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es in Ordnung, wenn ich mich ein wenig umschaue?«

      Der Kriminaltechniker hob die Augenbrauen und sie befürchtete schon eine seiner Ermahnungen, als sein zusammengekniffener Mund sich zu einem Grinsen verzog. »Ich hab gehört, du hast mit Andresen nicht gerade einen neuen Freund gefunden?«

      Malin nickte überrascht.

      »Gut. Wird Zeit, dass unserem aufgeblasenen Kollegen mal jemand die Stirn bietet.«

      »Also, hab ich dein Okay?«

      »Tu, was du nicht lassen kannst.«

      Unverzüglich ging sie zum Bücherregal. Mit ihrer behandschuhten Hand fuhr sie langsam die Bücherreihen entlang.

      Dort standen sie – alle vier Bände von Charlotte Leonberger. Sie zog einen aus dem Regal und schlug die erste Seite auf. Malin überlief ein eiskalter Schauer. Sie legte das Buch beiseite und nahm das nächste zur Hand. Mit zittrigen Händen schlug sie auch dort die erste Seite auf. Wieder.

      Sie sah einen Band nach dem nächsten durch, dann benötigte sie einige Minuten, um die Entdeckung zu verdauen.

      10

      Das Institut für Rechtsmedizin befand sich in einem zweistöckigen Gebäude aus den Sechzigern am Rande des Universitätsklinikums Eppendorf.

      Malin stellte den Mini auf dem gesonderten Parkplatz für Einsatzfahrzeuge ab und betrat mit gemischten Gefühlen die Empfangshalle. Es war ihre erste Obduktion.

      Sie war erleichtert, als sie die vertraute Gestalt von Fricke­ entdeckte, der sich gerade mit einem kräftigen jungen Mann unterhielt. »Brodersen, das ist Mike Hansen. Er ist Sektions­gehilfe in diesem Schuppen. Stellen Sie sich gut mit ihm, er ist immer bestens informiert.«

      Fricke klopfte Hansen kurz freundschaftlich auf die Schulter.

      Hansen musterte sie kurz, dann erschien ein Lächeln auf seinem runden Gesicht. »Was für ein Glanz in unserem tris­ten Haus.« Seine himmelblauen Augen blickten sie ergeben an.

      »Wunderbar, dann haben Sie sich ja bekannt gemacht«, stellte Fricke auffordernd fest.

      Hansens Blick löste sich von Malin. »Folgen Sie mir. Dr. Steinhofer wartet auf Sie. Nicht dass sie nichts anderes zu tun hätte – wir haben letzte Nacht zwei Verkehrsunfälle reinbekommen. Tja, der Herbst hat begonnen.« Er strahlte Malin an.

      Im Untergeschoss, wo sich der Autopsietrakt befand, legten sie Schutzkleidung an und folgten dem Sektionsgehilfen in den Obduktionssaal. Ein schwerer, süßlicher Geruch drang ihnen mit einem Hauch von Desinfektionsmittel gepaart entgegen. Grelles Neonlicht strahlte von der Decke auf mehrere Obduktionstische aus rostfreiem Edelstahl.

      Dr. Steinhofer war in einen grünen Sezierkittel gekleidet und sprach in ein Diktiergerät. Fricke räusperte sich. Die Rechtsmedizinerin gab Hansen ein Zeichen und der Sektions­gehilfe schlug das Laken zurück, das die Leiche verhüllte. Umgehend rebellierte Malins Magen.

      »Ihre Erste?« Dr. Steinhofers Frage klang wie eine Feststellung und war frei von jeglichem Mitgefühl.

      Malin nickte und zwang sich zu lächeln.

      »Ich möchte, dass Sie sich das ansehen.« Dr. Steinhofer wies auf verschiedene Körperstellen der Toten. »Das sind Brandblasen in verschiedenen Stadien. Sie müssen sich das so vorstellen: Erst rötet sich die oberste Hautschicht, anschließend entstehen Blasen, die mit Wundflüssigkeit gefüllt sind. Irgendwann platzen sie auf und die sogenannte Lederhaut wird sichtbar. Wird diese dann weiterhin einer Strahlung ausgesetzt, platzt die Unterhaut und es kommt zu diesen fleischigen Wunden. Zeitgleich wird dem Körper Flüssigkeit entzogen. Er trocknet langsam aus, ja er verdurstet regelrecht.«

      »Also war das die Todesursache?« Fricke beugte sich über den Obduktionstisch und begutachtete die Wunden.

      »Nicht direkt. Der Tod trat durch einen sogenannten hyper­thermischen Schock ein. Die Folge der Austrocknung.«

      Fricke trat vom Obduktionstisch zurück. »Hat sie während der Folterung noch gelebt?«

      »Leider ja. Man kann nur hoffen, dass sie schnell die Bewusstlosigkeit erreicht hat.«

      Malin schloss die Augen und kämpfte mit einer weiteren Welle der Übelkeit.

      Fricke brach das Schweigen. »Wie lange hat es gedauert, bis der Tod eingetreten ist?«

      »Lange. Unter Berücksichtigung aller Faktoren würde ich sagen, mindestens zehn bis zwölf Stunden.«

      »Und wie hat sie sich diese Brandverletzungen zugezogen? Ich meine, die Leiche sieht ja nun nicht gerade aus, als hätte sie im Ofen gelegen.«

      »Leider kann ich in diesem Punkt nur Vermutungen anstellen. Die Haut weist unterschiedliche Verbrennungsgrade auf. Ich würde auf Strahlung tippen.«

      »Es waren Sonnenstrahlgeräte, solche, wie sie in den Sonnen­studios benutzt werden«, platzte es aus Malin heraus.

      »Brodersen, der Mörder hat doch keine Sonnenbank in die Fabrik geschafft und sie dann darin gebraten«, erwiderte Fricke schmunzelnd.

      »Lassen Sie Frau Brodersen ausreden«, mischte sich Dr. Steinhofer ein und nickte Malin aufmunternd zu.

      »Natürlich hat der Mörder keine komplette Sonnenbank in die Fabrik geschafft. Die Geräte gibt es auch in kleinen Formaten, sozusagen für den Hausgebrauch. Meistens werden sie fürs Gesicht und den Oberkörper genutzt. Der Mörder hat die Strahler mit Stahlseilen an den Haken der Decke befestigt. Deshalb auch die Farbabplatzungen. Dann hat er sie immer weiter von der Decke abgesenkt, bis sie irgendwann nur noch wenige Zentimeter vom Körper entfernt waren. Er hat sich Zeit gelassen, um sein Opfer möglichst lange am Leben zu erhalten. Und um es länger zu quälen.« Malins Stimme war nur noch ein Flüstern.

      »Brodersen, was in Teufels Namen hat Sie zu dieser verrückten Theorie veranlasst?«

      Malin sagte es ihm.

      11

      Das Ermittlungsteam hatte sich diesmal im Konferenzraum versammelt. Wie im gesamten Polizeipräsidium herrschte auch hier eine nüchterne und kühle Arbeitsatmosphäre. Ein Konferenztisch aus hellem Holz dominierte umsäumt von Metallschwingern mit grünen Sitzflächen den Raum. Jemand hatte die Whiteboards mit den Tatortfotos zu beiden Seiten eines Fernsehbildschirmes aufgestellt.

      Davor stand ein ernst blickender Fricke. »Bisher wurden beide Fälle von uns separat bearbeitet, doch jetzt haben sich die Dinge geändert. Wie es aussieht, gibt es eine Verbindung zwischen den Morden. Brodersen, Sie sind dran.«

      Malin hielt vier Taschenbücher in die Höhe – Bände von Charlotte Leonberger. Vereinzeltes Lachen war zu hören.

      »Das gibt’s doch nicht, jetzt kommt die wieder mit ihrer Krimitheorie«, kam es von Andresen. »Brodersen, wir befinden uns hier in Hamburg. Wir haben vielleicht ein Drogen­problem, aber doch keinen verrückten Serienmörder aus einem deiner Psychothriller.« Er schlug sich auf die Schenkel.

      »Lass sie doch erst einmal anfangen«, mischte Bartels sich ein.

      »Von mir aus, ich bin es ja schließlich nicht, der sich blamiert«, erwiderte Andresen achselzuckend.

      »Fangen Sie an, Brodersen«, forderte Fricke sein jüngstes Teammitglied auf.

      »Also gut. Es gibt verschiedene Verbindungen, die uns immer wieder zu einer Person führen. Charlotte Leonberger.« Malin machte eine kurze Pause und sammelte sich, bevor sie mit fester Stimme fortfuhr. »Der Mörder hat, sowohl beim Torhausmord als auch beim Fabrikmord, die Tatorte aus den Krimis von Charlotte Leonberger detailgetreu nachgestellt. Er benutzt sozusagen ihre Bücher als Anleitung für seine Morde.« Sie zog aus ihrer Tasche einen Stapel Papiere und verteilte sie an ihre Kollegen. Das letzte Exemplar drückte sie ihrem Vorgesetzten in die Hand. »Ich habe euch die entsprechenden Stellen markiert. Bevor ihr irgendetwas sagt, lest es.«

      Die Teammitglieder folgten der Aufforderung. Nur von Sven Andresen war verhaltenes

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