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nennt man sie ungeschminkt – was sprichwörtlich als synonym dafür gilt, die Wahrheit zu präsentieren.

      Es ist ein sprachlich sehr schönes Bild, wie ich finde.

      Und genauso will ich ungeschminkt über das berichten, was mir widerfuhr und was ich dazu denke. Die Tatsache, dass ich als ruhmreicher Tanjaj anerkannt bin, hilft mir, den sicherlich auftretenden Anfeindungen zu begegnen. Genauso wie die Tatsache, dass ich ursprünglich kein erklärter kriegsmüder Anhänger des Predigers war!

      Wiederholt habe ich jedem, der es hören und auch manchem, der es nicht hören wollte gesagt, das ich die Wiederaufnahme des permanenten Krieges für die Verbreitung des Glaubens und der Göttlichen Ordnung als unerlässlich ansehe.

      Und doch sollten alle darüber die Wahrheit wissen.

      Auch wenn sie schmerzt.

      Auch wenn sie mit dem schwer vereinbar ist, was uns erzählt und überliefert wurde.

      Auch wenn sie offenbart, dass die siebzehn Heiligen vielleicht Helden gewesen sein mögen, aber die Helden von heute nicht unbedingt Heilige sind.

      Einschub: Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung versuchten sowohl Priesterschaft als auch die Organisation der Tugendwächter und der amtierende Tanjaj-Mar die Veröffentlichung zu verhindern. Dem Widerspruch des Predigers Ron-Nertas und der Feindschaft, die all jene erwähnten Gruppen untereinander verbindet, ist es zu verdanken, dass man diese Aufzeichnungen beinahe im gesamten Heiligen Imperium downloaden kann.

      Warten wir ab, wie lange das der Fall ist.

      14

      In Qatlanor wurde ich Zeuge einer Prozession, die sich durch die Straße dahinschleppte. Der greise Aarriid wurde auf einer Sänfte getragen und mindestens zwei Millionen Gläubige waren auf den Beinen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Die Luft war erfüllt von Liedern und Gebeten.

      160 Jahre war dieser Aarriid schon am Leben. Er war älter geworden als fast jeder andere Qriid in den vergangenen zehntausend Jahren. Seine bisherige Lebensspanne überschritt das normale Maß um ein Viertel. Viele sagten, dass es die Kraft Gottes war, die ihn so lange am Leben ließ, bis der permanente Krieg zumindest für eine Weile unterbrochen werden konnte. Aber wie wäre das möglich gewesen, solange unser schlimmster Feind sich nicht ergeben hatte?

      Wie hätte das sein können, solange die gigantischen Mordsmaschinen der Erdensöhne uns bedrohten und eine stete Verhöhnung der göttlichen Ordnung zu sein schienen? Wie hätten wir es diesen Barbaren gestatten können, dass auf den Tod eines Aarriid regelmäßig folgende Interregnum auszunutzen, während dessen der Heilige Krieg stets unterbrochen wurde?

      Also war der Aarriid zum Leben verdammt.

      Er war kaum noch in der Lage den Kopf alleine zu heben, wenn man ihn durch die Straßen trug. Seine Augen waren die meiste Zeit über geschlossen. Die Haut war ledern und faltig und wirkte wie ein zu groß geschnittenes Gewand. Denn das Innere war langst dahingeschwunden. Seine Muskeln, das Fett – all das hatte er im Laufe der Zeit verloren. Es hieß, dass er kaum noch aß und manchmal tagelang in tiefer spiritueller Versenkung verbrachte.

      Die Führung des Imperiums lag faktisch in den Händen der obersten Tanjaj und der Priesterschaft.

      Beide Gruppen buhlten bereits um die Macht, als hätte das Interregnum bis zum Einsetzen eines neuen Aarriid längst begonnen.

      Solange der Krieg andauerte, war der militärische Oberbefehlshaber dabei natürlich im Vorteil. Er traf faktisch die alltäglichen Entscheidungen.

      Und jedem, der die Bilder des hinfälligen Aarriid noch in der Erinnerung bewahrt, wird klar, weshalb das Heilige Imperium so große Anstrengungen unternahm, die Menschheit schneller niederzukämpfen, als es unseren Fähigkeiten entsprach.

      Bevor der Aarriid endgültig die Augen schloss, sollte das Etappenziel des permanenten Krieges erreicht sein.

      Die Menschheit musste bis dahin unterworfen und ihr industrielles Potenzial dem heiligen Krieg zugeführt werden.

      Danach mochte sich dann eine mehr oder weniger lange Epoche der Konsolidierung anschließen. Eine Phase des Interregnums, in der im Übrigen traditionellerweise die Macht der Priesterschaft wuchs, je länger diese Phase andauerte.

      Die Priesterschaft hatte dann nämlich alle Trümpfe in der Hand, denn sie bestimmte den Aarriid – und den Zeitpunkt seiner Einsetzung. Und je weniger Entscheidungen auf militärischer Ebene gefällt werden musst oder mit militärischen Erwägungen begründet werden konnten, desto mehr schmolz die Machtbasis des Tanjaj dahin.

      Ein ewiges Spiel, das sich schon so oft in unserer bewegten Geschichte wiederholte.

      15

      Der Tanjaj-Mar empfing mich einige Zeit später persönlich.

      Das war etwas sehr Ungewöhnliches. Schließlich war ich nur einfacher Raumschiffkommandant, der im Übrigen nicht nur darauf wartete, dass sein Körper wieder einigermaßen hergestellt und einsatzfähig war, sondern auch ein neues Kommando in Aussicht hatte. Das Schiff, das ich kommandieren sollte war geringfügig größer als die KAMPFKRALLE, hatte hundertfünfzig Mann Besatzung und mehrere sehr variabel einsetzbare Beiboote, die mit Traser-Geschützen ausgerüstet waren und sich hervorragend zur Durchführung von Kommandounternehmungen eigneten.

      Allerdings war dieses Schiff noch nicht zur Gänze fertig gestellt, es trug auch noch keinen Namen, aber das war wohl das geringste Problem dabei. Unsere Werften arbeiteten auf Hochtouren, aber es war momentan unmöglich, in der Produktion mit der Zahl der durch Feindberührung zerstörten Einheiten mitzuhalten. So kam es immer wieder zu erheblichen Engpässen.

      Der Tanjaj-Mar musterte mich mit seinen grauen Augen.

      Ich war ihm einmal begegnet – und das war, als ich in der großen Halle der Krieger – direkt neben dem Zentraltempel in Qatlanor gelegen – an der Vereidigungszeremonie für angehende Tanjaj teilnahm. Er vertrat damals im Grunde genommen den Aarriid, der wohl gesundheitlich nicht in der Lage gewesen war, an dieser Feier teilzunehmen.

      Doch da hatte ich ihn nur aus weiter Ferne gesehen.

      Allerdings war sowohl die Anwesenheit des Aarriid als auch jene des Tanjaj-Mar bei der Vereidigung eine Ausnahme, die nur wenigen Privilegierten zuteil wurde. Wahrscheinlich hatte es mit den Verdiensten meines Vaters oder meines Großvaters zu tun. Vielleicht auch damit, dass Feran-San ein Seraif war und im Allgemeinen auch für die Angehörigen dieser Eliteeinheit gewisse Vergünstigungen galten. Offiziell wurde das natürlich stets bestritten, aber jeder wusste, dass es so war. Nicht einmal die Tugendwächter versuchten das zu leugnen.

      Jetzt stand ich dem Tanjaj-Mar, dem Oberbefehlshaber der ruhmreichen Glaubenskrieger des Heiligen Imperiums, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er empfing mich in seinem Arbeitszimmer.

      „Ich habe viel von dir gehört, Nirat-Son“, sagte er.

      Ich verneigte den Kopf so tief, dass der Schnabel beinahe mein Brustbein berührte.

      „Ich fühle mich tief geehrt“, sagte ich.

      „Du kommst aus einer guten Familie.“

      „Es freut mich, dass dies anerkannt wird!“

      „Das wird es! Dein Onkel zeigte bei den Seraif besonderen Glaubenseifer und hat dich zur Aufnahme in diese Einheit vorgeschlagen.“

      Ich öffnete den Schnabel, vergaß ihn für ein paar Augenblicke wieder zu schließen und brachte dann nichts weiter als ein heiseres Krächzen hervor. So hatte Feran-San also Tatsachen geschaffen!, ging es mir durch den Kopf. Aber vielleicht war es gar nicht so schlecht. Hatte sich nicht zumindest eine Hälfte von mir immer danach gesehnt, etwas Besonderes zu sein? Etwas Besonderes zu vollbringen? Gott besonders zu dienen?

      Ach, Eitelkeit und tiefe Frömmigkeit liegen doch manchmal so dicht nebeneinander, dass es mir bei dem Gedanken daran schaudert.

      Im

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