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Vandalismus an Fahrzeugen unbemerkt! Oder Fahrerflucht! Auch wenn das Wort künftig freilich eine andere Bedeutung erlangen müsste. Würde es schon mehr selbstfahrende Autos auf den Straßen geben, wäre dieser Vorfall auch aufgezeichnet worden und das Video dazu sofort von der nächsten Polizeistation abrufbar gewesen, dachte sich Brand. Die österreichische Datenschutzkommission hatte diese Funktion der Überwachungskameras hierzulande bereits vor dem Start der autonomen Autos genehmigt. Das war ganz einfach gewesen. Der Autokonzern hatte sich hier in seiner Argumentation an der Position der Wiener Verkehrsbetriebe orientiert, die ihre Videoüberwachungsanlage nach einem befristeten Probebetrieb ebenfalls genehmigt bekamen, weil sie einen »positiven Einfluss auf die Schadensverhütung im Bereich der U-Bahn-Garnituren« besitzen würde. Dadurch wurde eine unbegrenzte Registrierung der Kameras in der U-Bahn für »sachlich gerechtfertigt« angesehen. Genauso hatte auch Noofle argumentiert, als sie ihre Pläne zur Aufzeichnung von Kameras eingereicht hatten – und sie waren damit problemlos durchgekommen. War man bei sogenannten »Dashcams«, die Fahrer selbst im Auto montiert hatten, noch kritisch gewesen und hatte sie kategorisch abgelehnt, war das bei den Kameras der selbstfahrenden Autos von Noofle gar kein Problem mehr. Das hatte selbst Brand überrascht. Doch das brachte natürlich auch für den Konzern enorme Vorteile mit sich: Auch Noofle würde die Bilder aus den Kameras für seine Zwecke nutzen. Das konnte ihnen so schnell keiner nachweisen und die Gesetze waren diesbezüglich vor Jahren, als es den großen Big-Data-Hype gegeben hatte, erheblich aufgeweicht worden. Sie würden die Daten einerseits dazu nutzen, um damit die Algorithmen zu füttern, die sich ständig automatisch weiterbildeten und mit denen das Verkehrsflusssystem verbessert werden konnte, andererseits konnte man diese Daten sicher auch eines Tages an Versicherungen verkaufen. Selbst wenn die klassischen Versicherungen, die, seit es immer mehr vernetzte Cars auf den Straßen gab, fahrstilabhängig funktionierten und mit selbstfahrenden Autos praktisch obsolet wurden, sagte sich Brand, würden sich die Konzerne schon wieder etwas Neues einfallen lassen, das ihnen von Nutzen war. Oder aber man konnte die Daten direkt den Behörden für ihre »vorausschauenden Kriminalitätsanalysen« zur Verfügung stellen, die gerade immer beliebter wurden. Auch die würden sicherlich Geld dafür zahlen, schließlich ging es hier um »nationale Sicherheit«. Ja, die Behörden, die hätten diese Daten sicherlich gerne.

      Doch nicht nur Brand dachte so. Bei der Bevölkerung selbst kam Videoüberwachung sowieso seit Jahren gut an. Das subjektive Gefühl von Sicherheit, das war den Menschen wichtig. Nur wenige Stimmen hatten sich kritisch dazu geäußert und durchschaut, dass Videokameras in der Praxis nichts weiter bewirkten, als sich sicherer zu fühlen. Verbrechen wurden damit freilich keine verhindert. Stefanie Laudon etwa, diese Journalistin von »24 Stunden«, wetterte seit Jahren gegen den Ausbau von Videoüberwachungssystemen. Brand hatte schon viel von dieser Journalistin gelesen – und ihren Social-Media-Account auf die »Watchlist« setzen lassen. Das bedeutete, dass es bei Noofle eine Datenbank gab, in der vermerkt war, wann, wie oft und mit wem Stefanie Laudon via Social Media kommunizierte. Der US-Geheimdienst NSA bezeichnete diese Daten als »Open Source«, schließlich waren sie jedem öffentlich zugänglich. Und Social Media Monitoring wurde seit Jahren von vielen Unternehmen eingesetzt. Noofle hatte ein derartiges System weltweit im Einsatz. Stefanie Laudon war allerdings die einzige Journalistin aus Österreich, die es bisher auf diese Liste geschafft hatte. Sonst war Brand noch niemand aufgefallen, der seinem Konzern wirklich gefährlich werden könnte.

      Jetzt war diese Laudon auch noch die Erste gewesen, die Zweifel am Unfalltod des Politikers geäußert hatte und stattdessen das Auto verantwortlich machen wollte. Dieses Miststück, dachte Brand. Die hatte keine Ahnung, wovon sie schrieb. Fake News, absolute Fake News. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, mal die gesammelten Social-Media-Daten auszuwerten und einzusetzen, dachte sich Brand.

      Diese Stefanie Laudon schrieb auch Dinge wie: »Das autonome Fahrzeug lässt dem Fahrer nicht die Freiheit, das Richtige zu tun, auch wenn es das Falsche ist.« Diesen Text hatte sich Brand sogar aufgehoben, weil er sich so sehr darüber geärgert hatte. Dass nun auch ausgerechnet der Finanzminister des Landes in diesen Vorfall involviert war, machte die Sache für Noofle auch nicht gerade einfacher. Der ganze Erfolg des Konzerns in Europa, auf den sie monatelang hingearbeitet hatten, stand mit diesem einen Vorfall auf der Kippe. Der Konzern durfte sich das jetzt keinesfalls bieten lassen, dachte Brand und nahm einen Schluck aus seinem geheimen Whiskey-Vorrat. Die gute Flasche, die er ausschließlich trank, wenn er alleine war, war im Regal links unten versteckt. Einen Schluck von dem guten Zeug. Das brauchte er jetzt, um wieder ein wenig runterzukommen. Als sich der Geschmack des Single Malts gleichmäßig in seinem Gaumen verteilte, wurde prompt sein Herzschlag wieder um einen Ticken ruhiger als zuvor. Brand atmete tief durch und seufzte.

      Kapitel 6

      Einen Tag später

      Kriminalkommissar Michael Leyrhofer war Routinier. Der Tod des Finanzministers war nicht der erste prominente Fall, den er übernommen hatte – oder besser gesagt, zu dem er aufgrund seiner Expertise und seines Know-hows zwangsverpflichtet worden war. Sicher hätte er den Fall auch ablehnen können. Noch war sowieso nicht klar, ob es überhaupt ein Fall war oder doch nur ein Unfall. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sah für ihn alles nach einem Unfalltod aus. Das Auto war dem Rad ausgewichen und in die Baumallee geknallt. Aus. Ende. Das wäre zwar ein Fall für die Versicherung des Autoherstellers, aber sonst nichts. Nur die Tatsache, dass das Fahrzeug dabei beschleunigt hatte, war irritierend. Das gehörte selbstverständlich untersucht. Mit oder ohne Finanzminister als Insassen.

      Aber weil es der erste Tote in einem selbstfahrenden Auto war, hatte die Innenministerin Elfriede Haderl angeordnet, dass für den Fall die Kriminalpolizei zuständig sei – insbesondere er, Michael Leyrhofer. Der Kriminalkommissar war nicht nur ein Ermittler mit scharfem Verstand, dem nicht so schnell Details entgingen, er war auch Medienprofi. Leyrhofer wusste ganz genau, welche Informationen in heiklen Fällen nach außen dringen durften und welche er besser verschwieg. Seine Taktiken hatten ihm in der Vergangenheit bereits dabei geholfen, den ein oder anderen Fall aufzuklären. Eine Witwe, die nach außen hin nahezu herzzerreißend um ihren Mann getrauert hatte, hatte ihre Täterschaft etwa dadurch verraten, indem sie Details über den Ort ausplauderte, die nie an die Öffentlichkeit kommuniziert worden waren.

      An Kommissar Leyrhofer biss sich aber auch so mancher Journalist die Zähne aus, so wenig Informationen ließ er nach draußen durchsickern, wenn er schlecht gelaunt war. Und schlecht gelaunt – das war er eigentlich immer häufiger in letzter Zeit. Er hatte nur noch wenige Jahre bis zu seiner Pensionierung. Auch wenn er seine Arbeit prinzipiell gern machte, kämpfte er damit, dass die Kriminologie in den vergangenen Jahren nicht gerade einfacher geworden war, um es milde auszudrücken. Der Druck, Fälle rasch aufzuklären, war gestiegen. Und die technischen Mittel, die sie jetzt zur Aufklärung einsetzen mussten, halfen dabei oft nur sehr bedingt, verschlangen aber unendlich viel Zeit und Ressourcen. Und dazu kamen dann auch noch Personaleinsparungen. Nicht nur in der freien Marktwirtschaft wurden Arbeitskräfte wegrationalisiert, sondern auch bei den Behörden.

      Leyrhofer hatte sich zwar für sein Alter rasch umgestellt und die technischen Entwicklungen nicht nur akzeptiert, sondern sie auch ausreichend analysiert, um sie für seine Tätigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Aber ganz klar war ihm freilich nicht, was da bei den Datenbanken und Programmen im Hintergrund ablief und warum Computer manchmal Ergebnisse ausspuckten, die sich so gar nicht mit seinem Gespür deckten. Ein Gespür, auf das er sich eigentlich immer verlassen konnte. Er war präzise, objektiv, hart, aber gerecht. Kein Computer dieser Welt konnte dies ersetzen.

      Der Kriminalkommissar biss gerade in seine Leberkäse-Semmel, als das Telefon klingelte. Von seiner Sekretärin war im Moment weit und breit keine Spur. Er blickte aufs Display. Unbekannte Nummer. Trotzdem hob er, noch an dem Leberkäse kauend, ab. Es könnte ja wichtig sein.

      »Herr Leyrhofer? Miro Slavic hier, Geschäftsführer von Noofle Austria. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich glaube, ich hätte da eine wichtige Information im Fall Wolfgang Steinrigl für Sie. Können wir uns treffen?«

      Der Kommissar war neugierig, was ihm der Autokonzern für Informationen verkaufen wollte. Normalerweise war es eher schwierig, im Zuge von Ermittlungen an Daten zu kommen. Was also trieb den Österreich-Geschäftsführer des US-Konzerns freiwillig zur Polizei? Das konnte nur bedeuten, dass die Erkenntnisse

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