Скачать книгу

Filmrechte an die Amis, nicht schlecht, Charlotte, lobte sie sich im Stillen. Vor sich hin summend trat sie in den Empfangsbereich. Eingesunken auf einer riesigen Ledercouch saß eine kleine, rundliche Gestalt, die sich bei ihrem Anblick sofort erhob.

      »Komm, Alma, wir haben etwas zu feiern. Wir gehen jetzt shoppen und kleiden uns von oben bis unten neu ein.« Übermütig umarmte Charlotte ihre Tante und drehte sich mit ihr im Kreis.

      »Was ist denn mit dir los, Kindchen? Auf einmal so gute Laune?«

      »Ach, Alma, es ist doch ein herrlicher Tag heute.« Charlotte lächelte sie liebevoll an.

      »Na, ich weiß nicht«, antwortete Alma mit einem skeptischen Blick durchs Fenster.

      Sie schlenderten den Neuen Wall entlang und sahen sich die aktuelle Winterkollektion in den Geschäften der internatio­nalen Designer an. Der Nieselregen war in einen kräftigen Schauer übergegangen, was Charlotte als Veranlassung sah, bei einem französischen Nobelausstatter einen pinkfarbenen Regenschirm für einen astronomisch hohen Preis zu erstehen. Die passende Handtasche für den Gegenwert eines ausländischen Kleinwagens kaufte sie gleich dazu.

      Untergehakt, mit einem halben Dutzend Tüten bepackt, gingen sie vergnügt unter dem neuen Schirm Richtung Rathausmarkt. Bei den Alsterarkaden blieben sie kurz stehen, lauschten einem Geigenspieler und beobachteten die Schwäne. Dem Wetter zum Trotz suchten sich rund um das Areal des Rathauses eine Heerschar von Touristen, Geschäftsleuten und zahlreichen Einkaufswütigen, ebenfalls gut beschirmt, ihren Weg.

      Charlotte und Alma überquerten den großen Platz und bewunderten die prächtige Fassade des Rathauses. Wie immer, wenn Charlotte vor dem Regierungsgebäude stand, wanderten ihre Gedanken zu ihrem Vater. Viktor Leonberger war Mitte der achtziger Jahre Senatsmitglied der Hamburger Landesregierung gewesen.

      Charlotte schaute Alma an. Ihre Tante schien ebenfalls an ihren verstorbenen Bruder zu denken.

      »Café Paris?«, fragte Charlotte aufmunternd, um keine Schwermut aufkommen zu lassen.

      Alma sah sie mit ihren dunklen Knopfaugen traurig an. Dann überzog ein verschmitztes Lächeln das runzelige Gesicht. »Café Paris«, bestätigte sie.

      Sie schlenderten zur Rathausstraße, und sobald sie das Café betraten, tauchten sie in eine Welt längst vergessener Zeiten. Die gekachelten Wände und Decken des 1882 gebauten Hauses waren ein Jugendstiltraum mit Ornamenten und Gemälden.

      Charlotte und Alma steuerten einen der wenigen freien Tische an. Alma ließ sich erschöpft auf die dunkelgrüne Lederbank fallen, und griff nach der Karte. Obwohl es fast mittags war, bestellten beide das französische Frühstück. Charlotte organisierte sich eine Ausgabe der Hamburger Tageszeitung, die kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, und blätterte rasch die Seiten durch. Währenddessen bewunderte Alma das bunte Seidentuch, dass Charlotte ihr spendiert hatte.

      »Leg es um«, forderte Charlotte ihre Tante auf, nachdem sie die Zeitung beiseite gelegt hatte.

      »Hier?«

      »Wo denn sonst, wenn nicht hier? Kannst du nicht das Pariser Flair spüren, das uns hier umgibt?« Sie lächelte Alma aufmunternd zu.

      Die legte das Seidentuch andächtig um ihren Hals. »Es ist wunderschön. Vielen Dank, Charlotte.«

      Sie lächelten sich an.

      Eine Kellnerin brachte das Frühstück und stellte die vielen Teller auf den kleinen Tisch. »Darf ich die mitnehmen?«, fragte sie höflich und wies dabei auf die Zeitung.

      »Gerne«, erwiderte Charlotte und tunkte ein Croissant in ihren Kaffee.

      »Moment, warten Sie!« Alma Leonberger langte nach der Zeitung und starrte auf einen Artikel. Die Kellnerin entfernte sich diskret. »Das ist Richard Woy!« Alma zeigte auf ein Foto.

      »Das Opfer vom Torhausmord? Die Polizei scheint noch keine Erfolge erzielt zu haben, die Artikel werden immer spärlicher.« Charlotte fixierte die blasse Miene ihrer Tante und fragte dann überrascht: »Du kennst seinen Nachnamen? Alma, kennst du diesen Mann?« Sie legte das restliche Croissant zurück auf den Teller.

      »Du kennst ihn auch. Das ist Dr. Richard Woy. Charlotte, er war dein Kinderarzt.«

      Charlottes Puls beschleunigte sich. Die Anrufe, der nachgestellte Tatort und ihr Kinderarzt – das waren eindeutig zu viele Zufälle.

      Die Tote vom Fabrikgelände war anhand des Zahnschemas als Viktoria Steiner identifiziert worden.

      Von den Eltern der Toten hatten sie eine Liste mit Namen von Verwandten und Freunden ihrer Tochter erhalten. Es würde Tage dauern, alle zu überprüfen. Malin entfuhr ein Stöhnen.

      »Fricke meint, wir sollen bei Elisabeth Völkers anfangen«, sagte Bartels. »Die beiden haben am Mordabend zusammen Geburtstag gefeiert.« Der Ermittler hatte tiefe Schatten unter den Augen und einen Dreitagebart am Kinn.

      »Gut. Weiß man schon etwas von ihrem Mann?«

      »Der ist vor acht Monaten ums Leben gekommen«, entgegnete Bartels. »Verkehrsunfall.«

      »Furchtbar.« Malin hielt für einen Moment inne. »Sollten wir nicht noch mal in die Wohnung fahren?«

      Bartels schüttelte den Kopf. »Da ist gerade die Spusi drin. Kannst du dich schon mal um die Adresse der Völkers kümmern? Ich muss noch mal kurz telefonieren.« Er griff nach dem Hörer.

      Die Kontaktdaten von Elisabeth Völkers standen gleich auf der ersten Seite der Liste. Malin notierte sich die Anschrift und beobachtete, wie die Gesichtsfarbe ihres Kollegen von blass ins Rötliche wechselte. Seine Hand umkrampfte den Telefonhörer. Plötzlich legte er auf und blieb einige Sekunden regungslos sitzen.

      »Fred, alles klar?«

      »Malin, ich muss weg.«

      »Und was wird dann aus der Völkers?«

      »Frag Andresen, ob der Zeit hat. Ich muss los.« Er schnappte sich Jacke und Autoschlüssel.

      »Aber Andresen ist doch für den Torhausmord eingeteilt!«, rief sie ihm hinterher. Doch Bartels war bereits verschwunden.

      Und nun? Andresen kommt schon mal gar nicht in Frage, dachte Malin. Halbherzig wählte sie die Handynummer von Ole Tiedemann. Nach dem zweiten Klingeln legte Malin wieder auf. Anschließend wählte sie die Nummer von Elisabeth Völkers. Niemand nahm ab. Dann eben nicht, dachte sie und verließ den Raum.

      Vor Frickes geschlossener Bürotür blieb sie einen Moment stehen. Sie hätte ihren Vorgesetzten schon längst darüber informieren müssen, dass auch der zweite Tatort Ähnlichkeiten mit einem Leonberger-Krimi aufwies. Doch würden die Übereinstimmungen ausreichen, um Fricke davon zu überzeugen, dass zwischen den beiden Morden ein Zusammenhang bestand?

      Ihr nächtlicher Besuch bei ihm kam ihr in den Sinn. Damit war die Entscheidung gefallen.

      Dieses Mal würde sie die Sache richtig angehen.

      Zwanzig Minuten später betrat Malin den Altbau in der Mozartstraße. Die Haustür zu Viktoria Steiners Wohnung war nur angelehnt. Sie streifte sich Füßlinge und Handschuhe über.

      Ein Mitarbeiter der Spurensicherung kam ihr im Flur entgegen und lächelte ihr unter der Kapuze seines Overalls freundlich zu. »Der Chef ist im Wohnzimmer.«

      Dort standen Schranktüren offen, Sofakissen lagen auf dem Boden und Schubladen waren aufgerissen. Der Leiter der Spurensicherung hob gerade mit einer Pinzette etwas vom Boden auf. Er hielt es ins Licht und steckte es anschließend in eine durchsichtige Spurensicherungstüte. »Was willst du denn hier?«, fragte er mürrisch.

      »Ich will mir ein persönliches Bild von der Toten machen. Hast du irgendein Problem damit?«

      »Schon gut, man wird ja noch mal fragen dürfen.«

      »Kannst du mir vielleicht schon irgendetwas sagen?«, fragte Malin eine Spur versöhnlicher.

      Glaser legte die Pinzette beiseite. »Wir müssen die Spuren natürlich noch auswerten, aber

Скачать книгу