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…, ich befinde mich in einem schrecklichen Kreislauf, nachts kann ich nicht schlafen, tagsüber muss ich mich zusammenreißen, damit mir die Augen nicht zufallen.«

      Das hörte sich nicht gut an.

      Roberta hielt zwar nicht von den allgemein in den Arztpraxen üblichen Blutdruckmessungen, weil die keine klare Aussagen machten. Die meisten Patienten mussten einen Arzt nur sehen, und schon schoss der Blutdruck in die Höhe. Roberta ließ sich von den Patienten wenigstens einen Monat lag morgens, mittags und abends die Blutdruckwerte aufschreiben. Das reichte ihr, um sich ein Bild zu machen. Jeder Arzt hatte eine andere Vorgehensweise, sie hatte mit ihrer Methode die besten Erfahrungen gemacht.

      Sie entschloss sich, Daniel nicht nur abzuhören, sondern auch seinen Blutdruck zu messen.

      Er war ein cooler Typ, der sich durch einen Arzt oder eine Ärztin ganz gewiss nicht einschüchtern ließ. Sein systolischer Wert lag bei 190, sein diastolischer Wert bei 100, die Pulswerte waren bei 90.

      Roberta hielt sich nicht an die allgemein festgelegten Normwerte von 120/80, Puls 70.

      Doch diese Werte waren zu hoch. Weil ihr das Abhören seines Herzens nicht ausreichte, ließ sie ein EKG machen, was ihre Voruntersuchungen bestätigte, es gab Extrasystolen, die Herzrhythmusstörungen anzeigten.

      Daniel Sandvoss war ein ziemlich schlanker, durchtrainierter Mann, von dem sie wusste, dass er sich gesund und ausgewogen ernährte, der sich viel bewegte, sogar Marathon lief, der nicht rauchte, nicht trank, abgesehen von hier und da mal einem Glas Wein zum Essen.

      Roberta erkundigte sich, was los in seinem Leben sei, ob sich etwas verändert hatte.

      Es musste etwas geschehen sein. Er und Julia waren ein Liebespaar wie es im Buche stand, er hatte ihretwegen sein Leben aufgegeben, um mit ihr gemeinsam auf die Reise zu gehen. Sie hatte die beiden so sehr beneidet.

      Er zögerte kurz, dann erfuhr Roberta, dass doch nicht alles eitel Sonnenschein im ›Seeblick‹ war, dass er und Julia sich zwar liebten, doch dass sie immer mehr auseinanderdrifteten.

      »Ich bin nicht leichtfertig und blauäugig in das Leben mit Julia gegangen«, sagte er, »doch unsere Gemeinsamkeiten werden immer weniger, wir haben keine Zeit mehr, sie auszuleben. Julia ist immer in Aktion.«

      »Das mit dem Fest für das Tierheim, das ist schon eine ganz große Nummer«, versuchte Roberta die junge Wirtin zu entschuldigen. Sie hatte Julia sehr gern und bewunderte sie dafür, mit welchem Elan sie bei der Arbeit war. Sie hatte den ›Seeblick‹ zu einem florierenden Unternehmen gemacht, dabei hatte es anfangs wirklich danach ausgesehen, als würde sie das Ganze gegen die Wand fahren.

      Er blickte sie traurig an.

      »Es ist nicht nur das Fest«, sagte er leise, »wenn das vorbei ist, kommt die Vorbereitung auf den Stern, den sie unbedingt erkochen will. Als ich Julia kennenlernte, wusste ich, dass sie viel Ehrgeiz besitzt und viel Einsatzfreunde für ihren Beruf mitbringt. Sie hätte sich sonst für ihren früheren Chef nicht den Stern erkochen können, sie hat die gesamte männliche Konkurrenz hinter sich gelassen …, seit ihr der ›Seeblick‹ gehört, hat sie sich verändert, sie ist ein Workaholic, sie ist mit ihrer Arbeit verheiratet …, und ich laufe nur so nebenher.«

      Diese Worte machten Roberta betroffen, vermutlich in erster Linie, weil sie in Julia und Daniel das ideale Liebespaar gesehen hatte, das auch für sie und ihre Beziehung der Maßstab gewesen war.

      An diesem Beispiel hatte sie die Unzulänglichkeit ihrer eigenen Beziehung erkannt. Das hatte sie unzufrieden gemacht, sie hatte alles infrage gestellt.

      Vielleicht gab es ja im wahren Leben überhaupt keine perfekte Liebesbeziehung. Davon träumte man, doch die Realität sah anders aus.

      Roberta riss sich zusammen.

      Sie saß nicht hier, um über ihre Beziehung zu Lars nachzudenken, es ging letztlich auch nicht um Julia und deren Beziehung. Es ging um deren Lebenspartner, der zu ihr gekommen war, weil er gesundheitliche Probleme hatte. Sie war jetzt einzig und allein als Ärztin gefragt, nicht als psychologische Beraterin, auch wenn sie mit Julia, mittlerweile eigentlich auch mit Daniel, befreundet war.

      Roberta besprach mit ihrem Patienten dessen gesundheitliche Problem. Er bekam von ihr ein leichtes pflanzliches Mittel, das ihm beim Einschlafen und ihn ein wenig zur Ruhe kommen lassen würde. Ein Blutdruckmedikament bekam er noch nicht direkt von ihr, sondern sie besprach mit Daniel ein paar Verhaltensregeln, und sie wollte ihn in einer Woche wieder in ihrer Praxis sehen.

      Auch wenn es sie eigentlich nichts anging, riet sie ihm, sich mit Julia auszusprechen, ihr zu sagen, was für ihn in ihrer Beziehung nicht mehr rund lief. Das versprach er.

      Nachdem er gegangen war, brauchte Roberta erst einmal einen Augenblick für sich, ehe sie den nächsten Patienten in ihr Sprechzimmer rief.

      Julia und Daniel!

      Sie hatte die beiden wirklich glühend beneidet, und eigentlich war es deren Vorbild, was sie in ihrer Beziehung zu ihrem Lars so unzufrieden gemacht hatte.

      Eine gemeinsame Reise …

      Um die mit Julia antreten zu können, hatte Daniel sein ganzes bisheriges Leben umgekrempelt, er hatte alles aufgegeben, war zu ihr gezogen.

      Vielleicht hatte es tatsächlich in den anfänglichen Werbewochen so etwas wie einen Reiseantritt gegeben. Wie es jetzt schien, trafen sich die beiden allenfalls hier und da mal auf den Bahnhöfen.

      Lars hatte ihr nie etwas vorgemacht. Sie hatte von Anfang an gewusst, worauf sie sich einließ. Und für ihn hätte es auch ewig so weitergehen können. Sie hatte mehr von ihm erwartet, und das hatte den Riss in ihre Beziehung gebracht. Ihre Erwartungshaltung war für ihn zu groß geworden. Hatte er sich deswegen zurückgezogen? War er deswegen mehr unterwegs, als er vermutlich sein müsste?

      Es gab keine Liebe ohne Probleme, und es mussten beide an einem Strang ziehen und sich darüber einig sein, wie ihr gemeinsames Leben verlaufen sollte. Beide. Keiner der Partner durfte bevorzugt, keiner benachteiligt werden.

      Alles auf einen Nenner zu bringen, das war ein ganz schönes Stück harte Arbeit.

      Sie würde ihre Beziehung zu Lars überdenken, und Julia und Daniel konnte man nur wünschen, dass sie wieder einen Weg zueinanderfinden würden.

      Sie atmete tief durch, dann bat sie Ursel Hellenbrink, ihr den nächsten Patienten zu schicken.

      *

      Zu hohe Blutdruckwerte …

      Herzrhythmusstörungen …

      Das konnte auch einen coolen Journalisten wie Daniel Sandvoss aus der Spur bringen.

      Er hatte es immer verdrängt, doch jetzt hatte er keine andere Wahl mehr. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen.

      Wo war die Euphorie ihres Anfanges geblieben?

      Er hatte sich nichts vorgemacht. Er hatte wirklich geglaubt, dass man aus Liebe, aus dem Wunsch nach Zweisamkeit, sein Leben verändern konnte.

      Wäre mit Julia alles so, wie es anfangs gewesen war, hätte er auch über die berufliche Unterforderung hinwegsehen können. Man konnte nicht alles haben. Irgendwo musste man zurückstecken, und er hatte ja in der Hinterhand auch noch das Buch gehabt, das er schreiben wollte.

      Mittlerweile hatte er die bittere Erfahrung machen müssen, dass das Schreiben Kreativität bedeutete, dazu musste man den Kopf frei haben. Das war etwas anderes, als irgendwo eine Wand zu streichen, Nägel in die Wand zu klopfen, Steine zu mauern. Gegen all diese Arbeiten war nichts einzuwenden, die waren höchst ehrenwert. Doch die konnte man auch verrichten, wenn man nicht so gut drauf war, das erforderte handwerkliches Geschick.

      Was war nur aus all den Träumen geworden?

      Er musste mit Julia reden.

      Die blickte ganz erstaunt, als sie Daniel bemerkte.

      »Musst du nicht in der Redaktion sein, Daniel?«, erkundigte sie sich.

      »Ich habe mir frei

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