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später prosteten die drei sich zu. Paul mit seinem Augustiner Bräu, Stefanie mit einem Bio-Zwickl aus der Flasche und Meggie mit ihrem Glas Rotwein.

      »Auf unsere Freundschaft!«

      Klirr. Klirr. Klirr.

      Meggie lehnte sich zurück, als Stefanie und Paul ein Gespräch über neue Arten von Computerschädlingen begannen. Die Verschlüsselungstrojaner, die bereits vor Jahren zum ersten Mal aufgetaucht waren, waren mittlerweile so perfektioniert worden, dass Menschen nicht einmal etwas installieren mussten, um sich die Dinger einzufangen.

      »Ich mache derzeit kaum etwas anderes, als Backups einzuspielen«, klagte Paul.

      Meggie begann, mit ihren Fingern am Tisch zu klopfen, und winkte der Kellnerin. Es musste schleunigst noch ein Glas Rotwein her, anders konnte sie dieses Gesprächsthema einfach nicht ertragen. Sie beobachtete Paul und Stefanie, die so vertieft ins Gespräch waren, dass sie ihre Unruhe nicht bemerkten. Paul war schon süß, dachte sich Meggie, aber er hatte nur Augen für Stefanie. Und die interessierte sich so überhaupt nicht für ihn! Aber egal, was sie, Meggie, sagte, Paul stieg einfach nicht darauf ein. Nach dem dritten Glas Rotwein – sie hatte noch nicht einmal etwas zu essen bestellt – und einer wortkargen Zeit am Tisch verabschiedete sich Meggie schließlich.

      »Ich muss morgen früh raus«, lautete ihre Ausrede. Eine klassische Notlüge. Denn als freie Journalistin konnte sie es sich im Gegensatz zu den anderen beiden tatsächlich selbst aussuchen, wann sie aufstand. »Interview um 9«, fügte sie daher noch hinzu, um glaubwürdiger zu wirken.

      »Uh, hoffentlich nicht wieder einen Tierpsychologen«, sagte Stefanie.

      Was eigentlich nett und witzig gemeint war, kam bei Meggie ganz und gar nicht so an. Sie fühlte sich von ihrer Freundin verraten. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Das unangenehme Gefühl, in der Situation eigentlich nur gestört zu haben, verstärkte sich einmal mehr.

      »Haha, nein«, sagte Meggie und überspielte ihren Frust.

      »Mach’s gut, meine Süße«, sagte Stefanie zum Abschied und umarmte sie. Meggie ließ sich drücken. Sie fühlte sich sogar echt an, diese Umarmung. Aber sie konnte ihre Gefühle – eine Mischung aus Frust, weil Paul in Stefanie verknallt war, und Neid, weil Stefanie am Ende trotz all der Einschränkungen doch den viel besseren Job von ihnen beiden hatte – nicht unterdrücken und riss sich relativ rasch los. Nicht, dass dann auch noch ein schlechtes Gewissen dazukam …

      »Bye, bye, ihr beiden. Trinkt noch einen auf mich!«

      Als die Tür aufging, kam einmal mehr ein kalter Luftzug von draußen herein. Paul fragte Stefanie: »Ist dir kalt? Soll ich uns einen Schnaps bestellen zum Aufwärmen?«

      »Ach, lass uns doch erst mal was essen.«

      »Falafel mit Humus?«

      »Wiener Schnitzel?«

      Beide mussten lachen, als sie die Kellnerin herbeiwinkten.

      »Auf einen lustigen Abend!«

      »Den werden wir noch haben …«

      Kapitel 10

      An dem Ort, an dem Wolfgang Steinrigl zu Tode gekommen war, standen drei Tage nach seinem Tod überall Kerzen. Dutzende Kerzen. Es hingen auch Lebkuchenherzen an dem Baum, gegen den das Auto geknallt war, gekauft auf den ersten Weihnachtsmärkten, die bereits überall im Land ihre Pforten geöffnet hatten. Auch ein schön geschmückter Kranz war zu finden. Darauf stand: ›Wir vermissen dich!‹ Der Kranz stammte von dem Bruder des Toten, Thomas Steinrigl, und seiner Ehefrau Sigrid und ihren zwei Töchtern.

      Thomas Steinrigls Ehefrau stand noch immer unter Schock. Dass sie den grausigen Tod ihres Schwagers am Unfallort fast live miterleben musste, das war doch etwas viel für sie gewesen. Die Medien belagerten ihr Haus schon seit Tagen. Und lange würde es nicht mehr dauern, bis sie entdecken würden, wie es um den Hof stand. Dass sie knapp davor waren, ihn verkaufen zu müssen.

      Dass ihr Schwager ausgerechnet drei Kilometer entfernt von dem Ort, an dem er aufgewachsen war, im noch viel zu jungen Alter von 52 Jahren sterben würde, das hätte sich Sigrid nicht gedacht. Das hatte er nicht verdient. Sicher war ihr Mann, der Bürgermeister der 4.169-Seelen-Marktgemeinde im Bezirk Vöcklabruck, schon mal ein wenig eifersüchtig auf seinen erfolgreichen, superreichen Bruder gewesen, aber dieser unterstützte ihn, so gut er konnte. Da gab es nichts. Einmal hatte er schon tief in die Tasche gegriffen, als ihr Mann in Nöten war. Ihr Mann hatte ihm aber alles zurückgezahlt, wie es sich gehörte.

      Doch warum war Wolfgang auf dem Weg zu ihnen gewesen, ohne vorher Bescheid zu sagen? Klar hatte ihr Thomas erzählt, dass sie vor ein paar Tagen noch miteinander telefoniert hatten. Da hatte er ihm gebeichtet, wie schlecht es um die Finanzen der Familie stand und dass sie möglicherweise ziemlich bald einen Teil des Grundstücks verkaufen mussten wegen der hohen Schulden, die er angehäuft hatte. Aber war das der Grund für seinen Überraschungsbesuch?

      Seit sie ihren Landwirtschaftsbetrieb mit 80 Kühen auf Vollautomatisierung umgestellt und dazu einen Millionenkredit aufgenommen hatten, war der Milchpreis kontinuierlich gesunken. Politische Sanktionen auf der einen Seite, die Aufhebung der Kontingentierung auf der anderen Seite hatten dazu geführt. Zur selben Zeit wie die Milchkrise im Jahr 2015 war auch noch die Kontingentierung aufgehoben worden und es hatte plötzlich keine Obergrenzen mehr bei der Milchproduktion gegeben. Der Markt wurde liberalisiert. Das war einer der Gründe, warum sie überhaupt in die Automatisierung ihres Milchbetriebs investiert hatten. Aber die Marktliberalisierung war halt nicht ganz das, was sich die Milchbauern erhofft hatten: Es wurde insgesamt viel zu viel Milch produziert, was den Preis ordentlich nach unten drückte. Für die Familie Steinrigl bedeutete das: Schulden, Schulden, Schulden. Zuletzt wussten sie nicht einmal mehr, wie sie den Schulausflug ihrer beiden Mädchen finanzieren sollten.

      Thomas’ Bruder hingegen, der hatte gar keine finanziellen Sorgen. Er war gleich nach seiner Zeit beim Bundesheer mit 19 Jahren nach Wien gegangen, um dort Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Schon lange bevor der Vater starb, verzichtete Wolfgang, obwohl er der Ältere der beiden war, auf den Hof. Der Vater schenkte ihm stattdessen das Grundstück in Seenähe. Eigentlich war das Grundstück weit weniger wert gewesen als der Hof und der dazugehörige Grund. Wäre da nicht die Lage gewesen. Und die Umwidmung. Sicher war es schon immer schon ein schönes Fleckchen Erde gewesen. Man konnte bis an den See runter sehen. Und der See, der glitzerte zu jeder Tageszeit in einer anderen Farbe. In den Morgenstunden war er dunkelblau, zu Mittag türkis und am Abend verschmolzen Wasser und Himmel oft in einem gemeinsamen Farbton. Himmelblau.

      Wolfgang Steinrigl hatte dort oft heimlich gelesen. Schön versteckt im Getreidefeld. Auch ein Mädchen hatte er zum ersten Mal dort geküsst. Die Gerste so hoch, dass sie keiner dabei beobachten konnte, zog er seine Marie damals dicht an sich heran und steckte ihr die Zunge in den Hals. Sie waren beide 15. Aber das Feld war eben nichts weiter als ein Feld gewesen – bis zur Umwidmung in Bauland. Und damit war das Grundstück schlagartig weit mehr wert als zuvor. Und der Preis war weiter gestiegen.

      Plötzlich war nämlich immer mehr Prominenz an den See gekommen. Ausgelöst durch den einen berühmten Schriftsteller und eine Schauspielerin, die wirklich jeder kannte, wurde der Attersee schlagartig wieder in. Österreichs High-Society hatte sich regelmäßig blicken lassen. Und die Grundstücke in Seenähe waren immer gefragter geworden. Wolfgang Steinrigl hatte das ehemalige Ackerland schließlich zu einem verdammt guten Preis verkauft. Fast eine Million Euro hatte er durch den Verkaufserlös erzielt. Und dann hatte er das Geld in Aktien gesteckt. Dafür hatte er schon immer ein Händchen gehabt. Natürlich war Sigrids Mann Thomas da neidisch auf seinen Bruder gewesen. Dieser hatte nie hart arbeiten müssen und war reich geworden, während er, Thomas, sich am Hof abrackerte, um seine Familie durchbringen zu können. Aber Wolfgang Steinrigl wollte sich gar nicht zurücklehnen und seinen Reichtum genießen. Das Geld war seine Grundlage, um dann in Folge das zu tun, wovon er selbst überzeugt war. Er wollte die Welt verändern. Oder zumindest die österreichische Finanzlandschaft. Auch bei der Milchpreis-Liberalisierung hatte Minister Steinrigl seine Finger im Spiel gehabt. Er hatte Sigrids Mann den Tipp gegeben, in Milchkühe weiter zu investieren.

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