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eilte um den Tisch herum, der sie getrennt hatte, und klappte zusammen wie ein Scherenmesser. Unter der neuerlichen tiefen Verbeugung hervor antwortete er: »Ich bin Jakob Lichtenberg, der Geselle Eures Gatten, unseres lieben Meisters.«

      Magdalene nickte und sah hinter dem Mann eine weitere offene Tür. Sie ging darauf zu, Else wie einen Schatten hinter sich. Es war ein Vorratslager. Einen Keller gab es hier nicht, das war Magdalene klar, wegen der Nähe der Saale und der häufigen Hochwasser. Was bei den Bertrams im Keller lagern konnte, war hier säuberlich in der Vorratskammer aufgestapelt: Fässer, Kisten, Tonkrüge, Stiegen. Auf einem kleinen Tisch drängten sich Flaschen und ein Kessel, an einer Wand lehnte ein Warenregal. Der Meister hatte offensichtlich von hier einen kurzen Weg und lagerte alles, was sich im Laden schnell verkaufte, in dieser Kammer. Das erklärte, warum die Vorratskammer einen Hauch von dem Duft besaß, der im Laden herrschte, jenem fremdländischen, schweren Atem der Gewürze. Die kleinen, Schießscharten ähnlichen Fenster weit oben füllten den Raum mit einem diffusen Licht. Von den dicken Mauern her wehte Kühle.

      Ein einziges Mal stellte Else eine Frage. »Soll ich den Einkauf erledigen, das schwere Tragen, Fleisch und Gemüse?«

      Magdalene schüttelte den Kopf. Stattdessen diktierte sie den Speisenplan für den nächsten Tag und fragte: »Wie hast du es bisher mit dem Geld gehalten?«

      »Der Meister hat mir gegeben, was für den Haushalt nötig war«, gestand die Magd mit nach vorn gerecktem Kinn und dünner Stimme.

      Magdalene zückte ihr Büchlein. »Von heute an, Else, wird hier alles aufgeschrieben, jeder Einkauf und jeder Verbrauch. Wir halten jeden Abend Rechnung, und wir werden gut zurechtkommen, nicht wahr?«

      Elses Miene sprach Bände. Es fehlte nicht viel, und sie hätte die Zähne gefletscht.

      Magdalene stieg nach oben, um nach dem Kleinen zu sehen. In ihrer Hand trug sie das Schlüsselbund. Es fühlte sich gut an, ein Schlüsselbund zu besitzen. Sie holte den friedlich schlafenden Hans aus seiner Wiege und trug ihn auf den Armen durch das Zimmer. Am Erkerfenster blieb sie stehen. Von hier konnte sie den Graseweg vom Klaustor bis hinauf Richtung Markt einsehen. Gegenüber befand sich die kleine Gastwirtschaft. Wenn sie sich dicht ans Fenster lehnte, sah sie in der anderen Richtung hinterm Tor die Saalebrücke und ein Stück vom Fluss. Die schmale, gepflasterte Straße war an diesem Markttag voller Menschen und Wagen.

      Die junge Magd trat hinter ihr ein. Magdalene hörte die Türklinke quietschen und drehte sich um. Das Mädchen besaß ein blasses Gesicht und Haare von der Farbe nassen Strohs unter der strengen Haube. Sie trug auf einem Tablett eine kleine blaue Tasse, knickste und stellte das Geschirr auf den Tisch. »Ich soll Euch Kaffee bringen, Frau Meisterin«, erklärte sie schüchtern, »das hat Meister Rehnikel gesagt. Er hat ihn selbst gemacht.« Dabei betrachtete sie Magdalene aus dem Augenwinkel. Sie blieb stehen, die Hände vor dem Schoß zusammengelegt.

      Offensichtlich gab sich Herr Rehnikel als weltgewandter Mann. Nicht einmal Conrad Bertram war bisher auf diese Moden gekommen. Weder wurde bei Bertrams zu Hause auf dem Tablett serviert, noch wurde geknickst und erst recht kein Kaffee getrunken.

      Das Mädchen schien auf irgendetwas zu warten, aber sie war zu schüchtern, um selbst zu fragen.

      »Wie alt bist du, Gertrud?«, fragte Magdalene, um die Kleine aufzumuntern.

      »Dreizehn«, antwortete das Mädchen schüchtern.

      »Und gefällt es dir gut hier im Haus?«

      Gertrud nickte. »Die Arbeit in der Küche ist schwer, aber das macht mir nichts aus. Die Else ist ein bisschen streng«, flüsterte sie, »und der Meister und der Jakob sind wirklich gute Menschen.«

      »Du musst vor mir keine Angst haben, Gertrud«, kam ihr Magdalene entgegen. »Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr?«

      Gertrud wurde rot und nickte. »Darf ich … darf ich das Kind sehen?«

      Magdalene lächelte. Sie nahm den Hans von ihrer Schulter, an der sie ihn getragen hatte, legte ihn auf den großen Tisch und sagte: »Er muss sowieso neu gewickelt werden. Du könntest mir gleich dabei helfen.«

      Gertrud begann zu strahlen. Magdalene schob die Tasse ein Stück zur Seite und zog die Nadeln heraus, mit denen Hans’ Tücher gesteckt waren. Gertrud öffnete den Mund staunend. »Er ist so klein«, flüsterte sie, »seine Finger sind winzig.« Hans streckte sich, als er die frische Luft an seinen Gliedern fühlte. Er begann die Beine zu bewegen, die sonst in den gewickelten Tüchern eng aneinander gedrückt waren, damit sie gerade wuchsen. Der Kleine öffnete die Augen. Er konnte schon sehen, wenn sich etwas vor ihm bewegte, und seit einigen Tagen hatte Magdalene stets das Gefühl, dass er ihr mit seinen Blicken folgte. Gertrud klatschte in die Hände. »Oh, er hat wunderschöne braune Augen! Genau wie der Meister Rehnikel!«

      Magdalene lächelte. »Warum nicht?«

      Gertrud meinte abfällig: »Die Else meint, das Kind könne nicht von Meister Rehnikel sein, weil der niemals so etwas getan hätte wie ein Mädchen irgendwo festzuhalten, um seinen Spaß an ihr zu haben.«

      »So, meint sie das?« Magdalene richtete sich gerade auf.

      »Ja, sie sagt, sie glaubt nicht, dass er in der Lage wäre, eine junge Frau wie Euch zu bezaubern.«

      Magdalenes Stimme wurde weich, weil ihr Inneres hart geworden war. »Du kannst der Else berichten, dass der Kleine das Ebenbild meines lieben Mannes ist. Du kannst ihr außerdem sagen, dass mich der Meister nicht festhalten brauchte, weil ich freiwillig bei ihm geblieben bin, denn ich bin von ihm ganz hingerissen.«

      Gertruds Augen rundeten sich vor Staunen. Sie sah zu, wie Magdalene den Kleinen putzte, ihm eine neue Windel umlegte und ihn in sein Tuch steckte. Unter einem neuen Knicks zog sie sich zurück.

      Magdalene kostete von dem Kaffee, als die Magd gegangen war. Das dunkle Getränk roch merkwürdig und schmeckte bitter und verbrannt, deshalb ließ sie es auf dem Tisch stehen. Sie hob Hans auf und ging ans Fenster. Der mit den runden Butzenscheiben verglaste Streifen endete in Höhe ihrer Brust. Sie konnte ungehindert durch das schöne flache Glas sehen, in dem sich die Sonne spiegelte.

      Von oben betrachtete sie das Treiben auf der Straße. Mädchen gingen lachend und kichernd vorbei. Sie gehörte nicht mehr zu denen, sie war jetzt eine verheiratete Frau. Auf den Stufen klangen Schritte. Magdalene konnte sie jetzt schon voneinander unterscheiden. Da kam Georg Rehnikel herauf, ihr Mann. Niemand sollte an der Geschichte zweifeln, die zu ihrer Heirat gehörte, ganz bestimmt nicht die Altmagd Else. Magdalene würde dafür sorgen.

      Herr Rehnikel trat ins Zimmer. Auf seinem Gesicht stand nichts zu lesen, er war ernst und hielt die Lippen fest geschlossen. Es mochte sein, dass sie ihn am Abend zu hart behandelt hatte. Auf einmal tat es Magdalene leid. Sie hätte ruhig ein bisschen freundlicher zu ihm sein können.

      Seine braunen Augen ruhten fest auf ihr. »Ich danke Euch für den Kaffee«, begann sie. »Ich habe noch nie in meinem Leben welchen getrunken.«

      Eine Strähne seines von grauen Fäden durchzogenen Haares fiel nach vorn über die hohe Stirn. »Er scheint nicht nach Eurem Geschmack zu sein. Ihr habt ja nur genippt.« Herr Rehnikel zog die Tasse herüber und ging damit zu ihr ans Fenster. Sie nahm sie entgegen. Die Tasse war noch warm, eine Wohltat für ihre eiskalten Finger. »Er schmeckt ein bisschen bitter, nicht wahr?«, urteilte sie zaghaft. Dabei verzog sie unwillkürlich das Gesicht.

      Herr Rehnikel lächelte. »Ihr findet ihn scheußlich! Mögt Ihr etwas anderes trinken?«

      Magdalene schüttelte den Kopf.

      »Ich würde Euch gern noch mehr zeigen. Ihr wart schon im ganzen Haus, habe ich gehört. Den Laden habt Ihr mir zu schnell durchschritten. Der Laden ist mein Ein und Alles. Er war es, mit dem ich hier angefangen habe und ich stehe heute noch so oft darin, wie ich irgend kann.«

      Sie nickte vorsichtig. Sie würden an der Küche vorbeikommen. Wahrscheinlich stand Else dort und würde sie sehen. Das war gut. Magdalene brachte das Kind in seine Wiege, dann stiegen sie gemeinsam die Treppe ins Erdgeschoss

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