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      © 2020 Peter Hesselbein

      Umschlagfoto: Peter Hesselbein

      Verlag und Druck: tredition GmbH; Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      ISBN 978-3-347-08900-6 (Paperback)

      ISBN 978-3-347-08901-3 (Hardcover)

      ISBN 978-3-347-08902-0 (e-book)

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Peter Hesselbein

      Mein Haus

      Eine Burleske

      Eingang

      Also als Tante Anneliese das erste Mal vor meinem Haus gestanden ist, da hat sie ihren Hut festgehalten und entsetzt gesagt: »Ach Gott, Junge, wo bist du denn da hingeraten?« Ja, was hätte ich hier einwenden sollen?

      Sie hat ja Recht gehabt. Oder zumindest nicht ganz Unrecht. (Und dass sie nicht Anneliese heißt sondern irgendwie anders, wird jedermann klar sein, denn ich habe mich ja mit meinem ersten Buch1 bekanntlich dermaßen in die Nesseln gesetzt, weil Leser Anklänge an Wirklichkeiten zu vermuten unternahmen und damit auch Gerichte befassten, dass ich mich dieses Mal gern etwas besser absichern möchte. Es ist eigentlich höchst amüsant: erst wollte kein Verlag das Ding drucken, aber das ist ja wohl immer so; ich könnte Ihnen aus Ablehnungsschreiben zitieren, dass Ihnen die Augen tränen. Ich habe das alles ziemlich klaglos ertragen, aber als es dann draußen war, das Buch, begann der Zirkus mit den Gerichtsprozessen.)

      Ich muss da etwas weiter ausholen, ob Ihnen das gefallen mag oder nicht.2 Die Geschichte mit dem Haus ist nicht ganz einfach zu verstehen.

      Die Hüte von Tante Annemarie sind übrigens Legende in der Familie. Sie trug – und bisweilen war der eine oder andere tatsächlich geneigt, sie diesbezüglich mit der Queen oder gar Queen Mom (selig) zu vergleichen (übrigens gibt es daneben ja noch namhafte andere hütetragende Mitglieder der königlichen Familie, irgendwie scheint hier der Hut die Krone abgelöst zu haben) – sie trug sozusagen majestätische Kopfbedeckungen, meist in gedeckten oder Pastellfarben, oft in gewagten Ausformungen und stets häufigem Wechsel. Dabei gelang es ihr fast vollständig, auf ausgesprochen widerwärtige Modelle zu verzichten; einen Strohhut mit einer Applikation aus schwarzen (sozusagen süßen) Kirschen3 hätte sie z.B. nie getragen, ebenso wenig etwas mit auch nur einer Andeutung von Zylinder. Aber Borsalinos hat es schon gegeben (es können auch Kalabreser4 gewesen sein, die Unterscheidungsmerkmale habe ich mir nie merken können). Mit einer Art Melone war sie schon gesehen worden, und natürlich besaß sie eine Vielzahl von Modellen mit gerundeten Krempen, ausgebuchteten Krempen, schmalen oder sehr breiten Krempen, von Kopfbedeckungen mit rundem Korpus, eingebuchtetem Korpus, nahezu spitzem Korpus usw. Mit den Bändern und Bordüren möchte ich Sie nicht langweilen, und über Muster muss ich mich nur insofern auslassen, als es nicht sehr viele gab (was den Kenner beruhigen wird). Welche Sorte Hut sie nun an diesem bewussten Tag trug, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, mir schwebt etwas Gelbes mit leichtem Schleier vor, vielleicht bekrönt von einer ebenfalls gelben Rose? Ja, das könnte passen.

      Ich schweife ab.

      Sie stand da also vor mir (denn sie war um ein Erhebliches, ja, man könnte sogar sagen Erkleckliches kleiner gewachsen als ich, und hinter mir hätte sie wohl nur sehr wenig von diesem Hause gesehen oder sich in höchst undamenhafter Weise nach links oder rechts verbiegen müssen), aber auch von hinten war ihrer Haltung deutlich anzumerken, dass sie besagte Immobilie oder ihre Lage5 oder ihren Erwerb durch mich oder gar das Leben, dem ich ihrer Einschätzung nach dort oblag, missbilligte. (Vielleicht sogar das Leben an sich, zumindest das anderer Leute.)

      Jetzt fällt mir ein, dass wir natürlich auch nebeneinander hätten stehen können. Gut. Aber es war eben nicht so. Wir standen hintereinander, bildeten sozusagen eine Warteschlange mit nur zwei Gliedern.

      Dass sie mit Grund, mit Fug, mit Fug und Recht missbilligte – oder mindestens nicht ohne – (in Bezug auf das Haus wohlverstanden, nicht in Bezug auf meinen Lebenswandel, was ich ausdrücklich anmerken möchte), konnte sie gar nicht wissen, aber sie war gewöhnlich nicht nur schnell in ihrem Urteil, sondern auch fest und gar nicht einmal so daneben.

      Als sie z.B. den ersten Ehemann meiner Mutter kennen lernte (also nicht meinen Vater), da muss sie wohl so etwas gesagt haben wie: Liebe Schwester, ich will hoffen, dass du weißt, was du tust. Und es soll Wochen gedauert haben, bis meine Mutter sie wieder eines Wortes würdigte. Zumal besagter Bräutigam (in diesem Stadium befand sich die Beziehung noch) in Hörweite gestanden haben soll. Blicke bezog sie dagegen viele (und alsobald), wenngleich nicht allzu liebevolle. Aber das ist eine alte Familienge-schichte, die ich nur vom Hörensagen her kenne. Später hinderte diese Episode meine Tante auch nicht daran, mit dem Mensch eine längere Liaison einzugehen, was wiederum die Chancen meines leiblichen Vaters bei der Bewerbung um die noch (wenn auch nicht glücklich) verheiratete Frau erheblich erhöhte, die dann meine Mutter wurde, bevor sie ihren zweiten Gatten auch rechtsgültig freien konnte.

      Kompliziert, gell? Aber ich will Sie auch nicht allzu sehr mit Begebenheiten aus dem Kreise meiner Verwandtschaft langweilen, zumal, wie ich hier schon versichern möchte, kein einziges Mitglied dieser, ja, soll ich Sippe sagen? in meinem Haus wohnt oder jemals wohnte. Darauf lege ich Wert. (Der Begriff Sippe soll hier gar nicht abschätzig, sondern, bitte, wirklich rein genealogisch gemeint sein.)

      Dass ich trotzdem bestimmte Absichten damit verband, Tante Auguste mein Haus vorzuführen, werden Sie wohl vermuten können, denn noch ist sie Ihnen nicht sympathisch, das ahne ich.

      Mit Sympathien muss man im Übrigen vorsichtig umgehen. Ich habe da so meine Erfahrungen gemacht, und sie waren durchaus nicht immer erfreulich. All zu leicht fällt es mir z.B., junge Mädchen nett zu finden (junge, nicht kleine). Gut, das geht vielen so, aber wie fatal diese Neigung für einen älteren Mann ist – ich könnte auch »gereiften« sagen –, darauf brauche ich wohl nicht näher einzugehen.

      Meine Tante Aglaia verfügte, fürchte ich, nicht gerade über große Erfahrung mit Häusern, aber dass es hier nicht um etwas ausgesprochen Exquisites ging, muss sie gleich bemerkt haben. In der Tat: von außen gesehen, kann man mein Haus nicht gerade als Schmuckstück bezeichnen. Der Putz ist grau, der Schnitt einförmig-glatt, ohne Ornament, ohne Gepränk, ohne Farbakzente. Leider auch nicht so formvollendet-bauhausig, dass man das Schlichte vergessen ja verzeihen würde. Die Fenster machen einen ärmlichen und abgeschabten Eindruck, auch gibt es wenig Blumengekräusel, der sozusagen von den Fensterbänken herunterquellen könnte wie an so vielen anderen Gebäuden: gar nichts quillt. Auf dem schmalen Gehsteig, der aus diesen quadratischen Betonplatten der Nachkriegszeit zusammengesetzt ist, liegt Hundeköttel. (Habe ich eben Tante Amelie gesagt oder Tante Adelheid? Annemie meine ich natürlich. Bei Amelie – ich denke da immer an Kamelie – weiß man ohnehin nie, wie es richtig auszusprechen ist.) Nicht einmal einen anständigen Fahrradständer gibt es, oder ein Dach über der Haustür, paar Marmorstufen davor mit einem schönen antiken Stiefelkratzer oder so etwas Ähnliches. Auch fallen weder Briefkästen noch eine Zeitungsrolle vor dem Eingang auf.6 So hat man den Eindruck, die Bewohner wollten nicht gestört sein, nicht Kontakt finden oder aufnehmen, nicht Neues erfahren, und so wirkt das Haus unbewohnt, die Fassade hässlich nackt.

      Der Begriff ›nackt‹ ist ja nun eigentlich eher positiv belegt, zumindest in den zurückliegenden drei Jahrzehnten war er das (oder wurde). Gemeinhin verbindet man damit die immer häufiger auch öffentliche Zurschaustellung der Körper eher jüngerer, dünnerer, hübsch gestalteter Menschen durchaus beiderlei Geschlechts (auch holt in den letzten Jahren der männliche Teil der Bevölkerung hier deutlich auf, mag das als Zeichen der Gleichberechtigung interpretieren wer da will, mir läge diese Deutung nicht so präsent, mir fielen da ganz andere Muster ein). Als sehenswert empfindet man das aber vorwiegend dann, wenn es sich um Menschenfleisch handelt. Bei Tieren verhält es sich höchstens ambivalent, möchte ich meinen; sicher sind diese exotischen Exemplare von Nacktkatzen und Nackthunden den meisten Menschen eher unangenehm und Nacktschnecken ekelig.7 Schon der nackte Hals

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