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Text und Bild stammten direkt von der Nachrichtenagentur. Das war natürlich ein Wettbewerbsvorteil für das Medium, aber ein nicht unumstrittener. Es war schon mehr als einmal vorgekommen, dass die Schlagzeile mit einem falschen, völlig unpassenden Bild versehen war und somit das Gespött der gesamten Branche auf sich gezogen hatte. Und Medienmenschen behielten ihre Schadenfreude nur sehr selten bei sich.

      »Fataler Unfall: Finanzminister tödlich verunglückt«, war in der Online-Ausgabe von »24 Stunden« zu lesen. Stolze neun Minuten nach der Meldung bei »Heute Mittag«. Als Hashtag, das war ein durch ein Raute-Symbol markiertes Stichwort, etablierte sich in den Social-Media-Diensten wie Facebook und Twitter »#steinrigl«. Es trafen im Sekundentakt neue Kurzmitteilungen dazu ein. Durch den Hashtag konnte man außerdem gleich erkennen, ob die Anzahl der Jubel- oder Trauermeldungen überwogen und was das Ableben des Ministers bei den Menschen auslöste. Unter den Kurzmitteilungen befanden sich zahlreiche Beileidsbekundungen, aber auch viele Erleichterungsausrufe und bösartige oder ironische Kommentare. Steinrigl war eben nicht bei jedem beliebt gewesen. »Wo bleibt die Sondersendung im TV?«, fragten sich einige Nutzer und schimpften auf den öffentlich-rechtlichen TV-Sender. Andere veröffentlichten Bilder, bei denen der Slogan »Mehr privat, weniger Staat«, der über einem Foto mit dem Kopf von Wolfgang Steinrigl prangerte, durchgestrichen war. So etwas nannte man ein sogenanntes Meme, das sich rasch weiterverbreitete, in dem es von vielen verschiedenen Nutzern geteilt wurde. Das gehörte zu den klassischen Internetphänomenen, die sich auch 2022 noch wacker hielten.

      Wie genau der Finanzminister gestorben war und dass er mit seinem heißgeliebten, brandneuen, autonomen Auto unterwegs gewesen war, war offenbar noch nicht bekannt geworden. Zumindest gab es darüber vorerst keine Kommentare. Doch nicht nur auf Facebook und Twitter überschlugen sich die Mitteilungen zum Ableben des Finanzministers, auch in den Redaktionen des Landes ging es heiß her. Es war 19 Uhr. Viele Politik- und Chronik-Redakteure hatten bereits Feierabend oder befanden sich gerade am Weg zu Abendterminen. Die Redaktionskonferenzen waren um die Uhrzeit auch schon längst vorbei. Aber natürlich musste das Ereignis noch in die Blätter des Landes gebracht werden. In der Redaktion von »24 Stunden« saß Armin Tumler. Der 55-jährige Wirtschaftsredakteur war an dem Tag zum Abenddienst eingeteilt. Als ihn die Kollegen vom Online-Team über den Tod des Finanzministers informierten, drehte er als Erstes seine Tasse, die vor ihm stand, nach links. Auf dem Bild, das dadurch zum Vorschein kam, war eine Palme zu sehen, die ihn an seinen letzten Urlaub erinnern sollte. Armin Tumler nahm einen kräftigen Schluck aus der Tasse – und darin war kein Kaffee, sondern etwas Stärkeres. Dann seufzte er laut und machte sich widerwillig an die Arbeit.

      19.33 Uhr. Das Smartphone von Stefanie Laudon vibrierte seit wenigen Minuten in immer kürzeren Abständen. Wenigstens hatte sie den Ton, also das Bling-bling, abgedreht. Aber warum hatte sie es auch unbedingt zu sich auf den Tisch legen müssen? Das war wohl die Macht der Gewohnheit gewesen, die sie jetzt aus ihrer Entspannung herausriss. Endlich hatte sie einmal komplett abschalten können, war weit genug weg von ihrem Alltag. Dort lautete ihr Credo berufsbedingt nämlich: »Immer erreichbar sein, weil, es könnte ja etwas passieren.« Jetzt saß sie gerade in einem Restaurant in der Altstadt von Barcelona. Am Placa Reial gab es zahlreiche nette Innenhöfe, rundherum herrschte hektisches Treiben. Ein paar Tische weiter führte gerade eine Gruppe von Jungs einen akrobatischen Tanz auf. Dazu dröhnte laute Musik aus dem Ghettoblaster. Nicht schlecht, die Kunststücke. Dafür musste man ordentlich trainieren. Sie stocherte noch ein wenig in der vegetarischen Paella herum, die vor ihr am Tisch stand. So richtig schmecken wollte sie ihr nicht. Da war sie wohl auf einen Touristen-Nepp reingefallen. Das Smartphone vibrierte erneut, was bedeutete, dass sie schon wieder eine neue Nachricht erhalten hatte. Stefanie legte ihre Gabel zur Seite und kaute hastig den Bissen zu Ende. Sie seufzte einmal tief und holte Luft. Dann klappte sie die Lederhülle auf, in der sie das Gerät zum Schutz vor Kratzern aufbewahrte. Sie war natürlich neugierig, was es so Dringendes gab. Nicht umsonst hatte sie sich vor mehr als zehn Jahren für den Journalismus als Beruf entschieden, obwohl die Bedingungen schon damals alles andere als rosig waren. Schlecht bezahlt. Hoher Konkurrenzdruck. Miserable Arbeitszeiten. Aber die Neugier … die Neugier und ihr großer Drang, die Welt zu verändern, ließen Stefanie jeglichen Rat ihrer Universitätsprofessoren und Lehrer, besser etwas »Gescheites« zu lernen, ignorieren.

      »Steinrigl ist tot«, stand nüchtern in der Messenger-Nachricht von Facebook, die ihr ihre Freundin Meggie Winter geschickt hatte. »Freu dich, der alte Sack von Finanzminister wird uns nicht mehr das Leben schwermachen!!«, war dagegen in der Signal-Nachricht von Paul Mond zu lesen. Sie schrieb beiden kurz zurück: »WOW!!!! Was für News!« Die anderen Nachrichten waren Push-Mitteilungen von diversen Nachrichtendiensten, die sie abonniert hatte und die ebenfalls mit Steinrigls Tod Alarm schlugen. Diese konnte sie getrost ignorieren.

      Die halb aufgegessene Paella, die so schmeckte, als wäre sie mit billigem Fertig-Pulver und viel zu lange gekocht worden, hatte die Journalistin nun völlig vergessen. Emotional ließ sie der Tod des Finanzministers erst einmal kalt. Es löste nichts in ihr aus. Absolut nichts. Als Privatperson hatte sie Wolfgang Steinrigl nie kennengelernt. Als Politiker hatte sie ihn in ihren Kommentaren oft genug kritisiert. Für sie war er ein unsympathischer konservativer Politiker, der das österreichische Sozialsystem immer weiter aushöhlte, dem Staat am Ende nur geschönte Bilanzen präsentierte und dabei auf die Änderungen, die das Land wirklich brauchte, vergaß. Sie verstand daher die Freude von Paul über den Tod Steinrigls. Sie selbst dachte sich eher, den vorzeitigen Tod, den hatte keiner verdient. Auch kein Arsch, der oft genug versucht hatte, bei ihrem Chefredakteur zu intervenieren, um ihre Berichte zu stoppen.

      Statt weiter zu essen, begann sie aber dennoch zu recherchieren. Schließlich gab es da etwas, was sie durchaus stutzig werden ließ bei der Sache: Wie war Steinrigl eigentlich gestorben? Sie hoffte, das als Erstes auf Twitter rauszufinden. »›Mehr privat, weniger Staat‹ hat damit hoffentlich ein Ende«, schrieb einer der schärfsten Kritiker Steinrigls auf Twitter. Stefanie kannte ihn persönlich und versah seinen Eintrag sofort intuitiv mit einem Smiley. Doch das war jetzt nicht das, was sie am meisten interessierte. Verdammt, sie wollte wissen, wie der Finanzminister gestorben war!

      Wolfgang Steinrigl war schon immer einer gewesen, der gerne mit teuren Dingen protzte. Interessanterweise hatte das die Bevölkerung nie gestört, im Gegenteil. Er gab den Menschen das Gefühl, dass auch sie das alles, was er hatte, erreichen konnten. Frei nach dem amerikanischen Motto: Vom Tellerwäscher zum Millionär. Zuletzt hatte er vor allem mit seinem supertollen neuen Wagen, den er eigens aus den USA hatte einfliegen lassen, ordentlich angegeben. Ein autonomes Auto. Und genau dieses war es, das Stefanie schon vor ein paar Wochen interessiert hatte. Paul hatte ihr erzählt, dass derartige Fahrzeuge in der Vergangenheit recht einfach gehackt werden konnten und dass er es geschafft hatte, in das Steuerungssystem des Fahrzeugs einzudringen. Stefanie war daraufhin neugierig geworden, sie hatte außerdem eine gute Geschichte gewittert, denn Steinrigl hatte sich auch massiv dafür eingesetzt, dass diese Autos so schnell wie möglich in Österreich zugelassen würden. Sie hatte sich da schon gefragt, ob auch Schmiergelder von der Autolobby geflossen waren oder ob das Wunderauto von Steinrigl gar ein Geschenk, eine Art Bonus, der Autolobby gewesen war. Umso faszinierender war es für sie gewesen, als Paul ihr erzählt hatte, dass es auch Laien gelingen würde, sich in das Autosystem einzuloggen.

      »Das muss ich ausprobieren«, war ihr erster Gedanke gewesen. Sie hatte Paul, der keine Ahnung hatte, was sie plante, die Anleitung dafür abgerungen. Er hatte ihr per Signal-Nachricht einen Link mit den Hinweisen, die bereits im Internet kursierten, zugeschickt. Stefanie ließ es sich nicht nehmen, diese Anleitung auch Schritt für Schritt auszuprobieren. Und sie hatte es tatsächlich geschafft, ins Steuerungssystem von Steinrigls Auto einzudringen. Sie war so schockiert darüber gewesen, dass sie gleich wieder ausgestiegen war und niemandem davon erzählte. Das war ein paar Tage vor ihrer Abreise nach Barcelona gewesen.

      Als sich Stefanie nun am Smartphone die Bilder ansah, die zum Tod Steinrigls bisher auf Twitter veröffentlicht worden waren, stellte sie fest: Da ist er ja, der Flexus Alpha! Das Wunderauto des Ministers. Wenn auch total beschädigt, mit zahlreichen Schrammen am Vorderheck: Das war das autonome Auto, auf das der Finanzminister so stolz gewesen war. In Stefanies Kopf begann es zu rattern. Steinrigl war tatsächlich im Auto gestorben! Konnte ihre Aktion vor der Abreise zum Tod geführt haben? Hatte sie vielleicht irgendwas im Steuerungssystem

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