liebe, Zuneigung würde sie ihm nicht schenken und auch keine Freude zeigen, ihn zu sehen.

      Daß es so kommen würde, dazu mußte man kein Prophet sein.

      Sollte sie ihn nicht vorwarnen, damit ihm diese Enttäuschung erspart blieb?

      Bettina ärgerte sich über sich selbst. Das war doch nun mal wieder so typisch für sie. Sofort machte sie fremde Angelegenheiten zu ihren.

      Christian würde tun, was er tun wollte, und sie würde ihn nicht daran hindern. Sie konnte ihm offen gegenübertreten, sie konnte eine Beziehung zu ihm aufbauen und hoffen, daß sich zwischen ihnen eine Zuneigung entwickeln würde, wie man sie sich unter Geschwistern wünschte.

      Da mußte sie die Meßlatte nicht hoch legen. So wie ihre Geschwister zu ihr standen, das war allemal sehr leicht zu überbieten.

      Bettina packte alles wieder zusammen und brachte es hinauf in ihr Arbeitszimmer, das schon das private Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war. Sorgsam schloß sie die Unterlagen weg. Das war nicht für fremde Augen bestimmt.

      Sie setzte sich in den bequemen braunen Ledersessel und nahm das gerahmte Foto ihres Vaters in die Hand.

      »Welch ein Glück, Papa, daß dir das erspart geblieben ist. Es hätte dich nicht erschüttert, daß sie ein uneheliches Kind hat. Es hätte dich erschüttert, daß sie es dir verschwieg. Oh, Papa, welch ein Glück, daß du niemals erfahren hast, daß sie dich nur wegen deines Geldes genommen hat.«

      Sie stellte das Bild wieder weg, blieb aber noch mit angezogenen Beinen im Sessel sitzen.

      Ihr Vater hatte noch die große Liebe kennengelernt: Dr. Christina von Orthen. Doch ehe er mit ihr ein neues Leben beginnen konnte, war er gestorben.

      Bettina begann zu weinen. Sie weinte um ihren Vater, weil er so sehr betrogen worden war, aber auch, weil sie ihn so sehr vermißte. Sie weinte um sich, ihre verlorene Liebe, die noch wie Feuer in ihrem Herzen brannte. Sie würde Thomas niemals vergessen, der sie auch hintergangen hatte. Warum hatte er ihr seine Ehefrau Nancy verschwiegen? Weil es für ihn bequem gewesen war, sie ab und zu aus der Warteschleife zu holen? Die Hauptfrau in Amerika, die Nebenfrau, die ihn anhimmelte, idealisierte, in Deutschland. Klar ließ es sich so leben.

      Vorbei! Sie durfte und wollte nicht mehr an Thomas denken. Das Gedicht ›Stufen‹ von Hermann Hesse fiel ihr ein, das Jan van Dahlen ihr in einem wunderschönen silbernen Rahmen geschickt hatte.

      ›Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde…‹, lautete die letzte Zeile.

      Warum war Abschied nehmen bloß so schwer? Warum hielt man fest, auch an dem, was Schmerzen bereitete?

      Bettina sprang auf und verließ beinahe fluchtartig den Raum.

      Sie würde sich die Hunde schnappen und mit ihnen einen langen Spaziergang machen, und dabei wollte sie an nichts denken. Nicht an ihren neuen Bruder, nicht an Thomas, aber auch nicht an Jan. Er liebte sie, sie mochte ihn, sehr sogar, doch mögen reichte für eine Beziehung nicht aus.

      Auch wenn Bettina sich bemühte, nicht daran zu denken, sah sie immer wieder Christian vor Augen und damit auch zwangsläufig den Verrat ihrer Mutter.

      Sie hatten schon miteinander telefoniert, und er gefiel ihr immer besser, was ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte.

      Aber es war ein Einschnitt in ihrem Leben, und sie brauchte ganz einfach länger, um so etwas zu verarbeiten. Sie konnte sich nicht einfach über alles hinwegsetzen und dann zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Das hatte sie noch nie gekonnt.

      Bettina war wirklich froh, ihre Tiere zu haben und natürlich auch ihre drei Hofbewohner Leni, Arno und Toni, und nicht zu vergessen ihre Freundin Linde. Früher war es einfach gewesen, mal herunter zu ihr in den Gasthof zu radeln, zu fahren oder zu gehen, um mit Linde über ihre Probleme zu sprechen. Das ging ja jetzt leider nicht. Linde hatte genug mit sich selbst zu tun. Sie mußte sich auf die Geburt ihrer Kinder vorbereiten, und sie hatte, was viel Gravierender war, den Tod des geliebten Ehemannes zu verarbeiten. Linde hatte sich wieder voll in die Arbeit gestürzt und sprach nicht mehr viel über den grauenvollen Unfalltod Martins, aber wer sie kannte, sah, wie sehr sie litt, und das war doch auch verständlich.

      Schon ihr, als Außenstehender, brach es fast das Herz, wenn sie daran dachte, daß Amalia und Frederic ihren Vater niemals sehen würden.

      Wie unendlich glücklich Linde und Martin gewesen waren, beneidenswert glücklich. Hatte der liebe Gott ihnen dieses unglaubliche Glück geschenkt, weil er wußte, daß es nicht von Dauer sein würde?

      Gleich würde sie Linde besuchen, aber vorher wollte sie sich im Gemischtwarenladen der alten Frau Lindner noch ein paar Schreibblocks holen. Was möglich war, versuchte sie schon in dem Laden zu kaufen, und sie wußte, daß auch Leni dort einkaufte, obschon manches teuer war. Doch es war nicht zu übersehen, daß der neue große Supermarkt oben auf dem Gelände des ehemaligen Huber-Hofes ihr ganz ordentlich Abbruch tat.

      Früher war Frau Lindner konkurrenzlos gewesen, und

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