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Das mit meinem Gesicht war ein … Unfall. Es wird mir gewiss gut gehen, ich werde seine Ehefrau.«

      Anna nickte. Eine Träne tropfte ihr aus dem Auge. »Wenn es dir nur gut geht. Dass er dich heiratet, ist die einzige Lösung. Weißt du, der Rehnikel ist gerade erst vor einem Vierteljahr Witwer geworden. Als wir die Daten gesehen haben, haben wir verstanden, warum er das mit dir so gemacht hat.«

      »Wer, wir?«

      »Die anderen Mägde und ich.«

      »Anna, redest du draußen über mich?«

      Anna schlug ihre blauen Augen zu Magdalene auf. »Mein liebes Lenchen, was soll ich denn sonst tun? Ich war außer mir vor Kummer, als du verschwandst, und ich war auch noch schuld an deinem Unglück! Ich hatte dich hinausgehen lassen. Du warst all die Zeit bei dem Rehnikel. Er hat dich in irgendeinem Versteck festgehalten, dabei dachten hier alle, du wärst ertrunken. Sie haben in der Stadt geredet, es hieß, dein Onkel hätte nicht auf dich achtgegeben. In Wirklichkeit hat der Rehnikel seinen Spaß an dir gehabt und inzwischen so getan, als ob er dich selbst suchte. Das konnte er nicht anders machen, weil seine Frau noch lebte. Das haben wir jetzt verstanden. Dein Onkel hat sich angeboten, den Rat von einer Klage gegen den Rehnikel abzuhalten, wegen der Entführung. Hat er nicht ein gutes Herz, dein Onkel?«

      Magdalene sank auf die Küchenbank und schüttelte den Kopf. Sie war nicht in der Lage, ein Wort zur Antwort zu geben. Ob dieser Herr Rehnikel das geahnt hatte, als er zur Heirat nickte? Ob der Onkel lange suchen musste, bis er einen fand, der samt Magdalene noch diese dumme Geschichte auf sich nahm? Noch sechs Tage, bis sie die Frau dieses Menschen war, der sie überhaupt nicht kannte. Der hatte sich ein Fischlein gefangen, das schwerer wog als das, was dem Jean de Morin ins Netz gegangen war.

      Die sechs Tage bis zu ihrer Hochzeit verflogen wie der Sommerwind, der sich am Tag vor der Feier schlafen legte. Magdalene durfte das Haus nicht mehr verlassen, auch nicht vorm Haus mit den Leuten reden. Sie ahnte, warum. Zu gefährlich war es, dass sie sich zur Herkunft ihres Kindes verplapperte. Der Schneider brachte am Abend vor der Hochzeit das Brautkleid. Jetzt hing es griffbereit, die Falten glatt gelegt, über der Truhe. Es hatte noch den Geruch der Schneiderstube an sich, den ärmlichen Dunst saurer Gurken, der mit ein paar Tropfen Rosenöl zu vertreiben war.

      Das Kleid, schwarz wie alle Brautkleider, schmiegte sich eng an ihre Haut. Eine zart geraffte Bordüre und eine Schleife verzierten den Ausschnitt ihrem Stand angemessen. Es saß knapp in der Taille, wölbte sich modisch über den Hüften und reichte genau bis zum Boden. Die Schnüre am Rücken konnte Magdalene ohne Hilfe nicht schließen. Deshalb schlich sie, die Arme überkreuz vor der Brust, zu dem kleinen Spiegel. Sie betrachtete sich, so gut es ging, von allen Seiten. Es war das wertvollste Kleid, das sie je besessen hatte, sie fühlte sich schön darin. Dennoch war es ein trauriges Kleid. Es erinnerte sie an den Schwur, den Jean und sie einander geleistet hatten. Vor Gott war sie bereits verheiratet.

      Doch es war ein Schwur einem Mörder gegenüber. Solch einen Schwur musste man nicht halten. Sie erinnerte sich an das Lachen und Träumen mit den anderen Mädchen am Melusinebrunnen. Dort redete Magdalene von ihrer künftigen Hochzeit stets als ein großes, fröhliches Fest. In Wirklichkeit wurde ihre Hochzeit weder groß noch fröhlich. Die eine, die vor Gott, war eine heimliche Hochzeit gewesen, die zählte nicht. Die andere, die für die Leute, würde nur verschämt gefeiert werden.

      Die Trauung verlief ohne großes Aufsehen. Der Onkel hatte beschlossen, die üblichen Hochzeitsspäße zu untersagen. Am frühen Morgen stand Magdalene auf und ging mit dem kleinen Hans hinunter in die große Stube, wo sie eingekleidet und geschmückt wurde. Ihre beiden Basen Elisabeth und Katharina, naseweise Mädchen, standen dabei und fühlten dauernd am Stoff und an den Nadeln, mit denen er gesteckt wurde. Tante Dorothea und Anna vollbrachten das Werk selbst. Sie steckten das Kleid eng um ihren Körper, flochten das Haar zu einem Kranz und befestigten die Brautkrone, ein filigranes Drahtgeflecht mit Bändern, obenauf. Anna stand alle Augenblicke vor Magdalene, die Hände gefaltet, und schluchzte: »Was für eine schöne Braut! Wenn das deine Mutter sehen könnte!«

      Um neun Uhr morgens kam Georg Rehnikel mit seinen Begleitern, um sie abzuholen. Er trug einen neuen schwarzen Anzug und eine Perücke, unter der er noch dicker wirkte als zuvor. Magdalene betrachtete den Mann, der bereit war, sie samt dieser furchtbaren Gerüchte zu sich zu nehmen. Er schwitzte, er sah sie nicht an, seine Hände zitterten. Waren ihm die Folgen seiner Entscheidung erst nach der Verlobung aufgegangen und er bereute es längst?

      Der Brautzug zur Ulrichskirche ordnete sich, ein kleiner, von allen Straßenecken gut beobachteter Zug. Georg Rehnikel führte mit seinen drei Schwägern – das waren andere Kaufleute aus seinem Viertel – den Zug an. Dahinter folgte Conrad Bertram mit Magdalene am Arm, dann die Tante mit ihren Kindern, weiter das Gesinde, allen voran Anna, die ständig schluchzte. Die Bänder der Brautkrone flatterten Magdalene ins Gesicht.

      Dem Onkel entging die Neugier der Beobachter. Er spielte unerbittlich seine Rolle als Vormund der Braut. Er hielt Magdalene fest, als ihr mitten auf der Straße übel wurde, lächelte nach allen Seiten und führte sie mit festem Schritt zu ihrer Trauung. Es mochte sein, dass er glaubte, Magdalene wollte im letzten Augenblick kneifen, denn sie schwankte wie ein Grashalm im Wind. Als sie in die Kirche trat, fiel ihr ein, dass Jean gerade in sein Fischerboot stieg und zu den Reusen fuhr. Der Drang überkam sie, etwas Irrsinniges zu tun, etwa laut zu schreien oder die Röcke zu raffen und davonzurennen.

      Sie tat nichts dergleichen. Der Onkel hielt sie die ganze Zeit starr am Arm. Er führte Magdalene bis vor Georg Rehnikel hin, der vor dem Altar wartete und sie mit seinen blanken dunklen Augen fest anschaute. Er war ein Anker in diesem Meer von Leibern. Viele unnütze Worte flossen an ihr vorüber und glitten durch die bunten Glasfenster hinaus in den Sommertag. Magdalene war, als stünde sie als einziger Mensch mitten in einem Ozean von nickenden Köpfen, geraunten Worten und staubtrunkener Luft. Sie fühlte sich einsam, so sehr, dass es schmerzte. Ihr Verrat an Jean, an dem Schwur, den sie ihm geleistet hatte, fühlte sich in dieser Stunde schwer an. Sie wurde zur Frau Rehnikel, doch sie wurde es nur mit Hilfe von Worten, nichts als Worten, von Menschen gesprochen, Menschen mit Sünden beladen. Magdalene spürte weder göttlichen Segen noch Fluch. Sie war deshalb die Rehnikelin, weil sich alle einig geworden waren und es in ein großes Buch schrieben. Heiraten ist ein großes Blendwerk, für die gemacht, die daran glauben, und diese Erkenntnis, so traurig sie auch war, erleichterte Magdalene ungeheuer.

      Der Tag blieb anstrengend. Es war nicht nur das schwere siebengängige Mahl, das im Gasthof ›Zum Palmbaum‹ serviert wurde: Fasanensuppe, in Brühe geschmortes Wildbret und Pasteten, Fleisch von Rebhühnern, Tauben und Schnepfen, kleine gebackene Speisen vom Kalb mit Früchten, in Speck geschmorte Lachse, Forellen und Hechte, Fischpasteten und Krebsragout, gebackene, mit Zucker bestreute und gefärbte Eierspeisen und Mandelkonfekt. Man war der Stellung der Braut schuldig, dass es beim Essen an nichts fehlte. Als Magdalene am Abend, nach den nötigsten Gratulationen und dem Abtanzen der Brautkrone zum ersten Mal in ihrem Leben ihr neues Zuhause, das Rehnikelsche Haus, betrat, waren ihr die Glieder schwer wie Blei und die Lider brannten. Anstrengend an diesem Tag war die Luft, die um die Hochzeit herumschwebte, wie ein dichter Herbstnebel, beklemmend und unbarmherzig. Anstrengender noch waren das Getuschel, das hinter ihrem Rücken aufflammte, als wär’s die Spur ihres Weges, und die Unverschämtheit mancher Blicke.

      Sie betraten das Grundstück durch einen Torbogen. Das Haus lag am Ende des Grasewegs, in der Nähe des Klaustores. Vom Gasthaus waren es ein paar Schritte, die gingen Georg Rehnikel und seine neue Frau nebeneinander. Magdalene spürte ihre Hand in seiner liegen und fühlte, dass er schwitzte. Sie sah, wie rot er war. Das würde die Vorfreude sein. Er glaubte, er ginge seiner Hochzeitsnacht entgegen. Magdalene dachte nicht daran, ihm heute Nacht irgendeine Freude zu bereiten. Das Herz klopfte ihr trotzdem. Links und rechts von ihnen stemmten sich die Pfeiler des mächtigen Torbogens in den Boden, Linien zu Mustern in den Stein gehauen, mit einem breiten umlaufenden Sims. Magdalene ging durch den Bogen, der in der Dunkelheit massig erschien, als wäre er von einem Riesen vor Urzeiten dorthin gepflanzt worden und bliebe bis zum Jüngsten Tage stehen.

      Magdalene hatte, obwohl es ihr verboten gewesen war, in den letzten Tagen ein paar Mal mit Sybille sprechen können. Sie hatte sich jede Information über Herrn

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