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einmal gar nicht zu sprechen. Jaja sagte die alte Tante Annerose setzte sich in ihrer Sofaecke zurecht pickte sich ein paar Krümel von der Bluse und nahm sich noch ein Stück Kuchen jaja das ist gar nicht gut aber die Leute wollen's ja nicht anders aber wenn sie erst mal so viel gesehen hätten wie unsereiner - - - - - )

      (Tanten sind ja in der Literatur meistens ältere, schrullige Damen und kaum jemals junge knackige. Auch diese Tante ist durchaus in die Jahre gekommen. Jemand anders hätte ihr vielleicht sogar schon ein Buch geschenkt »Wie regle ich meinen Nachlass«, aber das wäre mir doch allzu unpassend erschienen, ja, stillos. Wobei: eines tat sie nicht: Patiencen legen. Patiencen legen hat so etwas Miefiges, habe ich immer gefunden. Es erinnert irgendwie an die alten Damen bei Saki, na ja, vielleicht auch nicht, denn die alten Damen bei Saki können manchmal auch ziemlich gefährlich sein; zumindestens bissig. Gleichwohl. Ich dachte das über Patiencen. Lange Zeit. Bis ich dann auf Solitär stieß, dieses Spiel im alten Windows-Betriebssystem. Ich bin ja eigentlich ein eingefleischter Hasser von Spielen, aber dieses Spiel faszinierte mich, ja, einige Wochen lang war ich regelrecht süchtig. Anfangs dachte ich, es sei mir überlegen, wie ich das auch vom Schach weiß. Dann fand ich heraus, dass sich einige Partien eben wirklich nicht lösen lassen, das Programm das dem Spieler aber nicht verrät. Ich überlegte ernsthaft einen Artikel zu schreiben, in dem ich das Spiel als Schule für Unternehmer anpreisen wollte, denn es lehrt Überblick suchen, auf verschiedenen Baustellen arbeiten und überhaupt sich selbst nicht überschätzen – irgend etwas übersieht man immer, und man weiß vorher nie, wie sie Sache ausgeht (und man findet auch keinen Sündenbock). Überhaupt ist das Spiel ziemlich hinterhältig und gemein programmiert, finde ich, schon allein der triumphierende, ja geradezu höhnische Ton, der einem bei einem Tip ankündigt, dass man wirklich wieder blind wie ein Huhn war, ist eine regelrechte Unverschämtheit. Oder die Art, einen immer wieder dieselben dummen Züge machen zu lassen, bevor die erlösende Meldung kommt »Leider verloren«. Vielleicht spielt das Programm ja auch mit getürkten Karten, und behält einem sozusagen in Abhängigkeit vom eigenen Spielverhalten bewusst bestimmte Karten vor, die man unbedingt braucht. – Ich vermute aber, dass es auch bei wirklichen, wirkliche Patiencen aus materiellen Spielkarten legenden Tanten solche gibt, die immer wieder glauben, ihr Lieblingsneffe habe ihnen die Pik-Sieben versteckt. Und nachzählen.33)

      Alles so lassen wie es ist: auch leichter gesagt als getan. Nehmen wir nur mal die Haustür; seit einigen Jahren verzieht sie sich. Man sollte das gar nicht für möglich halten, alt wie das Holz schon ist und wenigstens im letzten Jahrzehnt immer mal wieder neu gestrichen, aber sie verändert ihre Form, verliert an Geradheit, will fort vom Linearen (wofern man das bei dreidimensionalen Gegenständen überhaupt so sagen kann) und begibt sich damit ernsthaft in Gefahr, auch ihren derzeitigen und einzigen Beruf nicht mehr verlässlich ausführen zu können, denn was mit Spalten und Ritzen begann, könnte bald zu einer gänzlich Unverschließbarkeit führen und damit eine Wandlung, eine Trennung, eine Veränderung herbeiführen, die ich nicht herbeisehne, denn neue Haustüren sind teuer. Kommt aber noch eins hinzu: die Haustür fügt sich optisch so gut ins Gesamtbild des Hauses ein. Ein Schreiner, der seinen Beruf noch geliebt hat, so scheint’s, kerbte ihr eine Reihe von bescheidenen Verzierungen ein, die mit der Gestaltung der Mauersimse und der äußeren Fensterbänke (ich erwähnte es vorhin beiläufig: viel Kunstfertigkeit ist da nicht vorzufinden, aber immerhin) aufs Freundlichste korrespondieren, und ich ahne schon, dass man einen solchen Tischler heute nicht mehr finden wird (›Manchmal sind Brötchen noch, was Brötchen einmal waren…‹34). Dann bliebe nur noch die Wahl zwischen gähnender Langeweile und standardisiertem Protz; getriebene Bronze etwa, wie von namhaften Türenherstellern gern angeboten, wäre mir ein Graus. Also werde ich doch bald einmal jemanden auftreiben müssen, der die alte Haustür abhobelt und sie wiederum neu anstreicht, für eine weitere Galgenfrist, damit ein kleines Stückchen mehr beim Alten bleiben kann.

      Das bringt aber ein weiteres Problem mit sich, Sie ahnen es schon. Wenn ich den Auftrag erteile, die Haustür abzuhobeln, muss man sie aus den Angeln heben und forttragen. Wenn sie angestrichen sein wird, darf man sie zunächst nicht schließen. Es wird also ein paar Tage offenes Haus sein, und das ist gefährlich, denn das Gesindel lauert ja nur drauf.

      Tante A – --- Tante Agnes hat, glaube ich, dem Haus den Bettler sehr übel genommen. – Agnes? – Obwohl das Haus gar nichts dafür konnte, und ich auch nicht sehr. Aber das war vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Denn den (ansonsten bekanntlich recht schmucklosen) Sockel schmückten auch noch Graffitis. Adelheid?? Das ist halt so einer der Preise, die man für eine innerstädtische Wohnlage zu zahlen hat.35 In den Metropolen36 gibt es immer eine große Gruppe oder besser viele kleine Gruppen von Sprühern (auch Einzelgänger, natürlich), die einen Teil ihres Glücks im nächtlichen Anbringen mehr oder weniger origineller Zeichen an mehr oder weniger bedeutsamen Stellen im Weichbild einer Siedlung zu finden verdächtig sind.37 Früher waren das einmal hübsche Bilder, heute sind es meist nur noch die Signaturen. Kein Werk, aber eine Signatur, das ist auch so eine Entartung von Kunst, der man einmal näher nachgehen sollte. Sie mögen die Verwendung des Wortes ›Entartung‹ an dieser Stelle vielleicht als zu grob empfinden, aber ich möchte mir nicht immer von der früheren Fehlverwendung einzelner Vokabeln eine heutige Rechtverwendung verbieten lassen. Gleich werde ich es ohnehin wieder relativieren; vielleicht ist das bei genauerem Überlegen, denke ich mir nämlich, gar keine Entartung, es ist nur eine Art Spaltung. Schauen Sie mal: das Kunstwerk ohne Signatur finden wir heute allerorten, es überschwemmt die Rezipienten seit den Dosenbildern, (den Bildern der Campbell’schen Dosen, meine ich, nicht den Bildern auf Campbell’schen Dosen) alles ist Werbung alles ist Kunst, das bestimmt doch unsern Alltag immer mehr, das Verschwinden der Autorenkennung am Werk ist absehbar. Wie angenehm nimmt sich dagegen einmal eine Unterschrift ganz ohne Werk aus. Wie still kommt sie daher, kündigt sozusagen nur etwas an, das sie aber nicht einlöst (damit natürlich wiederum dem Brimborium der Medien vergleichbar), aber dies erspart uns zugleich die Mühe, nun auch das Bild selbst noch genießen zu müssen. Der Künstler war da, er hätte etwas malen können (sagt er uns sozusagen), er unterließ es aber dann (auch strafrechtlich sollte man diesen Aspekt durchaus einmal auf die mildernden Umstände in Sprayerprozessen hin untersuchen), er ist nur potenzieller Künstler, setzte sich bei diesem Nicht-Schaffen sogar nicht unbeträchtlichen Gefahren aus. Ich finde das einen schönen Gedanken, ein bisschen im Sinne von Wolfgang Hildesheimers ›Verhinderern‹. Nur mag ich diese Insignien nicht so sehr auf meinem Haus. Ich schwanke aber immer wieder, ob ich die verschiedenen Kleckse abwaschen lassen soll. Tue ich es, so können andere sich erneut dort versuchen. Lasse ich sie stehen, so ermutige ich andere Urheber, es erneut zu versuchen. Wie man’s macht, macht man’s falsch.38

      Haben Sie mal die Campbell’schen Dosensuppen versucht? Genossen? Versucht zu genießen? Ich hin und wieder schon, wenn ich in England war z.B. Nicht besser als Knorr-Suppen, die ja immer noch viel schlechter waren als Maggi-Suppen in Dosen. Ich weiß gar nicht, ob es die überhaupt noch gibt. (Immerhin gibt es noch Erbswurst zu kaufen; manchmal überdauern Dinge erstaunlich lange. Will sagen: halten nicht nur lang, werden auch lang immer wieder neu produziert.) Wenn Sie in England eine gute Dosensuppe essen wollen, nehmen Sie Baxter’s. Von Baxter’s bekommen Sie sogar eine Wildsuppe, wussten Sie, dass »game« in diesem Zusammenhang Wild bedeutet? Es war halt immer ein game für die Herren Barone, auf das game zu schießen. Ein fröhlich game, ein gefährlich game… (»Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen39? Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen, den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich« – klingt ein wenig nach nassen Füßen, finden Sie nicht?! – »Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen. Erstarket die Glieder und würzet das Mahl. Wenn Wälder und Felsen uns hüllend umfangen. Tönt freier und freud’ger der volle Pokal! Jo ho! Tralalala!« – naja, jetzt hat’s ja wohl jeder gemerkt. Das mit dem hüllenden Umfangen der Felsen hätte ich auch gern mal in einer guten Inszenierung auf der Bühne gesehen. Tolle Musik, übrigens, trotz des hirnrissigen Textes. Oder vielleicht gerade weil??)

      Wenn ich es mir genau überlege, wäre es natürlich ohnehin lächerlich, Künstler vor Gefahren bewahren zu wollen. Schon bei Hermes kann man da anfangen. Wer hütete ihn? (Sein Bruder schon mal gleich gar nicht.) (Diese Hirtenvölker und -götter werden diesbezüglich, glaube ich, ohnehin stark überschätzt.

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