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wenn das Restaurant überfüllt gewesen war. Das alles war keine Entschuldigung, Zeit für ein Gespräch wäre immer da gewesen. Sie hatte es sich einfach gemacht, weil das Leben mit dem verständnisvollen Daniel so herrlich einfach gewesen war.

      Ein Satz fiel ihr ein, über den sie immer gelächelt hatte, jetzt bewahrheitete er sich für sie. »Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht.«

      Wäre er ihr als Warnung bloß früher schon mal eingefallen. Dann hätte sie die Reißleine ziehen können. Sie hatte Daniel und seine große Liebe zu ihr als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Sie hatte das Leben mit ihm genossen, und er war immer für sie da gewesen.

      Nein!

      Oh nein!

      Sie durfte nicht mehr darüber nachdenken, nicht über diese egoistische Frau, die sie an seiner Seite, neben ihm, gewesen war.

      Sie hatte ihr Glück mit Füßen getreten. Sie hatte ihn verloren, dabei liebte sie ihn doch!

      Wie gern hätte sie jetzt geweint, doch die Tränen der Erlösung wollten einfach nicht kommen.

      Der ›Seeblick‹ war in einer Schieflage gewesen, den hatte sie auf die Spur gebracht, der florierte immer besser. Doch ihre Liebe, das Einzige, was zählte, hatte sie gegen die Wand gefahren, mit Krach und Getöse, und in ihr war nicht eine einzige Alarmglocke angegangen, die sie gewarnt hätte.

      Daniel …

      Er hatte mit ihr auf eine gemeinsame Lebensreise gehen wollen, und dafür hatte er alles getan.

      Sie musste mit den Gedanken aufhören, die sich immer wiederholten und die letztlich in Schuldgefühlen endeten, die sie sich machte.

      Sie versuchte erneut, ihn zu erreichen, und wieder kam nur die Ansage. Sie wollte es jetzt noch nicht wahrhaben, weil das ihr ganzes Elend nur noch vergrößern würde. Doch ganz tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie von Daniel nichts mehr hören würde.

      Er war plötzlich und still in ihrem Leben aufgetaucht, und ebenso plötzlich und still war er wieder gegangen.

      Sie griff erneut nach dem Brief, las ihn wieder und immer wieder, und irgendwann verschleierten Tränen ihren Blick.

      Der Platz an ihrer Seite würde fortan leer bleiben, er würde sie nicht mehr umarmen, sie würde niemals mehr seine Liebe, seine Nähe, seine Küsse spüren. Sie würden nie mehr gemeinsam miteinander lachen …

      Es tat so unendlich weh.

      Vielleicht hätte sie heute noch das Ruder herumreißen können. Er hatte dringend mit ihr sprechen wollen, doch alles andere war ihr wichtiger gewesen.

      Sie hatte ihre Liebe verloren …

      Jetzt wurde ihr Körper vor Tränen geschüttelt, doch das brachte keine Erleichterung, im Gegenteil, es drückte sie immer tiefer und nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen.

      *

      Die Auerbach-Kinder hatten schon immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander, bei Ricky und Jörg war es enger, weil sie altersmäßig besser zueinanderpassten, und ebenso verhielt es sich bei den Jüngeren, Hannes und Pamela.

      Und so war es auch überhaupt kein Wunder, dass Ricky in seinen schweren Stunden an Jörgs Seite sein wollte. Mit ihrer eigenen süßen Kinderschar war sie gefordert, und da gab es eigentlich kaum Gelegenheiten, ungestört miteinander zu sprechen. So war Ricky in den Sonnenwinkel gekommen, die älteren Kinder waren in der Schule oder Kita, und die kleine Teresa hatte sie bei Oma Holper geparkt, einer hilfreichen Nachbarin, die die Kinder über alles liebte und immer für sie da war. Natürlich waren Inge und Großmutter Teresa sehr enttäuscht gewesen, aber Ricky wollte ungestört mit ihrem Bruder reden. Das respektierte auch die Familie, alle zogen sich zurück, Ricky und Jörg waren allein.

      Ricky kam auch sofort zur Sache.

      »Jörg, ich habe lange mit Charlotte telefoniert, die ist fix und fertig, und sie leidet so sehr unter eurer Trennung. Ich will mich wirklich nicht einmischen, es geht mich nichts an. Aber du bist mein Bruder, den ich über alles liebe, und Charlotte mag ich sehr gern. Sie ist eine wunderbare Frau. Ihr liebt euch, das kann doch nicht einfach zu Ende sein. Gibt es da wirklich kein Zurück, keinen Weg, der euch wieder miteinander verbindet?«

      Jörg hatte eine heftige Erwiderung auf der Zunge, die er aber dann unterdrückte. Ricky war ein warmherziger Mensch, und sie meinte es wirklich gut. Das, was sie da gesagt hatte, war nicht besserwisserisch, sie wollte helfen.

      Er ließ sich Zeit mit der Antwort.

      »Ricky, was glaubst du wohl, wie mir zumute ist? Ich liebe Charlotte. Wir passen zusammen wie Pott und Deckel, doch hier geht es nicht um uns. Es geht um Sven, ihren Sohn. Das ist ein ganz großartiger Junge, und wir verstehen uns blendend. Das Problem ist, dass Sven in mir so etwas wie einen Ersatzvater sieht, was nicht einmal unverständlich ist. Schließlich hat sich sein leiblicher Vater beizeiten aus dem Staub gemacht und ist verschwunden. Ricky, der Junge erwartet etwas von mir, was ich ihm nicht geben kann. Bei jeder Zusammenkunft werde ich an meine Kinder erinnert, und es zerreißt mich beinahe, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Die Trennung von Stella und den Kindern ist noch zu frisch. Über Stella bin ich längst hinweg, Charlotte passt viel besser zu mir, in jeder Hinsicht, aber die Kinder, die fehlen mir so sehr … Vielleicht hätten Charlotte und ich uns später kennenlernen müssen, wenn Zeit vergangen wäre, viel mehr Zeit. Dann wäre ich ein wenig über alles hinweg. Aber jetzt … Ricky, es geht einfach nicht. Ich kann, wie gesagt, für Sven nicht das sein, was er erwartet, andererseits liebt Charlotte ihren Jungen über alles, sie versucht, so viel Zeit wie nur möglich mit ihm zu verbringen. Und das bedeutet, dass ich Charlotte nicht allein haben kann, dass Sven der wichtigste Teil ihres Lebens ist. Ich kann das so gut verstehen. Ricky, so traurig es ist, wenn man ein verantwortungsbewusster Mensch ist, dann muss man halt manchmal die Reißleine ziehen, auch wenn es einem sehr ans Herz geht.«

      Nach diesen Worten war es eine Weile still zwischen den Geschwistern.

      Jörg war anzusehen, dass er an seine verlorene Liebe dachte, und Ricky war voller Mitleid, mit ihrem Bruder, aber auch mit Charlotte, die sie wirklich sehr gern mochte.

      Irgendwann begann Ricky zu sprechen.

      »Weißt du, Jörg, ich will nicht darüber nachdenken, was Stella da angerichtet hat. Aus reinem Egoismus, nur um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Du warst immer viel zu großzügig, du hättest nicht zulassen dürfen, dass sie das ganze Erbe von Tante Finchen für sich allein behält. Ihr habt in einer Gütergemeinschaft gelebt, da wird alles geteilt.«

      Sofort winkte Jörg ab.

      »Bitte, Ricky, fang damit jetzt nicht an. Ich bin froh, dass das endlich vom Tisch ist. Stella hat das Vermögen von Finchen geerbt, ich habe davon nicht einen Cent angerührt, und ich möchte auch nicht mehr darüber reden. Was war das für ein Gezanke, weil die Rückerts dachten, ihnen stünde das Erbe zu, nicht Stella. Ricky, du kannst so unendlich froh darüber sein, dass Fabian da total anders ist. Im Grunde genommen hätte ihm eine Hälfte des Vermögens zugestanden, Finchen war auch seine Tante. Aber er hat nicht einen Ton darüber verloren, er war nicht sauer, war zu Stella so nett wie immer. Dazu gehört schon Größe.«

      Ricky nickte heftig.

      »Ja, ich bin so unendlich stolz auf meinen Fabian, und ich liebe ihn über alles. Unsere Liebe wird immer größer, und wir sind doch ein Beispiel dafür, dass man für immer nicht nur zusammen, sondern auch sehr, sehr glücklich sein kann.«

      Er lächelte.

      »Ihr seid eine Ausnahme, bei euch war es Liebe auf den ersten Blick. So etwas Großartiges erlebt man nicht jeden Tag, und das erlebt auch nicht jeder. Fabian ist so ganz anders als Stella.«

      Sie seufzte.

      »Ach, weißt du, Jörg, Fabian kann seine Schwester auch nicht mehr verstehen, dabei waren sie doch immer ein Herz und eine Seele. Das ist vorbei. Er hat nichts für ihre Verantwortungslosigkeit übrig. Wenn man verheiratet ist und Kinder hat, dann trägt man eine große Verantwortung. Da schert man nicht einfach aus, weil man ein bisschen Spaß haben will.

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