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Wolfgang hatte es nur gut gemeint mit ihnen.

      Wolfgang bedachte seinen Bruder Thomas in seiner Lebensversicherung neben seiner eigenen Frau, die er zwar schätzte, aber nicht wirklich liebte, zu 50 Prozent. Er hatte schließlich keine eigenen Kinder. Das lag an seiner Unfruchtbarkeit, aber über die wurde nie gesprochen. Sigrid und ihr Mann hofften jetzt, dass die Versicherung das Geld bald zahlen würde. 50 Prozent des Vermögens von Wolfgang würde die beiden nicht nur aus ihrer Misere befreien, sondern sie könnten auch weiter investieren oder expandieren. Oder sich ein Seegrundstück sichern, das sie in Folge verpachten könnten. Ein Traum wäre das, dachte sich Sigrid. Endlich einmal keine Geldsorgen mehr.

      Derzeit sah es allerdings nicht danach aus, als würde es bald zur Auszahlung kommen. Solange nicht geklärt war, ob es sich um einen Unfalltod handelte oder ob das Produkt des Autoherstellers defekt war – die Versicherung war schließlich auch zum ersten Mal mit der Haftungsfrage rund um ein selbstfahrendes Auto konfrontiert –, wollte man noch keine Versprechungen machen, wann die Summe ausbezahlt würde.

      Auf der einen Seite hatte Sigrid ein schlechtes Gewissen, weil ihr Schwager noch nicht einmal begraben war und sie an nichts dachte als an sein Vermögen, auf der anderen Seite verfluchte sie die Versicherung. Wenn man sie einmal brauchte, dann war sie nicht da und drückte sich vor der Zahlung.

      Auch Sigrids Mann Thomas saß schon wie auf Nadeln – ausgerechnet die Bank, die ihm eingeredet hatte, dass das ein bombensicheres Geschäft mit den Melkrobotern und Fütterungsrobotern werden würde, machte ihm jetzt ordentlich Druck. Wenn er nicht bis zum Monatsende, also bis zum neuen Jahr, die Rate zahlen konnte, würde ein Teil seines Grundstücks in den Besitz der Bank übergehen. »Hoffentlich zahlt die Versicherung bald«, sagte er Sigrid jeden Tag vorm Schlafgehen, bevor sie das Licht abdrehten. Auf Thomas’ Stirn grub sich dabei jedes Mal eine Falte ein. Eine Falte, die erst seit den Geldsorgen aufgetaucht und die Sigrid sofort aufgefallen war. »Mach dir keine Sorgen«, raunte Sigrid ihm dann zu. Sie war sein Fels in der Brandung. Thomas strich mit seinen Fingern durch ihre langen braunen Haare, die sie abends immer offen trug. »Wir schaffen das. Gemeinsam schaffen wir das.«

      Kapitel 11

      Stefanie Laudon war lästig. Kriminalkommissar Michael Leyrhofer hatte bisher mit dieser Journalistin von »24 Stunden« noch nie etwas zu tun gehabt. Sie schien normalerweise keine Mordfälle zu betreuen. Aber irgendwie hatte sie es geschafft, seine Handynummer rauszufinden. Sie erzählte ihm am Telefon die ganze Zeit etwas von wegen: »Das Auto war programmiert, um zu töten«. Und fragte ihn Dinge wie: »Hat man schon den Grund gefunden, warum das Auto gegen die Baumallee gekracht ist?« Er spulte daraufhin seinen Standardsatz ab: »Zu laufenden Ermittlungen können wir Ihnen derzeit keine Auskünfte erteilen. Wenden Sie sich bitte an die Pressestelle.«

      Natürlich merkte diese Journalistin, dass das nur Ausflüchte waren. Leyrhofer brauchte Zeit. Zeit für die Ermittlungen. Bisher war seine Liste mit potenziell Verdächtigen noch nicht lang. Der Computer, der seit neuestem als Ergänzung zur herkömmlichen Ermittlungsarbeit »vorausschauende Analysen« erstellte, hatte zumindest drei Namen ausgespuckt. Einer davon, und das beunruhigte ihn wiederum, war der Name von dieser Journalistin. Stefanie Laudon. Wieso stand die da drauf? Auf jeden Fall musste sein Team sie überprüfen. Das verschob er allerdings auf später. Seine Intuition sagte ihm allerdings, dass der Computer in diesem Fall wohl falsch lag.

      Die zwei weiteren Namen, die der Computer ausgespuckt hatte, waren Fritz Fuchsbauer und Manuel Erlach. Der Erste arbeitete im Finanzamt als Angestellter. Der Zweite war offiziell arbeitslos gemeldet. Über sein Facebook-Profil war allerdings rauszufinden, dass er als DJ regelmäßig Auftritte in Wiener Underground-Clubs hatte. Gemeinsam mit Erwin Hufnagl vom Cyber Security Competence Center (CSCC) analysierte der Kriminalkommissar nun die Ergebnisse. Hufnagl hatte schon ein wenig recherchiert.

      Fritz Fuchsbauer hatte offenbar zahlreiche böse E-Mails verfasst, in denen er den Finanzminister beschimpft hatte. Woher der Computer das wusste? In den geltenden Rechtsvorschriften für Ministerien gab es seit knapp einem Jahr einen Passus, der besagte, dass der Arbeitgeber den Inhalt der E-Mail-Kommunikation ganz offiziell mitlesen darf und dass E-Mails von den Mitarbeitern auch nicht verschlüsselt werden dürfen. E-Mails galten in Ministerien, ähnlich wie Social Media, mittlerweile als »öffentliche Kommunikation«. Das war wenigstens ehrlich – ehrlicher als so mancher sonstige Betrieb, der seine Angestellten heimlich ausspionierte. Dass es seit kurzem in den Ministerien und Ämtern eine Regelung dazu gab, war somit wirklich nur fair. Natürlich wurde das nicht so offen kommuniziert, und selbstverständlich wurde den Mitarbeitern vorgegaukelt, dass dies nur »in Ausnahmefällen« gemacht werde und nur die theoretische Möglichkeit dazu bestehe. »Liegt im Ermessen des Betriebes«, hieß die genaue Formulierung auf Papier. In der Praxis aber wurde jede E-Mail, die ein Ministerium erreichte oder die innerhalb eines Ministeriums hin- und hergeschickt wurde, gespeichert und in die »Precrime«-Computer der Behörden eingespeist. Dort wurden E-Mails in Folge bis zu zehn Jahre lang aufgehoben. Zugriff auf dieses System gab es selbstverständlich nur bei »schweren Straftaten« wie Verdacht auf einen terroristischen Akt oder Mord. Aber auch Drogendelikte oder Stalking zählten in Österreich zu »schweren Straftaten«. Ein Jahr Freiheitsstrafe als angedrohtes Strafmaß reichte aus, um Behörden die Erlaubnis zu erteilen.

      Hufnagl las dem Kriminalkommissar, der, gemütlich zurückgelehnt, in seinem bequemen Ledersessel saß, eine E-Mail von Herrn Fritz Fuchsbauer vor. Fuchsbauer war einfacher Mitarbeiter in einem Infocenter des Finanzamts. Er schrieb: »Steinrigl ist so ein Arschloch! Ich könnte ihn umbringen! Eine Bombe soll ihn zerfetzen! In tausend Stücke reißen! Er hat es nicht anders verdient. Jetzt hat er angeordnet, dass wir im Infocenter die Menschen darüber aufklären müssen, dass sie künftig mehr Steuern zahlen müssen. WIR! Stell dir vor, WIR müssen den Leuten das jetzt sagen! Was können wir dafür, wenn der liebe Finanzminister uns kleine Leute ausbluten lassen will? Schröpfen und melken, wie eine Kuh! Weißt du, was ich mir jetzt täglich alles anhören muss deswegen? Einer hat schon mit seinem Fuß nach mir getreten. Ein anderer hat meine Brille zertrümmert. Wir brauchen bald Polizei hier, wenn diese Regelung beibehalten wird. Ich habe das auch schon bei meinen Chefs angemerkt, aber davon will keiner etwas wissen. Wir sollen höflich und freundlich bleiben, dann wird uns schon nichts passieren. Wie stellen sich die das vor, bitte? Den armen Leuten das letzte Hemd ausziehen, nur weil der Herr Finanzminister mal wieder ein Budgetloch zu stopfen hat? Der soll sich mal hier hinstellen und den Menschen sagen, dass sie künftig mit 150 Euro weniger am Konto über die Runden kommen müssen, weil die Steuern erhöht worden sind. Ich hasse diesen Steinrigl! Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich könnte ihn wirklich umbringen. Das ist so kurzsichtig, was er macht. So dumm. Er gehört weg. Sofort.«

      Rund zwanzig Mails in diesem Tonfall hatte Fuchsbauer verfasst. Alle waren an externe Kontakte gegangen, von denen auch mehrere geantwortet hatten. Einer schrieb ihm zurück: »Beruhige dich, Fritz. Das wird schon wieder!« Doch die meisten anderen fielen in den Tenor von Fritz Fuchsbauer ein und schimpften auf den Finanzminister. Schließlich war von der Steuererhöhung wirklich jeder in diesem Land betroffen gewesen.

      Fuchsbauer, das hatten sie überprüft, war im Umgang mit dem PC nicht gerade der Hellste. Er hatte keine Ahnung davon gehabt, dass seine E-Mails technisch mitgelesen werden konnten. Dass dem Staat das auch rechtlich möglich war, davon hatte er ebenfalls noch nie etwas gehört. Fuchsbauer war auch kein aggressiver Mensch. Das hatten die Gespräche mit seinen direkten Kollegen ergeben, die täglich mit ihm zu tun hatten. Als der Finanzminister vor rund einem Jahr die Steuererhöhung beschlossen hatte, wonach die Steuerklassen, die Jahre zuvor gesenkt worden waren, wieder angehoben wurden auf das alte Niveau – und zwar rückwirkend mit 1.1.2019 –, mussten die Mitarbeiter des Infocenters die Bevölkerung beim Steuerausgleich darüber informieren, dass sie dieses Jahr bei der sogenannten »Arbeitnehmerveranlagung« nichts zurückbekommen würden, sondern dass die meisten von ihnen auch noch draufzahlen müssten. Die Infocenter-Angestellten, die die Menschen vor Ort darüber in Kenntnis setzen mussten, waren mit zahlreichen wütenden Bürgern konfrontiert worden. Es hatte tatsächlich auch Fälle gegeben, in denen die Polizei hatte einschreiten müssen. »Es war keine leichte Zeit für uns alle. Ehrlich gesagt, hatte ich damals auch große Lust, unseren Minister einfach auf den Mond zu schießen«, sagte eine Kollegin bei der

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