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vor den Beamten. Hufnagl wusste bereits nach den ersten Antworten, dass dieser Junge nichts mit dem Tod Steinrigls zu tun haben konnte. Dennoch mussten sie sich an die Vorschriften halten und die Hausdurchsuchung korrekt abwickeln.

      »Mitnehmen wollen wir ihn. Er ist konfisziert. Sie kriegen ihn frühestens in sechs Monaten wieder zurück, bis wir alles genauestens geprüft haben.«

      Für Erlach brach eine Welt zusammen. Auf seinem nigelnagelneuen Laptop, der noch keine zwei Monate alt war, befand sich doch all seine Musik. Und ohne Musik konnte er seine DJ-Karriere vergessen. Vorbei war es dann mit »DJ Zoombox«. Mit einem Schlag. Man war in der Szene schon out, wenn man sich ein paar Wochen wegen Krankheit nicht auf den Partys blicken ließ, und es reichte, um Wochen danach keinen Auftrag mehr zu bekommen.

      »Sechs Monate? Aber warum das denn?«

      »Das werden Sie noch früh genug erfahren.«

      Die Beamten sammelten den Computer ein, auch den Akku dazu und die 20 USB-Sticks, die alle direkt neben dem Laptop – einem Lenovo Thinkpad – lagen, und verschwanden, so wie sie gekommen waren. Durch die zerstörte Tür. Hufnagl tat der 22-Jährige irgendwie leid. Er sah seine verzweifelten Augen, die knapp davor waren, Tränen zu produzieren. Er sah, wie der Junge, der sowieso schon ganz blass war, weil er scheinbar aufgrund seines regen Nachtlebens kaum Sonnenlicht abbekam, regelrecht verfiel. Aber Auftrag war Auftrag.

      »Wir schicken Ihnen heute noch jemanden vorbei, der die Tür repariert. Schönen Tag noch!«

      Zurück blieb ein völlig verstörter, total perplexer »DJ Zoombox« in einer fast leeren, heruntergekommenen Wohnung. Sein Mix, den er gerade aufgenommen hatte fürs Radio, war zerstört. Sein Equipment fort. Erlach nahm einen Schluck aus der halbleeren Wodka-Flasche und griff zum Telefon. Er rief seinen besten Freund an: »Du, Fritz, bei mir war gerade die Polizei. Stell dir vor, sie haben meinen Computer mitgenommen!«

      »Warum das denn?«

      »Ich weiß es nicht! Ich habe keinen blassen Schimmer. Die zwei Gramm Gras haben sie nicht die Bohne interessiert. Glaubst du, das ist wegen der Musik-Files? Dabei habe ich doch fast alles gekauft!«

      »Glaube ich nicht. Vielleicht hat dich irgendein Dealer verpfiffen. Was die dann mit deinem Rechner wollen, weiß ich allerdings auch nicht.«

      »Du, kann ich beim nächsten Gig gemeinsam mit dir auflegen? Du bekommst auch die Hälfte meiner Gage und ich ruf den Veranstalter noch heute an, dass wir gemeinsam spielen!«

      »Hmm … ja, klar. Easy, Bro. Natürlich!«

      Und schon war DJ Zoombox wieder eine Spur entspannter. Auf seinen Homie, seinen besten Kumpel, konnte er sich einfach verlassen. Da war es ihm auch egal, warum die Beamten eigentlich seinen Laptop konfisziert hatten. Hauptsache, sein Ruf als DJ wurde nicht beschädigt.

      »Scheiß Kieberer!«

      »Ja. Scheiß Bullen.«

      Kapitel 13

      Einen Tag später. 5. Dezember 2022.

      Das Wetter passte hervorragend zur Schwärze des Tages. Wieder einmal war der Himmel, wie so oft um diese Jahreszeit, nichts als grau. Die Nebeldecke lichtete sich nicht. Heute wurde dem 52-jährigen Wolfgang Steinrigl, Finanzminister der Republik Österreich, die letzte Ehre erwiesen. Zu Hause in St. Mergen im Attergau. Seine hinterbliebene Ehefrau hatte verfügt, dass er im Heimatgrab bestattet wurde und nicht etwa am Wiener Zentralfriedhof. »Dort fühlt er sich zu Hause«, so die Witwe. Und schließlich hatte er auf dem Weg dorthin auch seine letzten Meter zurückgelegt.

      Die ganze Regierungsriege war angereist, als um Punkt 10.30 Uhr mit Beginn der Abschiedsfeier Tristan und Isolde zu hören waren, die Klänge Richard Wagners. Das Lied brachte die Trauer vieler anwesender Gäste perfekt zum Ausdruck. Wer von der Regierungsriege wirklich ernsthafte Gefühle hegte, war freilich schwer abzuschätzen. Die Blicke aller waren ernst – vom Bundeskanzler bis zur Sozialministerin. Kriminalkommissar Michael Leyrhofer stand relativ weit hinten und beobachtete das Geschehen aus einiger Distanz.

      Der Sarg wurde von Ortsansässigen auf den Vorplatz der kleinen Gemeinde getragen. Rund 400 Leute waren insgesamt gekommen – nicht nur aus Wien, auch aus Deutschland, Holland und Schweden waren manche Politiker extra für dieses Ereignis angereist. Da standen sie nun – nicht nur Freunde, sondern auch die Feinde und politischen Gegner sowie Konkurrenten des toten Finanzministers. Und ganz vorne waren Thomas und Sigrid, die sich fest umarmten, um diesen schweren Tag gemeinsam durchzustehen.

      »Ich verneige mich vor einem großen Österreicher«, sagte der Bundespräsident zu den Trauergästen. Er gehörte derselben Partei an wie der verstorbene Politiker, der KFP. Die KFP vertrat nicht nur konservative Familienwerte, sondern hatte sich in Wahrheit vor allem dem Neoliberalismus verschrieben. De facto sorgte die Partei aber dafür, dass Österreichs Politik und Wirtschaft noch immer von klassischen Männerbünden dominiert wurden. Frauen hatten, wenn überhaupt, nur noch Außenseiterchancen in der Politik des Landes.

      Das Bild der Regierungsriege beim Begräbnis bestand deshalb bis auf eine Ausnahme ausschließlich aus Männern mit schwarzen Sakkos, weißen Hemden und dem Anlass gerechten schwarzen Krawatten. Keine Diversität. Auch der Koalitionspartner verzichtete großteils auf Frauen in seiner Riege. Nur die Funktion des Sozialministers war von einer Frau besetzt. Dabei spaltete sich die »Disruptionspartei« ursprünglich aus der grünen Ecke ab, um sich dann neben Umweltthemen vermehrt auf das Fortkommen von kleinen Unternehmen mit innovativen Ideen zu fokussieren. In Wahrheit war Disruption aber nur eines dieser Modeworte der digitalen Wirtschaft und die Partei passte so gesehen perfekt zum neoliberalen Denken der KFP.

      »Wolfgang Steinrigl hat dem Staat Österreich einen großen Dienst erwiesen. Seine Denkweise war ganz besonders. ›Kümmere dich nicht darum, was früher lief. In Zukunft wird es anders.‹ Diese Worte hat unser lieber Minister immer wieder und wieder betont und ist damit der österreichischen Kultur des Jammerns und Raunzens entgegengetreten mit neuen, frischen Ideen für das Land. Sein innovativer Geist wird uns fehlen. ›Mehr privat, weniger Staat‹ ist eine der erfolgreichsten Leitlinien, die dieses Land je gehabt hat. Wir sind stolz auf dich, Wolfgang!«

      Hatte der Bundespräsident da etwa eine Träne im Auge? Nach der ergreifenden Rede, die auch live über Social-Media-Plattformen wie Facebook gestreamt worden war, kamen noch weitere Redner nach vorne. Auch Thomas Steinrigl trat ans Rednerpult. Als Bürgermeister war er es durchaus gewohnt, Reden zu halten, daher war er auch nur mäßig nervös, aber hier war die Aufmerksamkeit doch noch um einiges größer als sonst. Und im Gegenzug zu seinen Vorrednern, die kaum einen persönlichen Bezug zu seinem Bruder hatten, trauerte er wirklich. Seine Rede war daher kurz und persönlich. Trotz des Schmerzes bliebe vor allem eines in seinem Herzen übrig: Dankbarkeit. Diese Erkenntnis teilte er auch mit den anderen Trauergästen.

      »Ein geliebter Mensch ist immer ein Geschenk. Und mein Bruder, der war neben meiner wunderbaren Frau und meinen zwei fantastischen Töchtern ein wichtiger Anker in meinem Leben. Er hat sich liebevoll um unsere Familie gekümmert und uns unterstützt – und zwar trotz seines dichten Zeitplans als Spitzenpolitiker. Wolfgang, ich weiß, deine politische Aufgabe war dir immer sehr wichtig und sie hat dich mit Stolz erfüllt. Du wolltest Österreich verändern und hast das mit deiner Politik auch geschafft. Meinen tiefsten Respekt dafür. Ich jedoch werde dich immer als den lieben, ehrlichen, verlässlichen Menschen in meinem Herzen behalten, der du abseits deiner wichtigen beruflichen Funktion warst. Wolfgang, danke, dass es dich gab. Der Schriftsteller Thornton Wilder hat einmal gesagt: ›Da ist ein Land der Lebenden und da ist ein Land der Toten; als Brücke dazwischen ist unsere Liebe.‹ Lieber Wolfgang, dieser Spruch gilt auch für uns beide. Du wirst immer in meinem Herzen sein.«

      Die Rede von Thomas Steinrigl war mit Abstand die bewegendste. Zahlreiche Trauergäste hatten jetzt wässrige Augen, auch die Witwe Beate Steinrigl war unter ihnen. Sie hatte sich den ganzen Tag bewusst im Hintergrund gehalten und auch keine Trauerrede vorgetragen. Steinrigls Gattin Sigrid hatte sogar richtige Tränen in den Augen, als ihr Mann nach seiner herzzerreißenden Ansprache wieder neben sie trat. Sie griff sofort seine Hand und drückte sie fest. Ihre Blicke trafen sich. Sie waren voller Mitgefühl

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