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war viel besser, als die Kinder in ein Heim zu stecken, in ein Waisenhaus.

      Bei den Auerbachs war es ein Thema, das sie nicht gern berührten, weil sie Pamela die Adoption verschwiegen hatten und das arme Mädchen es zufällig durch fremde Frauen erfahren hatte.

      Inge wollte nicht mehr daran erinnert werden, welchen Stein das ins Rollen gebracht hatte. Pamela, damals noch Bambi, hatte sich von ihnen abgewandt, sie hatte niemals mehr etwas mit ihnen zu tun haben wollen, war mit Hannes nach Australien gegangen, und der Weg der Annäherung war ein steiniger und sehr schmerzlicher gewesen.

      »Ich bin froh, dass es wieder so ist wie früher, Mami«, sagte sie, »und ich möchte dich und Papi nicht verletzen, wenn ich über meine leiblichen Eltern spreche. Es ist doch alles gesagt, ich weiß alles über sie. Und lebendig machen kann ich sie nicht mehr.«

      Inge streichelte Pamela behutsam übers Haar.

      »Du bleibst aber die Tochter von zwei ganz wunderbaren Menschen, und wenn du das Bedürfnis hast, über sie zu sprechen, dann kannst du das tun, dann musst du es tun, Pamela. Für uns bist du ein Geschenk des Himmels, und wir sind unendlich dankbar dafür, dass du zu uns gekommen bist. Du hast Sonnenschein in unser Leben gebracht, und wir lieben dich alle sehr.«

      Pamela lehnte sich an ihre Mutter.

      »Ach, Mami, du findest immer die richtigen Worte. Ich kann dankbar sein, dass ich zu euch kommen durfte.« Sie machte sich aus Inges Armen frei und erkundigte sich: »Wo ist eigentlich Luna? Die begrüßt mich doch sonst immer.«

      Inge lachte.

      »Die ist mit den Großeltern unterwegs. Es ist eine Win-Win-Situation, dank Luna machen sie lange Spaziergänge.«

      Pamela fiel in das Lachen mit ein.

      »Und die freut sich, weil ihr köstliche Leckerli zugesteckt werden. Bei Omi und Opi möchte man Hund sein. Was sie für Luna kaufen, das ist nur vom Allerfeinsten. Aber ich kann mich auch nicht beklagen, wir unternehmen so viele schöne Sachen zusammen, sie geben viel Geld für mich aus.«

      »Sie freuen sich, dass sie das tun können, dass es ihnen im ­Alter an nichts mangelt, dass sie­ sorgenfrei leben können. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen bekommen nur eine kleine Rente, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben. Und statt ihr Dasein genießen zu können, müssen sie jeden Cent umdrehen. Das ist traurig, doch darüber müssen wir jetzt nicht reden. Zeig mir lieber deine Arbeiten. Ich bin ja so stolz auf dich, mein Kleines. Du machst Hannes Konkurrenz. Der hatte seine guten Noten erst später.«

      »Aber dann hat er Gas gegeben, Mami«, fügte Pamela hinzu. »Hannes hat es allen gezeigt. Ich mag Ricky und Jörg sehr, sehr gern. Aber der Hannes, der ist mein Lieblingsbruder. Wir zwei verstehen uns ohne Worte. Auf ihn kann ich mich verlassen, und ich werde niemals vergessen, wie lieb er zu mir war, als ich in Australien weilte.«

      »Pamela, ihr seid die Jüngsten, seid miteinander aufgewachsen, während Ricky und Jörg bereits aus dem Haus waren. Das verbindet. Also, zeigst du mir jetzt die Arbeiten?«

      Pamela lachte.

      »Mami, die zeige ich dir später, die laufen nicht davon. Ich habe einen tierischen Hunger. Was gibt es denn zu essen?«

      »Wie von dir gewünscht, einen Nudelauflauf.«

      Obwohl sie sich ja gerade erst aus deren Armen befreit hatte, umarmte Pamela ihre Mutter erneut.

      »Nudelauflauf, davon kann ich nicht genug bekommen. Du bist die allerbeste Mami von der ganzen Welt.«

      Das ging bei Inge herunter wie Öl. Und sie war so froh, dass die Schatten der Vergangenheit endgültig gewichen waren.

      »Und wo ist der Papi?«

      »Auf den müssen wir nicht warten, der kommt erst heute Abend nach Hause.«

      »Ach ja, der Papi, der kann es einfach nicht lassen. Aber wenigstens bleibt er nicht ständig tagelang weg, und er reist auch nicht mehr um die Welt wie früher.«

      Inge gab darauf keine Antwort. Pamela war in Australien gewesen, als es bei den Auerbachs die große Krise gegeben hatte. Damals hatte Inge ihrem Mann ein Ultimatum gestellt, und sie hätte sonst wirklich die Konsequenzen gezogen. Werner hatte es mit der Angst zu tun bekommen, und es war nicht mehr bei den leeren Versprechungen geblieben. Der Herr Professor hatte die Reißleine gezogen, weil ihm bewusst geworden war, dass seine Inge für ihn das Wichtigste im Leben war und dass er ohne sie nicht sein konnte und nicht sein wollte. Werner arbeitete immer noch sehr viel, aber er nahm sich auch Zeit für die Familie, Auszeiten, die er mit Inge genoss, und die hatte jetzt das, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Sie genoss es in vollen Zügen.

      Pamela setzte sich schon mal auf ihren Platz an dem großen Familientisch, nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte. Darauf legte man Wert im Hause Auerbach. Und dann konnte sie es kaum erwarten, dass Inge ihr eines ihrer Leibgerichte servierte. Voller Behagen begann Pamela den Nudelauflauf in sich hineinzustopfen, und ihr Essen wurde begleitet von vielen ­›Ooohs‹ und ›Hmmms‹.

      Inge freute sich. Für Pamela zu kochen, das war ein Vergnügen. Sie war schnell zu begeistern, und sie zeigte ihre Begeisterung auch.

      Nach zwei großen Portionen gab Pamela schließlich auf. Inge wunderte sich immer wieder, was in diesen schmalen Körper hineinpasste.

      Inge kochte sich einen Kaffee, das musste sein. Und dann durfte sie endlich die Arbeiten sehen. Pamela besaß eine große mathematische Begabung, die hatte sie von ihrem leiblichen Vater geerbt. Und das Englische lag ihr wirklich im Blut. Die Arbeit war sehr anspruchsvoll. Inge wunderte sich überhaupt nicht, dass die meisten Schüler die Arbeit versemmelt hatten, die Pamela immer zu sagen pflegte, wenn etwas danebenging.

      Inge war stolz auf Pamela, und sie lobte sie auch entsprechend.

      Mutter und Tochter genossen ihre Zweisamkeit. Der große Küchentisch war für die Auerbachs so etwas wie die Schaltstelle des Lebens. An diesem Tisch wurde gelacht, es wurde geweint. Es wurde gespielt, und es hatte, und die gab es noch immer, viele heiße Diskussionen gegeben.

      Inge merkte sofort, dass Pamela etwas auf dem Herzen hatte, was sie unbedingt loswerden wollte.

      Inge sprach ihre Tochter darauf an, und dann sprudelte es aus Pamela nur so heraus.

      »Mami, es geht um den Fühlstein, den Manuel mir vor seinem Wegzug gegeben hat.«

      Pamela legte den Stein auf den Tisch, und Inge erinnerte sich daran, dass dieser Stein zunächst einmal der ständige Begleiter von Pamela gewesen war.

      »Ich erinnere mich, mein Kind, es war sehr großzügig von Manuel. Schließlich hat er den Stein von seiner verstorbenen Mutter gehabt und ihn immer mit sich herumgetragen. So etwas zu verschenken, das zeugt von Größe. Und es sagt auch, was du Manuel bedeutest.«

      Pamela nahm den Stein in die Hand, spielte mit ihm.

      »Er hat ihn mir geschenkt, weil ich so traurig war und er damit nicht umgehen konnte. Er wollte mich trösten.«

      »Das hat er doch.«

      Pamela nickte. »Mittlerweile fühle ich mich aber nicht mehr gut damit. Für Manuel ist der Stein von sehr großer Bedeutung. Für mich ist er das nicht. Auch wenn er schön ist, ist es doch bloß ein Stein. Und deswegen dachte ich …, nun, ich habe mir überlegt …, ich meine …«

      Inge unterbrach ihre Tochter.

      »Pamela, worauf willst du hinaus?«

      Pamela atmete tief durch, dann erzählte sie ihrer Mutter, dass sie daran gedacht hatte, Manuel den Stein, der ein Erinnerungsstück an seine Mutter war und ihm sehr viel bedeutete, zurückzugeben.

      »Mami, ich fühle mich nicht besser und auch überhaupt nicht schlechter, ob nun mit oder ohne Stein. Manuel wohnt nicht mehr hier. Er wird niemals mehr zurückkommen. Die Omi sagt, dass alles seine Zeit hat, dass ich Manuel in schöner Erinnerung in meinem Herzen behalten soll, dass mir das niemand nehmen kann, was wir als wunderschöne und gemeinsame Kindheit hatten.

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