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fuhr zusammen; dann nahm er einen ovalen Spiegel vom Tisch, den elfenbeinerne Liebesgötter umrahmten – eins der vielen Geschenke, die Lord Henry ihm gemacht hatte – und blickte eilig in seine glänzenden Tiefen. Keine Linie der Art verzerrte seine roten Lippen. Was bedeutete das?

      Er rieb sich die Augen und trat ganz nahe an das Bild, um es noch einmal genau zu betrachten. Es waren keine Spuren irgendeiner Änderung zu bemerken, wenn er das Technische des Bildes ins Auge fasste, und doch war kein Zweifel daran, dass der ganze Ausdruck anders geworden war. Es war keine bloße Einbildung von ihm. Die Sache war schrecklich deutlich.

      Er warf sich in einen Stuhl und fing an nachzudenken. Plötzlich fielen ihm wie ein Blitz die Worte ein, die er am Tage, wo das Bild fertig geworden war, in Basil Hallwards Atelier gesagt hatte. Ja, er erinnerte sich genau. Er hatte den wahnsinnigen Wunsch geäußert, er selbst möchte jung bleiben und das Bild alt werden; seine eigene Schönheit sollte nie befleckt werden und das Gesicht auf der Leinwand die Last seiner Leidenschaften und seiner Sünden tragen; das gemalte Bild sollte von den Linien des Leidens und des Denkens verrunzelt werden, und er selbst wollte allen zarten Schmelz und alle Anmut seiner Jugend bewahren, deren er sich eben damals bewusst geworden war. Sein Wunsch war doch nicht in Erfüllung gegangen? Solche Dinge waren unmöglich. Es schien ungeheuerlich, auch nur daran zu denken. Und doch, da stand das Bild vor ihm und hatte den Zug der Grausamkeit um den Mund.

      Grausamkeit! War er grausam gewesen? Es war die Schuld des Mädchens, nicht seine. Er hatte von ihr als einer großen Künstlerin geträumt, hatte ihr seine Liebe geschenkt, weil er sie groß geglaubt hatte. Dann hatte sie ihn enttäuscht. Sie war seicht und erbärmlich gewesen. Und doch kam ein Gefühl unendlichen Bedauerns über ihn, wenn er daran dachte, wie sie zu seinen Füßen gelegen und wie ein kleines Kind geschluchzt hatte. Er erinnerte sich, mit welcher Gefühllosigkeit er auf sie geblickt hatte. Warum war er so geschaffen worden? Warum war ihm so eine Seele gegeben worden? Aber er hatte auch gelitten. Während der drei schrecklichen Stunden, die das Stück gedauert hatte, hatte er Jahrhunderte des Schmerzes gelebt, unendliche Zeiten der Qualen. Sein Leben war so viel wert wie ihres. Sie hatte ihn für einen Augenblick vernichtet, wenn er sie für immer verwundet hatte. Überdies waren Frauen besser geeignet, Leiden zu ertragen, als Männer. Sie lebten in ihren Empfindungen, sie dachten nur an ihre Empfindungen. Wenn sie einen Geliebten hatten, so sei es nur, um einen Menschen zu haben, mit dem sie Szenen aufführen könnten. Lord Henry hatte ihm das gesagt, und Lord Henry wusste, was an den Frauen war. Warum sollte er sich wegen Sibyl Vane beunruhigen? Sie war ihm jetzt nichts mehr.

      Aber das Bild? Was sollte er dazu sagen? Es barg das Geheimnis seines Lebens und erzählte seine Geschichte. Es hatte ihn gelehrt, seine eigene Schönheit zu lieben. Sollte es ihn lehren, sich vor seiner eigenen Seele zu ekeln? Konnte er es je wieder ansehn?

      Nein; es war nur eine Täuschung, die die gestörten Sinne gewoben hatten. Die furchtbare Nacht, die er hinter sich hatte, hatte Gespenster zurückgelassen. Plötzlich war auf sein Hirn der kleine rote Fleck gekommen, der die Menschen wahnsinnig macht. Das Bild hatte sich nicht verändert. Es war Verrücktheit, es zu glauben.

      Aber es sah nach ihm hin mit seinem schönen, entstellten Gesicht und seinem grausamen Lächeln. Sein leuchtendes Haar glänzte im Schein der Frühsonne. Seine blauen Augen blickten in die seinigen. Ein Gefühl unendlichen Mitleids, nicht mit sich selbst, sondern mit seinem gemalten Abbild überkam ihn. Es hatte sich schon verändert und würde sich noch mehr verändern. Sein Gold würde zu welkem Grau werden, seine roten und weißen Rosen würden sterben. Für jede Sünde, die er beginge, würde ein Mal seine Schönheit beflecken und verderben. Aber er wollte nicht sündigen. Das Bild, ob verändert oder unverändert, sollte ihm das sichtbare Wahrzeichen des Gewissens sein. Er wollte der Versuchung widerstehen. Er wollte Lord Henry nicht mehr sehn – wollte jedenfalls nicht mehr auf die feinen vergifteten Theorien hören, die in Basil Hallwards Garten zuerst in ihm die Leidenschaft für Dinge, die nicht möglich sind, erregt hatten. Er wollte zu Sibyl Vane zurückgehen, ihre Fehler verbessern, sie heiraten und versuchen, sie wieder zu lieben. Ja, es war seine Pflicht, das zu tun. Sie musste mehr als er gelitten haben. Armes Kind! Er war selbstsüchtig und grausam gegen sie gewesen. Der Zauber, den sie auf ihn ausgeübt hatte, würde zurückkehren. Sie wollten glücklich beisammen sein. Sein Leben mit ihr sollte schön und rein sein.

      Er stand vom Stuhl auf und schob einen großen Wandschirm vor das Porträt. Es schauderte ihn, als er darauf blickte. »Wie furchtbar!«, murmelte er. Dann ging er an die Balkontür und öffnete sie. Als er in das Gras hinaustrat, holte er tief Atem. Die frische Morgenluft schien all seine düstern Leidenschaften zu verjagen. Er dachte nur an Sibyl. Ein schwacher Schimmer seiner Liebe kam wieder zu ihm. Er wiederholte ihren Namen immer und immer wieder. Die Vögel, die in dem taugetränkten Garten sangen, schienen den Blumen von ihr zu erzählen.

      Achtes Kapitel

      Spät am Mittag erwachte er erst. Sein Bedienter war ein paarmal auf den Fußspitzen ins Zimmer geschlichen, um zu sehn, ob er auf wäre, und hatte sich gewundert, weshalb sein junger Herr so lange schlief. Schließlich läutete es, und Viktor ging sacht mit einer Tasse Tee und einem Stoß Briefschaften, die auf einem kleinen Tablett aus altem Sévresporzellan lagen, hinein. Er zog die Vorhänge aus olivfarbenem Atlas mit ihrem flimmernden blauen Futter, die an den drei großen Fenstern hingen, zurück.

      »Monsieur hat diesen Morgen gut geschlafen«, sagte er lächelnd.

      »Wieviel Uhr ist es, Viktor?« fragte Dorian Gray schlaftrunken.

      »Viertel zwei Uhr, Monsieur.«

      Wie spät es war! Er richtete sich auf, nahm ein paar Schlucke Tee und sah seine Briefe durch. Einer davon war von Lord Henry und war diesen Morgen von einem Boten gebracht worden. Er zögerte einen Augenblick und legte ihn dann beiseite. Die andern öffnete er mit lässiger Hand. Sie enthielten die üblichen Karten, Einladungen zum Essen, Ausstellungsbillette, Programme für Wohltätigkeitskonzerte und dergleichen, wie sie jungen Herren der Gesellschaft während der Saison jeden Morgen ins Haus schneien. Dann war eine recht hohe Rechnung da für eine in Silber getriebene Waschgarnitur im Stil Louis’ XV.; er hatte noch nicht den Mut gehabt, die Rechnung seinen Vormündern zu schicken, die äußerst altmodische Leute waren und nicht einsahen, dass wir in einer Zeit leben, wo unnötige Dinge unsere einzigen Bedürfnisse sind. Und endlich waren einige überaus höflich abgefasste Zuschriften aus Jermyn Street da, die sich anheischig machten, auf eine Meldung hin sofort jede Summe zu sehr mäßigem Zinsfuß vorzustrecken.

      Nach etwa zehn Minuten stand er auf, zog einen fein gearbeiteten Schlafrock aus Kaschmirwollstoff, der mit Seidenstickereien geziert war, an und ging in das Badezimmer, dessen Boden mit Onyx belegt war. Das kalte Wasser erfrischte ihn nach dem langen Schlaf. Er schien alles vergessen zu haben, was er erlebt hatte. Ein undeutliches Gefühl, in eine seltsame Tragödie verwickelt gewesen zu sein, kam ihm ein- oder zweimal, aber die Unwirklichkeit eines Traumes lag darüber.

      Sowie er angezogen war, ging er in das Bücherzimmer und setzte sich zu einem leichten französischen Frühstück, das ihm auf einem runden Tischchen in der Nähe des offenen Fensters serviert worden war. Es war ein herrlicher Tag. Die warme Luft schien mit Wohlgerüchen geladen. Eine Biene flog herein und summte um die Schale aus blauem Drachenporzellan, die mit schwefelgelben Rosen gefüllt vor ihm stand. Er fühlte sich sehr glücklich.

      Plötzlich fiel sein Auge auf den Schirm, den er vor das Bild gestellt hatte, und er fuhr zusammen.

      »Friert Monsieur?«, fragte der Bediente, der eben eine Omelette auf den Tisch gestellt hatte. »Ich werde das Fenster schließen.«

      Dorian schüttelte den Kopf. »Mich friert nicht«, antwortete er.

      War es denn wahr? Hatte sich das Bild in Wahrheit verändert? Oder war es lediglich seine eigene Fantasie gewesen, die ihm ein böses Aussehen vorgespiegelt hatte, wo nur ein frohes Aussehen war? Eine gemalte Leinwand konnte sich doch wohl nicht verändern? Das war doch Unsinn! Es war eine Geschichte, die er eines Tages Basil erzählen konnte. Er würde darüber lächeln.

      Und doch, wie lebhaft war seine Erinnerung an alles! Zuerst im schwachen Zwielicht und dann in der strahlenden Morgensonne hatte er den Zug

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