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im andern Individuen dargestellt werden, so bedeutet das keinen Unterschied der Wissenschaftlichkeit, da dieses Gebiet das eine, jenes das andere sachlich verlangt. Denn zum Menschen gehört Individualität, und man hat ihn nicht erfaßt, wenn man ihrer nicht habhaft geworden ist. Dieser Satz geht aber über das hinaus, was eine Beschreibung individuellen Menschentums sagen kann. Er gibt sich als Aussage über den »Menschen als solchen« und damit als Satz einer Wissenschaft, die sich mit höherem Recht Anthropologie nennen kann. Das konkrete Menschentum, wie es uns in der Lebenswirklichkeit entgegentritt und wie es uns Meister der Interpretationskunst darstellen, hat einen »Logos«, ein Gesetz des Aufbaus oder eine allgemein faßbare Seinsstruktur, die an dem konkreten Material zur Abhebung gebracht werden kann. Indem sie von der konkreten Lebenswirklichkeit und von geschichtlichen Gestalten ausgeht, faßt sie den Menschen als Geist und mit dem, was ihm als geistige Person wesentlich ist; alles Äußere aber, das in Betracht gezogen wird, ist Sprache des Geistes oder sinnvolles Sein, das zum Geist spricht. So kommen wir zu einer Anthropologie, die – im Unterschied zur Geschichte und den ihr verwandten Wissenschaften – eine allgemeine Geisteswissenschaft ist, Wissenschaft vom Menschen als geistiger Person, Teil einer umfassenden Geisteswissenschaft, die den Aufbau aller geistigen Gebilde – wie Gemeinschaft, Staat, Sprache, Recht usw. – zum Gegenstand hat. Diese Anthropologie ist von wesentlich anderem Charakter als die naturwissenschaftliche, von der wir ausgingen. Man wird sich nicht dabei beruhigen können, beide einfach nebeneinander zu stellen, sondern wird Klarheit darüber suchen müssen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen.

      Es ist aber zuvor noch eine andere Frage zu erwägen: Die naturwissenschaftliche Anthropologie versagte gegenüber der Individualität, und dafür haben wir in der geisteswissenschaftlichen eine Ergänzung gefunden, die für die Pädagogik bedeutungsvoll ist. Sie versagte noch in einem andern Punkte: Sie gab uns keinen Maßstab in die Hand, um zu entscheiden, welche Bedeutung im Erziehungswerk den überindividuellen Gebilden, wie Rasse und Menschheit, gebührt. Kann auch hierin die geisteswissenschaftliche Anthropologie oder vielleicht die allgemeine Geisteswissenschaft ergänzend eintreten? Es ist keine Aufgabe der empirischen und als solchen auf das Konkret- Individuelle gerichteten Geisteswissenschaft, die Rassen, Stämme, Völker auf ihre Eigenart hin vom Geistigen her zu fassen. Im Zusammenhang damit ist auch zu untersuchen, in welchem Verhältnis der einzelne Mensch zu den Gebilden steht, denen er angehört. Es ist nicht gesagt, daß sich dieses Verhältnis überall als ein geistiges fassen läßt. Wenn nicht nur äußere Merkmale Kennzeichen der Zugehörigkeit sind, wenn ein erlebter Zusammenhang das Glied an das Ganze bindet, dann kann von Gemeinschaft gesprochen werden und dann stößt man in der Regel auch auf eine wertende Einstellung der Individuen zu dem Ganzen, als dessen Glied sie sich wissen. Das Bewußtsein der Gliedschaft und die Wertantwort, die das Ganze und die Zugehörigkeit zu ihm findet, sind nicht bei allen Individuen und zu allen Zeiten die gleiche; verschiedene Individuen und ganze Menschengruppen, auch verschiedene Zeitalter räumen diesem oder jenem Gebilde eine Vorzugsstellung ein. Es ist z. B. für die heute junge Generation charakteristisch, daß die Bedeutung der Familie stark zurücktritt gegenüber der Jugendgemeinschaft (als Wunschbild für die Zukunft allerdings beginnt sie wieder eine große Rolle zu spielen), daß Volk, Nation und Rasse in viel höherer Geltung stehen als unmittelbar nach dem Krieg, wo die Menschheit als Einheit stärker im Blickpunkt stand. Wo solche Einstellungen herrschend sind, da ist es für den Erzieher schwer, sich ihrem Einfluß zu entziehen und sie nicht in seiner Arbeit richtunggebend werden zu lassen. Er muß aber doch prüfen, ob es nicht eine objektive Rangordnung unter diesen Gebilden gibt, die unabhängig von Zeitanschauungen in der Pädagogik berücksichtigt werden sollte. Eine empirische Geisteswissenschaft, die nur den tatsächlich vorliegenden Geistesgebilden und Geisteshaltungen nachgeht, kann darüber keinen Aufschluß geben. Anders steht es schon mit einer allgemeinen Geisteswissenschaft, die das geistige Sein als solches und die möglichen Formen geistiger Gebilde auf ihren allgemeinen Aufbau hin untersucht. Zu ihren Aufgaben gehört es zu erforschen, welchen sozialen Gebilden die menschliche Person ihrem Aufbau nach sich einordnen kann, ob es etwa solche gibt, denen sie notwendig und unaufhebbar angehört und welche das sind. Sie muß auch untersuchen, wieweit Dasein und Beschaffenheit jener Gebilde durch Beschaffenheit und Verhalten der Individuen bedingt sind. Mit dieser Frage hängt die der Verantwortung der Individuen für die sozialen Gebilde und damit deren pädagogische Bedeutsamkeit zusammen. Aber zu ermessen ist diese Verantwortung doch nur unter Berücksichtigung des Wertgesichtspunktes: Wenn man sich nicht nur darüber klar ist, daß und wie die Einzelperson am Aufbau der größeren Gebilde unvermeidlich mitwirkt und frei mitwirken kann, sondern auch, in welcher Weise sie es soll. Man pflegt die Frage des Wertes und des Sollens der Ethik zuzuweisen, und die Ethik gilt als eine philosophische Disziplin. Das, was ein Gegenstand wert ist, das ist er auf Grund dessen, was er ist. Die Wertrangordnung ist eine Ordnung des Seienden. Dann ist die Wertlehre, aus der erst die Normen des praktischen Verhaltens folgen, Teil einer allgemeinen Seinslehre oder Ontologie, in der wir die philosophische Grundlehre, die »erste Philosophie« zu sehen haben. Ein Teil dieser Ontologie ist aber auch die allgemeine Geisteswissenschaft, als deren Teilgebiet wir wiederum die allgemeine geisteswissenschaftliche Anthropologie erkannt haben. So wird also die Anthropologie, die wir als Grundlage der Pädagogik fordern, eine philosophische sein müssen, die im lebendigen Zusammenhang mit der gesamten philosophischen Problematik den Aufbau des Menschen und seine Eingliederung in die Seinsgebilde und Seinsgebiete untersucht, denen er angehört. Sie wird auch die Frage zu beantworten haben, warum verschiedene empirische Wissenschaften, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Anthropologie, mit ganz verschiedenen Methoden den Menschen erforschen. Sinn und Berechtigung dieses Verfahrens muß aus der Zugehörigkeit des Menschen zu den verschiedenen Seinsbereichen, die man mit den Namen »Natur« und »Geist« bezeichnet, verständlich werden.

      4. Theologische Anthropologie – christliche Metaphysik

      Damit sind wir aber noch nicht am Ende. Eine allgemeine Seinslehre darf sich nicht auf das geschaffene Sein beschränken, sondern muß den Unterschied von geschaffenem und ungeschaffenem Sein und das Verhältnis beider berücksichtigen. So wäre auch eine Anthropologie unvollständig und als Grundlage der Pädagogik nicht zureichend, die das Verhältnis des Menschen zu Gott nicht in Betracht zöge. Das wird zunächst geschehen müssen, soweit es mit philosophischen Mitteln, d. h. mit natürlicher Erkenntnis, möglich ist. Wir dürfen aber auch bei dieser Grenze nicht Halt machen. Wenn es für die Pädagogik darauf ankommt, den ganzen Menschen zu erfassen, so wird sie auf keine Quelle verzichten, aus der sie Aufschluß über ihn bekommen kann, und der gläubige Pädagoge wird gewiß nicht die offenbarte Wahrheit unberücksichtigt lassen. So bedarf die philosophische Anthropologie der Ergänzung durch eine theologische. Aus Philosophie und Theologie ist das Gebäude der christlichen Metaphysik errichtet, die ein Gesamtbild der realen Welt entwirft. Den imponierendsten Bau solcher Art haben wir im System des Hl. Thomas von Aquin vor uns. In diesem System nimmt die Anthropologie eine zentrale Stellung ein, wie der Mensch im Kosmos eine einzigartige Stellung einnimmt: Er ist ein Mikrokosmos, der alle Reiche der geschaffenen Welt in sich vereinigt. Darum laufen in der Anthropologie alle metaphysischen, philosophischen, theologischen Fragen zusammen, und von hier aus führen die Wege nach allen Seiten.

      II. Wahl der Methode

       Inhaltsverzeichnis

      1. Entscheidung zwischen philosophischer und theologischer, historischer und systematischer Methode

      Wir werden uns nun entscheiden müssen, welchen Weg wir einschlagen wollen, um eine Idee des Menschen zu gewinnen. Wenn zum Aufbau einer Metaphysik Philosophie und Theologie zusammenwirken, so ist doch ihr Verfahren ein prinzipiell verschiedenes, und es liegt nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern auch in dem der Metaphysik, daß beide ihre Wege so lange getrennt verfolgen, bis sie zusammenstoßen und die eine von sich aus nach der Ergänzung durch die andere verlangt. Thomas hat den Unterschied und die selbständige Berechtigung beider Wissenschaften in vollendeter Klarheit im Prolog seiner theologischen Summa entwickelt. Sie unterscheiden sich nach Gegenstand und Methode. Gegenstand der Theologie ist Gott; sie handelt von der Welt nur, sofern Gottes Eigenschaft als Schöpfer und Erlöser

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