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Die Tür hinter ihr klappte, Herr Rehnikel trappte die Treppe hinunter. Sie hörte seine Schritte, die ein wenig schlurften, und dachte darüber nach, wie viele Jahre das jetzt noch so weitergehen mochte, bis sie endlich Witwe war und es hinter sich hatte.

      4 . K A P I T E L

      Als Hans satt war, legte sie ihn in die Wiege und zog sich an. Die Geräusche des erwachenden Tages drangen undeutlich von draußen herein. Karrenräder polterten über das Buckelpflaster. Spatzen tschilpten, Holzschuhe klapperten vorbei. Sie kämmte ihr Haar und band es hoch. Endlich trug sie die Kopfbedeckung einer verheirateten Frau, eine neue weiße Haube. Einmal, ein einziges Mal hätte sie gern eine für Jean getragen. Aber das war vorüber.

      Auch die Hochzeitsnacht war vorüber. Sie musste jetzt ihre neue Aufgabe beginnen. Alles, was sie bei Tante Dorothea gelernt hatte, diente dem Zweck, dass sie selbst eines Tages einen Haushalt führen konnte. Zwar war es bloß ein Händlerhaushalt, aber es war besser als eine Hütte am Saaleufer, in der man morgens nicht wusste, ob es am Tage überhaupt etwas zu essen gäbe.

      Magdalene trat durch das Zimmer mit dem Schreibpult in den Raum, in dem sie am Abend zuvor gesessen hatten. Bei Tageslicht war es ein heller Raum, dessen Erker Eindruck machte. Von außen sah man ihn über der Gasse thronen, wenn man den Blick nach oben wandte. Die Fenster dieses Erkers waren zweigeteilt wie das Haus. Weiße, glatt geschliffene kleine Butzenscheiben füllten die untere Hälfte der Fensterrahmen, während die obere Hälfte an allen drei Erkerseiten mit gezogenem flachem Glas gefüllt war. Der Erker verlieh der Stube einen unruhigen Charakter. Magdalene konnte nicht aufhören, über die eigenartige Komposition zu staunen. Ansonsten überwog das sparsame Bauen. Keine Verzierung, kein modischer Schnörkel fand sich an den Wänden, den Türen und Fenstern. Der Erker war überhaupt das einzige Bauteil, das nicht einem streng ökonomischen Zweck diente. Rechts des Erkers, in die belebte Gasse zwischen Pforte und Markt weisend, saß noch ein zweites Fenster, das wegen seiner Schlichtheit neben dem großen Lichtquell kaum auffiel. Der weiß gekalkte Raum war nicht größer als eine gewöhnliche Stube. Modisch waren weder der Kamin noch der dunkle Esstisch oder die schweren Stühle. Das neueste Stück mochte ein Eckschrank sein, hinter dessen Glasscheibe ein silberner Becher und zwei farbige Vasen aus durchscheinendem Material blitzten. Die beiden Armlehnstühle in der Nähe des Erkerfensters waren aus ebenso dunklem Holz wie die anderen Möbel im Raum, die Sitze gepolstert und mit braunem Leder bezogen. Hier hatten sie am Abend gesessen.

      Ihr Mann kam die Treppe hinauf. Er sah sie an, wie sie mitten im Raum stand. Kein Muskel in seinem Gesicht zuckte. »Würdet Ihr so freundlich sein«, begann Magdalene zu sprechen, »und mir die Magd schicken, die bisher die Schlüsselgewalt innehatte? Ich werde jetzt meine Pflichten übernehmen.«

      »Die Else ist das. Ich werde ihr sagen, dass sie heraufkommen soll.« Georg Rehnikel nickte, wandte sich zurück zur Tür und stieg die Treppe hinab. Magdalene würde sich Küche und Kammern zeigen lassen und sehen, wo ihr neues Leben anfing und wo es eines Tages enden würde. Ihre Blicke wanderten in alle Ecken, über die Fensterrahmen und hinauf zur Decke, wo die dunklen Balken auf sie hinunterschauten.

      Die Magd Else trat ins Zimmer, eine große, schlanke Frau, in deren blondem Haar Silberfäden schimmerten. Sie trug ein dunkles grobes Wollkleid und eine leinene Schürze. Else mochte um die fünfzig Jahre alt sein, in Herrn Rehnikels Alter oder etwas darüber. Die Magd legte den großen Ring mit etlichen Schlüsseln auf den Tisch in Magdalenes Reichweite. Sie redete keinen Ton, doch es war aus ihren zusammengekniffenen Lippen herauszulesen, wie ungern sie es tat. Magdalene hob das Kinn. Ein feines Lächeln trat auf ihre Lippen, das erste in diesem Haus.

      Sie griff nach dem eisernen Ring. Er war groß und schlicht, blank vom vielen Tragen, daran hingen etliche Schlüssel. Sie zählte: elf, zwölf, dreizehn. Dreizehn Schlüssel für Meister Rehnikels Haus.

      Die Holzschuhe der Magd scharrten lustlos über die hölzernen Dielen. Von der Treppe aus, die Magdalene am letzten Abend hinaufgekommen war, führte eine weitere Tür zu einem offenen Gang, der auf der Rückseite des Hauses zum Hof lag. Von hier aus konnte man zu zwei Kammern und in das Dachgeschoss gelangen. Else zeigte auf eine Tür. Magdalene verstand erst, als Else auf die Schlüssel wies, dass sie selbst öffnen musste. Der Schlüssel drehte sich leicht, das Scharnier quietschte ein wenig, als sie die Tür aufzog.

      »Das war das Krankenzimmer der verstorbenen Frau«, erklärte Else. »Sie hat im März da drin ihren letzten Atemzug getan.« Magdalene schaute in den kleinen wohnlichen Raum mit einem Bett, einer Truhe und einem dunklen Wandschrank mit geschnitzter Krone. Er war gut gelüftet, das Fenster ging zur Pforte hinaus, wo unten die Menschen vorbeiquirlten. Im Schein der Junisonne tanzten kleine goldene Pünktchen durch den Raum, von der frischen Luft aufgewirbelte Staubkörnchen. Das Schlüsselbund in Magdalenes Hand klimperte. Übermütig rüttelte sie ein wenig mehr, dass es rasselte und schepperte, und trat mit festem Schritt auf den Gang hinaus.

      Die andere Tür barg den Eingang in das künftige Zimmer ihres Sohnes. Ein mit einem Baldachin überwölbtes Bett, kleiner als ein gewöhnliches, mit weichen Kissen übersät, auf den hölzernen Dielen ein Teppich, mehr befand sich nicht in dem Raum. Dennoch lag er warm und freundlich vor ihr. Man sah durch ein Fenster auf die Straße herunter, wo Wagen fuhren und Leute gingen. Mit Schwung schloss Magdalene die Tür hinter sich, dass es knallte und die Magd empört die Lippen zusammenkniff.

      Eine schmale Stiege führte hinauf ins Dachgeschoss. »Die Mägdekammern«, erklärte Else vor den drei Brettertüren unter den schindelbedeckten Dachsparren.

      »Habe ich hier auch einen Schlüssel?«, fragte Magdalene. Else nickte säuerlich. »Ihr seid die Hausherrin, natürlich.«

      Magdalene lächelte strahlend in Elses Essigmiene hinein, rasselte mit den Schlüsseln und lobte Reinlichkeit und übersichtliche Ordnung des Haushalts. Sie stieg die Treppe hinab, ohne sich umzudrehen, und fand sich in dem offenen Gang draußen vor dem Haus, wo ein lauer Luftzug wehte. Sie drehte sich einmal um sich herum und nickte. Ohne ein weiteres Wort ging sie zur unteren Treppe, gefolgt von Else.

      Unten führten vom Treppenabsatz drei Türen, eine auf den Hof, eine zum Laden und eine in die Küche. Die klinkte sie auf und ging an einer jungen Magd vorbei zuerst auf das Fenster zu, öffnete den Riegel und sah auf die Straße hinaus, auf der die Leute von der Pforte zum Markt zogen. All der Lärm, das Geschrei und Geschwätz und Gepolter und Gekreisch drangen herein. Man sah zu ihr hinauf, wie sie da im Fenster stand. Das Herdfeuer brannte, die junge Magd rührte die Suppe und auf den Borden blinkten die metallenen Platten, auf denen die Speisen aufgetragen wurden. Ein großer Spülstein in der Ecke war sauber gescheuert, hölzerne Eimer mit frischem Wasser standen bereit. Niemals, als sie da draußen am Saaleufer lebte, hätte sie sich träumen lassen, eines Tages solch eine herrliche Küche zu führen.

      »Wie ist dein Name?«, fragte sie die junge Magd.

      »Gertrud«, flüsterte das Mädchen und zwinkerte erschrocken. Magdalene lächelte ihr zu und wandte sich dem nächsten Raum zu, hinter der Tür auf der anderen Seite des Korridors.

      Es war der Laden, das Geschäft für die Leute der Stadt, die hier ein paar Kleinigkeiten erwerben wollten. Von den Deckenbalken hingen getrocknete Pflanzen. Der kleine Raum war an zwei Wänden bis zur Decke mit Regalen eingerichtet, in denen Fläschchen, Gläser, Kisten und Körbe miteinander um Platz rangen. Auf dem Boden standen Krüge und Kiepen, jedem einzelnen Gefäß schien ein eigener Duft zu entsteigen. Magdalene tastete, als sie sich an das Dämmerlicht des Ladens gewöhnt hatte, mit ihren Blicken die Regale ab. Sie hatte solch eine Vielfalt an Gefäßen noch nie gesehen. Was war die Ordnung der Apotheke am Markt gegen die wunderliche Mischung von rätselhaften Materialien, wie Herr Rehnikel sie hier stapelte!

      Hinter dem Tisch, der eine Waage trug, stand ein glatzköpfiger Mann im leinenen Kittel eines Gesellen. Er verbeugte sich leicht.

      »Ich

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