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trug den Namen »Zu den drei Rössern«, den mochte man ihm gegeben haben, weil es einen Durchgang zum Innenhof besaß, breit genug für ein Fuhrwerk. Die Gasse unweit des Klaustores, an der das Haus lag, war mit buckligem Feldstein gepflastert. Viele Menschen zogen vor allem an den Markttagen durch, es war niemals still dort, eine quirlige, geschäftsträchtige Gegend. Das dunkle, zweigeschossige Gebäude an einer Straßenecke stand zwischen zwei höhere Bauten gepresst, die es mit ihren spitzen Giebeln niederzudrücken schienen.

      Die Mauern des Hauses teilten sich deutlich in zwei Schichten. Das Untergeschoss, gemauert aus rauen, behauenen Quadern, war an manchen Stellen eine Armlänge dick. Die fleischfarbenen Steine lagen seit Generationen auf diese Weise aufeinandergeschichtet, und vor ebenso vielen Generationen war ihnen ein einziger großer Bogen als Einfahrt in den Hof gegeben worden. Luft drang durch schmale Schlitze in den Bau, so weit oben, dass kein Hochwasser sie bisher erreicht hatte, nicht einmal die große Flut vor fast hundert Jahren, von der die Alten sagten, es sei eine zweite Sintflut gewesen. Es gab zwei winzige quadratische Fenster in jeder Wand und zum Hof hin eine Tür. Vor wenigen Jahren hatte man erst ein richtiges Geschäft eingebaut, von außen zugänglich durch eine zusätzliche Tür. Obenauf saß wie ein Vogel im Nest ein Fachwerkgeschoss mit einem steilen Ziegeldach, mit verglasten Fenstern und einem Schornstein.

      Magdalene war jetzt Herrin eines Haushalts, den sie noch nicht kannte und der viele Jahre lang gut ohne sie ausgekommen war. Magdalenes Füße wollten ihr nicht recht gehorchen und stehen bleiben wie die eines alten Weibes, das vom Gehen ausruht. Sie war noch nie hier gewesen, auch den bekannten Laden unweit der Saalebrücke hatte sie noch nie betreten. Nicht nur, dass die teuren Spezereien nicht von Bediensteten oder Unwissenden gekauft wurden, auch der Ruf des Händlers verhinderte den Besuch der neugierigen Mädchen. Herr Rehnikel war als komischer Kauz bekannt. Man wisperte hinter vorgehaltener Hand, er schließe sich abends in seine Kammer ein und braue Zaubertränke.

      Er handelte mit allen Materialien, die ihm Gewinn brachten, er kaufte und verkaufte en gros. Im Laden allerdings bot Herr Rehnikel die Waren an, denen seine Vorliebe galt: den ausgefallenen Spezereien, seltenen Rinden, Wurzeln und Früchten. Herr Rehnikel war ein Liebhaber botanischer Seltenheiten. Sybille hatte ihr berichtet, dass man glaube, er wolle seine Schätze am liebsten behalten und gar nicht verkaufen; er wäre bloß von dem Wunsch getrieben, von allem und jedem ein Quäntchen zu besitzen, zu sammeln, um ein vollständiges Spektrum vorweisen zu können.

      Georg Rehnikel führte Magdalene zu einer Tür links hinter dem eichenen Torflügel. Ein seltsam schwerer und würziger Geruch empfing Magdalene, als sie das Haus betrat. Es war derselbe Geruch, den sie an ihrem Mann bei der Verlobung wahrgenommen hatte. Herr Rehnikel wies mit der Hand auf die beiden anderen Türen im Erdgeschoss. »Da geht es in die Küche und auf der anderen Seite in den Laden. Das können wir uns morgen ansehen.«

      Sie stiegen die Treppe hinauf ins Erkerzimmer, in dem ein kleines Kaminfeuer brannte. Vom Erkerfenster sahen sie herab auf die erleuchtete Straße und das Gewimmel vorm Gasthaus. Dort feierten die Hochzeitsgäste noch ausgelassen. Die Vornehmheit hinderte sie nicht, sich kräftig zu betrinken, einige grölten lautstark durcheinander. Magdalenes Onkel stand in der Tür und prostete jemandem zu. Es war eine klare, helle Nacht. Magdalene sah sein Gesicht, als stünde er mitten im Sonnenschein. Er lachte fröhlich und gelöst. Musikanten traten auf die Straße, einer fiedelte, einer stieß den Brummtopf. Die Leute begannen zu tanzen. Der Onkel erwischte einen Weiberarm, eingehakt sprang er wie ein Grünschnabel, in der Hand den Becher, aus dem die Gose schwappte.

      Georg Rehnikel hielt noch immer Magdalenes Fingerspitzen. Mit dem anderen Arm fasste er sie und zog sie heran. Er kam ihr heute kleiner vor, seine runden grauen Augen sahen auf gleicher Höhe in ihre. Sein Mund näherte sich. Sie begriff, was er vorhatte, und senkte den Kopf. Seine Lippen trafen ihre Stirn.

      Sie schwiegen lange. Magdalene hielt den Blick auf die Holzdielen geheftet, denn sie wollte nicht die Erste sein, die sprach. Sie hatten den Tag über keine Zeit gehabt, ein einziges Wort unter vier Augen zu wechseln. Herr Rehnikel nahm den Arm von ihrer Schulter.

      »Wo ist Hans?«, fragte sie. »Man hat mir gesagt, dass sie den Hans hierher bringen würden.«

      Georg Rehnikel nickte und wies mit der Hand auf eine Tür, die links der Eingangstür in einen weiteren Raum führte. Er ging vor, öffnete sie und schritt durch einen kleinen gefangenen Raum mit Schreibpult und Bücherschrank weiter in das nächste Zimmer. Das war das Schlafzimmer mit einem richtigen Kleiderschrank und zwei Truhen, einem großen Bett mit vier gedrechselten Säulen und einem Himmel aus Stoff.

      Vor dem Fenster stand eine Wiege. Darin schlief tatsächlich Hans, ihr Sohn. Sie beugte sich über das Bettchen und strich ihm über die Wange. Sie hatte ihn den ganzen Tag nicht stillen können, ihre Brust spannte und sie war sicher gewesen, dass Hans vor Hunger schreien würde. Anna hatte sie noch am Morgen beruhigt und gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen solle. Anna wusste alles über kleine Kinder, sie hatte ihm eine Milch gemacht und ihn am Abend hierher gebracht. Magdalene war verletzt, dass das Kind so lange ohne sie ausgekommen war. Sie hob es vorsichtig aus der Wiege. Es seufzte im Schlaf, ließ sich in den Arm nehmen und schlief weiter.

      Herr Rehnikel stand hinter ihr. Er sah zu, wie sie mit dem Kind hinüberging in das warme Zimmer. Dort in der Nähe eines großen Erkers standen zwei gepolsterte Stühle. Auf einem von denen ließ sie sich nieder und wiegte das Kind. Georg Rehnikel setzte sich auf den zweiten Stuhl. Er schaute ein Weilchen zu, wie sie dem Kind über die Wange strich. »Seid Ihr müde?«, fragte er. »Möchtet Ihr schlafen gehen?«

      Magdalene schüttelte den Kopf.

      »Dann darf ich Euch noch ein bisschen Gesellschaft leisten.«

      Sie schaute auf. »Es ist Euer Haus, ich kann Euch nicht daran hindern.«

      Er atmete aus und ein, bevor er antwortete. »Es ist auch Euer Haus. Ihr seid jetzt meine Frau.«

      »Wie konnte ich das vergessen.« Magdalene hörte sich selber sprechen und spürte, wie bitter es klang. Das war der einzige Klang, den sie für den Rehnikel zu verwenden gedachte.

      »Magdalene, Ihr seid jetzt wirklich und wahrhaftig meine Frau. Ihr werdet in diesem Haus die Herrin sein. Das werdet Ihr doch nicht ablehnen, oder?« Er beugte sich aus seinem Stuhl vor.

      »Natürlich nicht. Ich kenne meine Verpflichtungen.«

      Herr Rehnikel atmete ein bisschen und wurde lauter. »Ihr hättet nicht Ja sagen müssen zu unserer Heirat. Ihr habt Ja gesagt. Da kann ich ein bisschen Freundlichkeit von Euch erwarten.«

      Magdalene wurde auch lauter, und es brach mehr aus ihr heraus, als sie eigentlich gewollt hatte. »So? Meint Ihr? Was Ihr erwartet oder nicht, ist mir völlig egal. Ich jedenfalls hatte keine andere Wahl als Ja zu sagen. Deshalb braucht Ihr Euch keinerlei Hoffnung machen, dass ich Euch das Bett wärme. Deshalb habt Ihr mich eingekauft, nicht wahr? Für den Spaß, den man mit jungem Fleisch haben kann? Das könnt Ihr Euch schenken. Schließlich weiß alle Welt, dass Ihr mich bereits verführt habt. Geht ruhig schlafen, ich komme später.«

      Herr Rehnikel sank in seinen Stuhl zurück und schlug die Augen nieder. Die Hände ballte er zur Faust und sagte keinen Ton. Er stand auf und ließ sie allein. Sie hörte ihn im Schlafzimmer hin und her gehen. Erst als es still war, ging sie ihm nach. Sie legte Hans in seine Wiege und zog das festliche Kleid aus.

      Als sie unter das Deckbett kroch, sah sie kurz zu Georg Rehnikel hinüber. Der hatte sich zur anderen Seite gedreht und hielt die Augen geschlossen, aber sie spürte, dass er nicht schlief. Sie rollte sich ein und legte sich auf die andere Seite. Obwohl sie ihm den Rücken zudrehte, hörte sie jede seiner Bewegungen. Sie hatte mehr als neun Monate im selben Bett mit Jean de Morin geschlafen. Nie waren ihr seine Geräusche so aufgefallen wie die von Georg Rehnikel. Der atmete, seine Hand schabte über das Leinen des Bettzeugs, er drehte den Kopf. Sie versuchte vollkommen still zu liegen und flach zu atmen. Schlafen konnte sie nicht.

      Gegen Morgen fiel sie in einen Schlummer, aus dem sie sofort erwachte, als Hans in seinem Bettchen einen ersten Ton von sich gab. Sie holte das Kind zu sich herüber und begann es zu stillen. Herr Rehnikel in ihrem Rücken schlug das Deckbett zurück. Er sagte leise:

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