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beschnitten werden. Überaktivität und Passivität sind gleich große Gefahren in der Erziehungsarbeit. Es ist ein Weg zwischen zwei Abgründen, den der Erzieher gehen muß, und er ist vor Gott dafür verantwortlich, daß er weder nach rechts noch nach links abirrt. Und er kann ihn nur vorsichtig tastend gehen. Was ihn bei dieser gefahrvollen Aufgabe stärken muß, ist eben der Gedanke, der die Aufgabe so gefahrvoll macht: daß es Gottes Werk ist, an dem er mitzuarbeiten hat. Er ist dafür verantwortlich, daß er das Seine tut. Aber wenn er das Seine tut, dann darf er auch darauf vertrauen, daß seine Unzulänglichkeit nichts verderben wird, und daß das, was er selbst nicht vollbringen kann, auf andere Weise geschieht.

      Wenn er davon durchdrungen ist, daß Erziehung letzten Endes Gottes Sache ist, so wird er schließlich darauf hinarbeiten, diesen Glauben auch im Kinde zu wecken. Nur so ist die letzte Aufgabe aller Erziehungsarbeit, von der Erziehung zur Selbsterziehung überzuleiten, richtig zu lösen. Daß er in Gottes Hände gezeichnet ist und eine gottgegebene Bestimmung hat, dieser Glaube muß auch in dem jungen Menschen jene Verbindung von Verantwortung und Vertrauen hervorbringen, wie sie die rechte Einstellung des Erziehers ist. Verantwortung: sich zu dem zu bilden, was er werden soll. Vertrauen: daß er dieser Aufgabe nicht allein gegenübersteht, sondern erwarten darf, daß die Gnade vollenden wird, was über seine Kraft geht. Wenn in beiden, im Erzieher und im Zögling, dieser Glaube lebendig ist, dann ist erst die vollkommene objektive Grundlage für das richtige Verhältnis beider da: jenes reine und freudige, über alle menschliche Zuneigung erhabene Vertrauen, daß beide zusammen an einem Werk arbeiten, das nicht des einen oder des andern persönliche Angelegenheit, sondern Gottes Sache ist.

      B. Objektiver Zusammenhang von Menschentum und Erziehung

       Inhaltsverzeichnis

      Von hier aus eröffnet sich auch das Verständnis für den objektiven Zusammenhang zwischen Menschentum und Erziehung, die Seinsgrundlage für den Zusammenhang der Idee des Menschen und der pädagogischen Theorie und Praxis. Die Menschheit ist ein großes Ganzes: einer Wurzel entstammend, auf ein Ziel hingerichtet, in ein Schicksal verflochten. Eine solche Einheit bilden die Engel nicht. Sie stehen jeder für sich vor Gott. Aber auch die Exemplare einer Tierspecies sind nicht so verbunden. Es gibt hier Lebensgemeinschaften (Familien, Rudel), aber keine Zusammengehörigkeit über Raum und Zeit hinweg. Das hängt zusammen mit der Geistesnatur des Menschen: Sie ermöglicht gemeinsamen Vollzug von Akten; diese Gemeinschaftsakte können verschiedenen Typus haben; ein Typus ist der, bei dem die beteiligten Personen verschiedene Stellung im Akt haben; und dieser Akt ist der pädagogische Akt, der wesentlich Akt des Erziehers und des Zöglings ist und von beiden einen verschiedenen Anteil verlangt. Die Geistnatur macht auch gemeinsamen Besitz objektiver Geistesgüter möglich und Erschließung geistiger Güter durch eine Person für andere. Dieser objektive Besitz ist wesentlich für die Verbindung über Raum und Zeit hinweg. Bedingung der Möglichkeit für Erziehung ist ferner der Entwicklungscharakter der Menschen: daß sie nicht fertig ins Dasein treten wie die reinen Geister, andererseits in ihrer Entwicklung nicht festgelegt sind wie die Tiere, sondern einen Spielraum von Möglichkeiten vor sich haben und eine freie Mitwirkung bei der Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten; das macht Selbstgestaltung, aber auch Führung und Nachfolge möglich und nötig. Nötig, weil die Schicksalsgemeinschaft der Menschen eine solche ist, in der sie als Glied zu Glied zueinanderstehen, Funktionen füreinander haben und in wechselseitiger Verantwortung vor Gott stehen. Diese Funktionen bedeuten einmal eine natürlich-geistige Mittlerschaft, sie bedeuten aber auch Gnadenvermittlung je nach dem verschiedenen Verhältnis, in dem die Glieder zu ihrem Haupt Christus stehen. Der ewige Logos ist die Seinsgrundlage für die Einheit der Menschheit, die Erziehung sinnvoll und möglich macht. Wenn die Ideen der Menschen an ihm orientiert sind, dann sind sie eine zuverlässige Grundlage für Erziehungswissenschaft und Erziehungsarbeit.

      II. Anthropologie als Grundlage der Pädagogik

       Inhaltsverzeichnis

      I. Verschiedene Anthropologien und ihre pädagogische Bedeutung

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn die Idee des Menschen von entscheidender Bedeutung sowohl für den Aufbau der Erziehungswissenschaft als für die Erziehungsarbeit ist, so ist es dringendes Erfordernis für die Pädagogik, sich ihrer zu versichern. Sie baut in die Luft, wenn sie keine Antwort auf die Frage hat: »Was ist der Mensch?« Eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist die Aufgabe einer Lehre vom Menschen, einer Anthropologie. Was darunter zu verstehen ist, ist nicht eindeutig.

      1. Naturwissenschaftliche Anthropologie

      Bis vor einigen Jahren dachte man, wenn man das Wort hörte, an eine Naturwissenschaft, die sehr nahe mit der Zoologie verwandt ist und zugleich als Hilfswissenschaft der Medizin gepflegt wird: eine Wissenschaft, die den Menschen als Species erforscht so wie die Zoologie die Tierspecies. Die Forscher, die sie betreiben, stehen vielfach auf dem Boden der Entwicklungstheorie und nehmen den »homo sapiens« tatsächlich als eine Tierspecies, die bisher höchste Stufe in der Entwicklungsreihe. So wird untersucht, worin sich Bau und Funktionen des menschlichen Körpers vom tierischen Körper unterscheiden. Wird Seelisches mit einbezogen, so geschieht es nicht anders, als auch die Zoologie die seelische Eigenart der Tiere in ihre Beschreibung mit aufnimmt. So wird auf empirischem Wege, durch Beobachtung und Beschreibung, ein Bild des Menschen als solchen gewonnen. Dann geht es an die Unterschiede innerhalb dieser Einheit. Man untersucht die Vielheit der Menschen, die jetzt tatsächlich auf der Erde leben, stellt eine Reihe von morphologischen Typen fest und gelangt, indem man den Ursachen dieser Differenzierung nachgeht, zur Abgrenzung von Rassen, Stämmen usw.

      Die Aufsuchung der Ursachen leitet von der morphologischen zur geschichtlichen und entwicklungstheoretischen Betrachtung über: Man untersucht die Entwicklung des Einzelmenschen in ihrer Gesetzlichkeit – die Abfolge ihrer Stadien, ihre Bedingtheit durch Vererbung usw. Ferner sucht man durch Verfolgung von Spuren und Überresten festzustellen, seit welcher Zeit Menschen auf der Erde leben, welche Merkmale die Menschen verschiedener Zeiten kennzeichnen, sucht sie in eine Entwicklungsreihe zu bringen und die Gesetze zu ergründen, nach denen die Entwicklung vor sich geht.

      Ist diese morphologisch-beschreibende und kausal-erklärende Naturwissenschaft die Anthropologie, die wir als Grundlage der Erziehungswissenschaft suchen, hat sie überhaupt pädagogische Bedeutung und welche? Um die letzte Frage zuerst zu beantworten: Da Bildung und Erziehung den ganzen Menschen, Leib und Seele, erfassen soll, ist es für den Erzieher wichtig, Bau, Funktionen und Entwicklungsgesetze des menschlichen Körpers zu kennen, um zu wissen, was für seine naturgemäße Entwicklung förderlich und schädlich sein kann. Ebenso wie es wichtig ist, die allgemeinen Gesetze des menschlichen Seelenlebens zu kennen, um ihnen in der Erziehungsarbeit Rechnung zu tragen. Auch die Kenntnis der Menschenrassen, Völker etc. in ihrer typischen Eigenart ist pädagogisch bedeutsam: einmal, weil die einzelnen Menschen Exemplare solcher Typen sind und die Kenntnis der Typen darum als Hilfsmittel, um sie zu verstehen, in Betracht kommt; sodann, weil der Einzelne ja kein isoliertes Individuum ist, weil er als Glied solchen überpersönlichen Gebilden, wie es Volk und Rasse sind, angehört, und weil es Aufgabe des Erziehers ist, ihn nicht nur als Individuum, sondern auch als Glied des Ganzen heranzubilden. Von beiden Seiten her ergibt sich aber die Unzulänglichkeit einer solchen rein naturwissenschaftlich verfahrenden Anthropologie als Grundlage für Erziehungswissenschaft und Erziehungsarbeit.

      1.) Der Erzieher hat es mit menschlichen Individuen zu tun. Sofern sie Exemplare eines Typus sind, kann ihm die Kenntnis des Typus zum Verständnis des Individuums verhelfen. Aber Exemplar eines Typus sein heißt niemals: restlos aus dem Typus ableitbar und erklärbar sein. Denn Typen sind nicht mathematisch exakt faßbar, und ihre Exemplare entsprechen ihnen nicht wie Abdrucke einem Cliché, sondern verkörpern den Typus mehr oder weniger rein. Und auch

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