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Trappmann-Korr bildet die Gruppe der Introvertierten auch die Mehrzahl der Hochbegabten.39 Weiter ist davon auszugehen, dass mit steigender Intelligenz auch der Grad der Introvertiertheit ansteigt.40 Dies soll allerdings nicht zur irrigen Schlussfolgerung führen, dass es keine genialen Extrovertierten gäbe! Selbstverständlich haben die Introvertierten die Intelligenz nicht für sich gepachtet. Es ist auch hier wiederum eine Frage, welche grundsätzliche Veranlagung eine Person hat.

      Ein Berührungspunkt von Introversion und Hochsensibilität finden wir in dem überaus sensiblen Nervensystem, das beiden Gruppen eigen ist. Anne Heintze erklärt, dass der Begriff Hochsensibilität für Menschen verwendet wird, »die über ein besonders sensibles Nervensystem verfügen und intensivere Wahrnehmungen über ihre fünf Körpersinne erleben als Normalsensible«41. Viele von ihnen sind auch hochsensitiv und verfügen über einen ausgeprägten »sechsten Sinn«. Sie spüren die Stimmungen anderer Menschen sehr intensiv, nehmen Veränderungen in ihrem Umfeld deutlich wahr und haben eine stark ausgeprägte Intuition. Und ebendies trifft auch ganz wesentlich auf introvertierte Menschen zu. Sie sind feinfühliger für Reize und Stimulationen verschiedenster Art und benötigen daher zumindest phasenweise eine ruhigere Umgebung, um sich wohlzufühlen und innerlich im Gleichgewicht zu bleiben. Während Extrovertierte auch nach einer längeren Zeit unter vielen Menschen und ohne Zeit für sich selbst noch voller Energie sind, suchen Introvertierte viel schneller nach einer kleinen Auszeit, um sich zu regenerieren. Ein Grund kann in der Hochsensibilität liegen. Introvertierte weisen ebenso wie Hochsensible in vielen Situationen eine höhere Gehirnaktivität auf.

      Introversion und Hochsensibilität voneinander abzugrenzen, ist nicht einfach, da es viele Parallelen gibt. Nichtsdestotrotz dürfen die beiden Eigenschaften nicht undifferenziert in einen Topf geworfen werden. Je nach Kombination mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen (wie Introversion, Extroversion, Hochbegabung etc.) äußert sich Hochsensibilität bei jedem Menschen anders. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass es die Hochsensibilität genauso wenig gibt wie die Introversion oder die Extroversion. Genau genommen müsste sogar der Begriff »Hochsensibilität« präziser definiert werden, da in diesem Begriff sowohl Hochsensibilität als auch Hochsensitivität subsumiert werden, obwohl dies eigentlich zu unterscheiden ist.

      Hochsensibilität meint eine besonders ausgeprägte Begabung zu feiner, intensiver und empfindlicher Wahrnehmung mit allen fünf körperlichen Sinnen (hören, sehen, schmecken, fühlen, riechen). Hochsensible, die stark auf Geräusche reagieren, sind im Alltag zum Beispiel daran zu erkennen, dass sie bei lauten Geräuschen leicht erschrecken oder dass sie sich kaum konzentrieren können, wenn der Geräuschpegel ihrer Umgebung (Radio, Gespräche etc.) ihrem Empfinden nach zu laut ist. Bei anderen können Gerüche, die von Nicht-Hochsensiblen kaum wahrgenommen werden, zu Unwohlsein oder gar Übelkeit führen. Aufgrund der vielfältigen und überwältigenden Eindrücke, denen sie mit ihren zarten Sinnen ausgesetzt sind, leiden hochsensible Menschen oft unter Reizüberflutung.

      Wer hingegen hochsensitiv ist, muss nicht unbedingt über eine Schärfung der fünf physischen Sinne und über dieselbe Empfindsamkeit verfügen, die Hochsensiblen zu eigen ist. Stattdessen scheinen hochsensitive Menschen über einen sechsten Sinn zu verfügen. Hochsensitive fühlen sich oft hingezogen zur Spiritualität, Philosophie und Metaphysik. Sie haben eine ausgeprägte Intuition, manchmal sogar Ahnungen und Visionen. In vielen Büchern zum Thema Hochsensibilität wird diese Unterscheidung allerdings nicht gemacht, sondern vielmehr von »Hochsensibilität« als einer Mischform dieser beiden Dinge gesprochen.

      Brigitte Schorr nennt in ihrem Buch Hochsensibilität – Empfindsamkeit leben und verstehen folgende vier Kriterien von Hochsensibilität:42 1. schmale Komfortzone (schmaler Grat zwischen Langeweile und Überforderung; das Wohlbefinden ist von viel mehr Faktoren abhängig als bei Nicht-Hochsensiblen); 2. schnelle Überreizbarkeit (es werden mehr Reize aufgenommen als verarbeitet werden können. Dies führt zu Anspannung und Nervosität, Konzentration und Leistung sinken); 3. langes Nachhallen (Erlebnisse, Bilder, Worte, Gedanken etc. bleiben bei Hochsensiblen lange im Gedächtnis und in der Gefühlswelt haften. Symptome der Überstimulation können nach Tagen oder Wochen noch spürbar sein); 4. individuelle Wahrnehmungsfähigkeit (unterschiedliche Ausprägung der Hochsensibilität: sensorisch hochsensibel, empathisch hochsensibel, kognitiv hochsensibel, spirituell hochsensibel).

      Die von Brigitte Schorr erwähnten Kriterien sind – wie bereits erwähnt – grundsätzlich unabhängig von Introversion und Extroversion. Allerdings bringt die feine Wahrnehmung vieler Hochsensibler ein größeres Bedürfnis nach Rückzug mit sich, was sich ähnlich äußert wie introvertiertes Verhalten. Aber im Gegensatz zum Rückzug von Hochsensiblen, die beispielsweise vor einer Reizüberflutung fliehen, ist der Rückzug von Introvertierten keine Flucht vor äußeren Reizen, sondern ein angeborenes Bedürfnis. Ich kenne Introvertierte, die mir bestätigten, dass sie überhaupt kein Problem mit Reizüberflutung haben. Die parallele Erfahrung beider Eigenschaften (dies schreibe ich ausgehend von meiner persönlichen Erfahrung als stark introvertierter und stark hochsensibler/hochsensitiver Person) ist in der Tat herausfordernd und fühlt sich manchmal an wie eine doppelte Hypothek. Die Überschneidung und Vermischung von Introversion und Hochsensibilität/Hochsensitivität machen das Leben auf doppelte Weise anstrengend und der Weg zum Punkt, beides als Stärke und Gabe zu sehen, scheint doppelt so lang zu sein.

      Hochsensibel introvertiert oder hochsensibel extrovertiert?

      Während meiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema Hochsensibilität hat mich wiederholt irritiert, dass ich mich in gewissen Hochsensibilitätsratgebern oder im Austausch mit anderen Hochsensiblen nur teilweise wiedergefunden habe. Das Gefühl der Andersartigkeit blieb. Auch an Tagungen zum Thema Hochsensibilität fiel mir auf, wie unterschiedlich die Gruppe der Hochsensiblen ist. Mit der Zeit bestätigte sich meine Vermutung, dass es von entscheidender Bedeutung ist, ob jemand hochsensibel introvertiert oder hochsensibel extrovertiert ist.

      Heute bin ich davon überzeugt, dass die Charakterisierung in introvertiert und extrovertiert eine der zentralsten Unterscheidungen überhaupt ist. Sie erklärt, wie ein Mensch schöpfungsmäßig »programmiert« ist. Ob er sein Leben bevorzugt nach innen (introvertiert) oder nach außen orientiert (extrovertiert) meistert. Und ob er seine Lebensenergie aus der Distanz zu und im Rückzug von anderen Menschen schöpft (introvertiert) oder aus der Gemeinschaft mit anderen (extrovertiert).

      Dieses Buch fokussiert sich speziell auf introvertierte Christen. Also auf Introvertierte, die sich in einem christlichen Umfeld bewegen, das aber zweifellos stärker auf Extrovertierte ausgerichtet ist. Bedauerlicherweise richtet die Literatur über Hochsensibilität auch im christlichen Kontext43 ihr Scheinwerferlicht meist stärker auf hochsensible Extrovertierte – obwohl jene doch lediglich 30 Prozent aller Hochsensiblen ausmachen. Wer kümmert sich dann um die übrigen 70 Prozent – die introvertiert Hochsensiblen – oder einfach die Introvertierten überhaupt? Solche, die (wie ich) vielleicht manchmal sogar introvertierte Verhaltensweisen mit Hochsensibilität verwechselt haben? Durch meine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Hochsensibilität begann ich, mein Unbehagen im christlichen Kontext ausschließlich aus der Perspektive der Hochsensibilität zu deuten. Vieles davon ließ sich so auch tatsächlich erklären. Die Reizüberflutung zum Beispiel war ein reales Problem. Und doch schien es nur ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen zu sein. Vieles ergab erst Sinn, als ich verstand, dass meine Introversion als grundlegende Veranlagung meine Beziehung zu anderen Menschen (und insbesondere auch meine Grenzen im Umgang mit anderen Menschen) noch viel grundsätzlicher prägt als die Hochsensibilität. So fühlte ich mich als introvertierte Hochsensible im Buch von Lülings nicht wirklich verstanden, da sich ihre Praxisbeispiele an extrovertierte Hochsensible richten. Es geht in ihren Beispielen vorrangig um Dienste an anderen Menschen, die ein hohes Maß an sozialer Interaktion voraussetzen. Und damit verbunden um das Problem, dass die Reizüberflutung im Dienst an anderen Menschen zur Überforderung werden kann. Aber ich empfand allein schon den Dienst an anderen Menschen als Überforderung!

      Ein extrovertierter Hochsensibler kann zweifellos nachvollziehen, wie anstrengend Reizüberflutung für einen introvertierten Hochsensiblen ist und dass Rückzug daher oft unumgänglich ist. Aber er kann nur begrenzt nachempfinden, wie anstrengend ein introvertierter

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