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erfuhr.

      Julia zögerte einen Moment, dann sagte sie leise und hatte dabei Tränen in den Augen: »Daniel ist weg. Er hat mich verlassen.«

      Roberta war wirklich nicht auf den Mund gefallen, im Gegenteil, sie war sehr sprachgewandt, doch das verschlug ihr jetzt die Sprache.

      Was hatte Julia da gesagt?

      Sie musste sich verhört haben, Julia und Daniel, das Traumpaar …

      Julia wurde abgerufen, und das war Roberta ganz recht, denn so hatte sie erst einmal Gelegenheit, diese Neuigkeit zu verdauen.

      Daniel hatte Julia verlassen …

      Sie sah nach einer Weile doch nicht nur das Traumpaar, um dessen Liebe sie die beiden glühend beneidet hatte. Nein, sie erinnerte sich daran, in welch desolatem Zustand Daniel zu ihr in die Praxis gekommen war, sie erinnerte sich an seine Worte, aus denen man schließen konnte, dass die anfängliche gemeinsame Reise längst keine mehr war, weil einer ausgestiegen war.

      Aber sie liebten sich doch, da ging man nicht einfach.

      Was war geschehen?

      Roberta war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckte, als Julia wieder zu ihr kam.

      »Tut mir leid, Roberta«, entschuldigte sie sich. »Heute wollen sie alle was von mir.«

      Darauf ging Roberta nicht ein, sie erkundigte sich vielmehr: »Julia, was du da vorhin gesagt hast, das kann doch nicht sein. Daniel und du, ihr liebt euch doch, ihr hattet so viele wundervolle Pläne.«

      Julia blickte Roberta ganz traurig an.

      »Es ist meine Schuld, ich habe seine Liebe, all sein Bemühen als Selbstverständlichkeit hingenommen. Ich habe unserer Liebe keinen Raum gelassen …, ich habe nur an mich gedacht …, und weißt du, was besonders schlimm ist? Daniel hat einige Male versucht, mit mir zu reden, doch ich habe ihm überhaupt keine Möglichkeit dazu gegeben, ich habe ihn vertröstet. Da hat er die Konsequenzen gezogen und ist gegangen. Ich war so beschäftigt, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Als ich endlich nach oben kam, da war er weg …, er hat mir einen Brief hinterlassen, einen Brief ohne Vorwürfe, voller Liebe, aber es ist ein Abschiedsbrief. Es hat von seiner Seite viele Versuche gegeben, unsere Liebe zu retten, doch ich wollte all die Vorzeichen nicht sehen. Ich war mir meiner Sache einfach zu sicher und habe doch tatsächlich geglaubt, dass ich mein Ding machen kann und für die schönen Stunden dann ihn habe. Ach, Roberta, wie vermessen war ich doch. In der Liebe darf keiner auf der Strecke bleiben …, unsere gemeinsame Lebensreise hätte so schön sein können. Was eine gemeinsame Reise bedeutet, das beginne ich erst jetzt allmählich zu begreifen …, es geht nicht, dass einer zwischendurch einfach aussteigt, um sein Ding zu machen, und der andere bleibt zurück. Tja, Roberta, ich hatte das Glück in meinen Händen, doch ich konnte es nicht halten.«

      Roberta wusste nicht, was sie jetzt dazu sagen sollte. Sie war erschüttert. Und ehrlich gesagt, hatte sie Julia und Daniel immer als Vorbild gesehen, dem sie nacheifern wollte. Sie war unzufrieden gewesen, weil es bei ihr und Lars nicht so gewesen war.

      War ihre Erwartungshaltung zu groß gewesen? Wenn man so wollte, begann jede Beziehung auf einem weißen Blatt, das nach und nach mit Farbe gefüllt wurde.

      Das brauchte Zeit, in der man sich wirklich kennenlernte, in der das Vertrauen wuchs, in der die Liebe größer wurde und auch der Wunsch, nicht mehr ohne einander sein zu wollen. Alles direkt haben zu wollen, so funktionierte das Leben nicht, und es reichte auch nicht, Wünsche haben zu wollen, man musste sie auch aussprechen.

      Roberta schoss ein Satz durch den Kopf, und sie wunderte sich sehr, dass es gerade jetzt geschah. Vermutlich lag es daran, dass sie wirklich aufgewühlt war – ›Wenn du wirklich Rosen gesät hast, dann werden sie blühen.‹

      Waren es bei Julia und Daniel mehr Worte gewesen als Taten? Und wie sah es bei ihr und Lars aus?

      In Robertas Kopf drehte sich ein Gedankenkarussell. Sie war froh, dass Julia abgerufen wurde, ehe sie viel zu deren Geschichte sagen konnte. Für manches gab es auch keine Worte.

      Sie musste jetzt hier raus, so gern sie sonst auch im ›Seeblick‹ war, heute engte sie es ein, und Roberta fand ganz unglaublich, wie souverän Julia mit allem umging. Sie war Profi durch und durch, ließ sich nichts anmerken. Roberta war sich sicher, dass sie das nicht könnte.

      Sie verließ beizeiten das Restaurant, und sie konnte sich von Julia nur flüchtig verabschieden, weil die von einem Gast, der ein großes Familienfest plante, aufgehalten wurde. Und das war gut so.

      Roberta trat ins Freie, mittlerweile machte sich Dunkelheit überall breit. Am nachtblauen Himmel zeigten sich die ersten Sterne, die irgendwo, sie wusste nicht einmal, wo er sich derzeit aufhielt, auch für Lars schienen.

      Ob er in diesem Augenblick ebenfalls an sie dachte?

      Große Sehnsucht nach ihm machte sich breit. All ihre Bedenken waren wie ausgewischt, in ihr gab es nur noch dieses unglaubliche Gefühl, das man Liebe nannte. Eine Liebe, an der sie vorübergehend gezweifelt hatte, die im Begriff gewesen war, sich davonzuschleichen.

      Nein!

      Ihr und Lars durfte nicht das passieren, was mit Julia und Daniel geschehen war.

      Was war mit ihnen geschehen?

      Wieso war es zu den Missverständnissen eigentlich gekommen?

      Auch wenn es bitter war, sie kannte die Antwort. Es war einzig und allein ihre Schuld, denn Lars hatte von der ersten Sekunde an mit offenen Karten gespielt.

      In ihr waren Wünsche wach geworden nach noch mehr Zweisamkeit, nach einem Zusammenleben, dem begehrtem Ring am Finger, nach Kindern.

      Sie war von diesen Wünschen beherrscht gewesen, hatte ihn offensichtlich damit überfordert, anstatt ihm Zeit zu lassen und ihr auch. Sie stand unter keinem Zeitdruck, ihre biologische Uhr tickte längst noch nicht. Warum hatte sie die Zweisamkeit mit ihm nicht einfach nur genossen?

      Jetzt, da der kleine Philip bei ihr im Doktorhaus war, merkte sie, welche Herausforderung das war und auch welche Zeit es kostete. Dabei hatte sie Alma zu ihrer Unterstützung da.

      Warum wünschten Frauen sich eigentlich immer das, was sie gerade nicht hatten?

      Warum waren sie hingerissen beim Anblick eines Brautpaares und wünschten sich nichts sehnlicher, als ebenfalls eine Braut in Weiß zu sein?

      Und da machte es wirklich keinen Unterschied, ob es ein unbedarftes junges Mädchen war oder eine gestandene Frau mit mehreren Facharztausbildungen.

      Verheiratet zu sein, das war wirklich nicht alles. Die Liebe allein zählte, und da hatte sie sich bei Lars nicht zu beklagen gehabt. Es war so unendlich viel, was sie von ihm bekommen hatte, und dennoch war sie wie verrückt gewesen nach dem kleinen Bisschen mehr, das er ihr nicht geben konnte, nicht geben wollte. Es spielte keine Rolle.

      Das Märchen vom Fischer und seiner Frau fiel ihr ein, in dem die Frau immer mehr haben wollte, bis sie schließlich alles verloren hatte.

      Robertas Herz krampfte sich zusammen.

      Was war bloß los mit ihr gewesen? Sie hatte ihn weggetrieben, weil er sich von ihren Wünschen überfordert gefühlt hatte.

      Warum hatte sie ihm keine Zeit gelassen?

      Es stürmte vieles auf sie ein, ihr wurde ganz schwindelig, doch eines wusste sie in diesem Augenblick. Sie wollte Lars nicht verlieren.

      Sie hatten diese Trennung auf Zeit vereinbart, doch das war Roberta in diesem Moment sehr gleichgültig. Noch ehe sie ihr Auto erreichte, holte sie ihr Handy aus der Tasche und schrieb ihm. Und es mussten auch überhaupt nicht viele Worte sein, es kam einzig und allein darauf an, dass es die richtigen waren: »Mein Liebster, ich liebe dich über alles, und ich möchte nicht, dass unsere Liebe verloren geht. Vergiss all meine törichten Wünsche. Nichts davon ist wichtig. Nichts außer dir, denn du bist mein Leben. Du fehlst mir.

      Für immer, deine Roberta.«

      Roberta überlegte nicht, sie

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