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des Menschengeistes, zur Kultur, leisten könne. Daß die Erziehungsarbeit einen Kampf mit der »niederen Natur« bedeutet, weiß man wohl. Aber das Vertrauen auf die Güte der menschlichen Natur und die Kraft der Vernunft (das Erbe Rousseaus und des Rationalismus) ist so stark, daß an ihrem Sieg nicht gezweifelt wird. Es entspricht dem Intellektualismus dieser Philosophie, nur das in Betracht zu ziehen, was für den Intellekt faßbar ist. Auch von den irrationalen Restbeständen, die man gelten lassen muß (Empfindungen, Trieben usw.), kommt nur das in Frage, was ins Licht des Bewußtseins fällt. (Nur so ist das Entstehen jener Oberflächenpsychologie zu erklären, die eine bloße Kette von Bewußtseinsdaten zu ihrem Objekt hat.)

      2. Das tiefenpsychologische Bild und seine pädagogische Auswirkung

      Die Romantik entdeckte die Gewalten der Tiefe, die Abgründe des Menschendaseins. Aber gegenüber der stärkeren Zeitströmung vermochte sie nicht durchzudringen. Heute, wo man von andern Seiten her wieder auf ihre Ideen gestoßen ist, hat man sich auch auf diese Vorläufer wieder besonnen.

      Wenn der klare Spiegel des Bewußtseins oder auch des wohlgeordneten äußeren Lebens (sei es des privaten oder des öffentlichen) von merkwürdigen Wallungen getrübt wird, die sich aus den vorausgehenden Wellen des Oberflächenlebens nicht begreifen lassen, dann merkt man, daß man es eben mit einer bloßen Oberfläche zu tun hat, daß eine Tiefe darunter verborgen ist und daß in dieser Tiefe dunkle Gewalten am Werk sind. Vielen von uns sind sie zuerst eindringlich entgegengetreten in den großen russischen Romanen. Tolstoi und Dostojewski waren die Seelenkenner und Seelenkünder, die vor uns die Abgründe des Menschendaseins enthüllten. Andere sind durch die Tatsachen des Lebens darauf gestoßen worden: die rätselhaften Durchbrechungen des »normalen« Seelenlebens, vor die der Psychiater und vielleicht nicht weniger häufig der Seelsorger gestellt wird, haben den Blick auf die verborgenen Tiefen gelenkt. Die Psychoanalyse war ein erster großer Durchbruch von dieser Seite her. Die russische Literatur und die Psychoanalyse haben immer breitere Kreise von Intellektuellen, aber doch fast ausschließlich diese, erfaßt. Für alle Welt sichtbar aufgebrochen sind die Gewalten der Tiefe im Krieg und in den Nachkriegswirren. Vernunft, Humanität, Kultur enthüllten immer wieder aufs neue eine erschütternde Ohnmacht. So hat sich mehr und mehr ein anderes Menschenbild an die Stelle des humanistischen geschoben oder besser: andere Menschenbilder, denn es kann von einer Einheitlichkeit nicht die Rede sein. Einheitlich ist nur bei allen, deren Blick auf die Tiefen der Seele gelenkt wurde, daß sie diese Tiefen, die dem naiven Menschen verborgen bleiben, als das Wesentliche und Wirksame ansehen, das Oberflächenleben aber – die klar bewußten Gedanken, Gefühle, Willensregungen etc. – als Auswirkungen dessen, was in der Tiefe geschieht, darum zugleich als Zeichen, die für den Seelenanalytiker und -denker die Tiefen erschließen. In der Auffassung der Tiefen aber scheiden sich die Geister. Für den Begründer der Psychoanalyse und auch für große Gruppen, die – ursprünglich von ihm angeregt – doch in wichtigen Punkten heute gegensätzlich zu ihm stehen, sind die Gewalten der Tiefe, die als unüberwindliche Mächte das Leben bestimmen, die menschlichen Triebe. Es scheiden sich nun verschiedene Richtungen je nachdem, welche Triebe sie als die beherrschenden ansehen. Ferner danach, ob sie noch eine Einheit der Seele anerkennen, der sich die Triebe einordnen (wie es die Individualpsychologie schon in ihrem Namen zum Ausdruck bringt) oder ob ihnen das Seelenleben, das Oberflächenerleben wie das in der Tiefe, zu einem Chaos wird, das sich nicht mehr auf den Grundnenner der personalen Einheit bringen läßt. Im Vergleich zur idealistischen Auffassung wird an diesem neuen Menschenbild deutlich die Entthronung des Intellekts und des frei herrschenden Willens, das Entfallen der Einstellung auf ein objektives, der Erkenntnis zugängliches und für den Willen erreichbares Ziel. Es zerfällt auch die geistige Einheit der Menschheit und der objektive Sinn ihres Kulturschaffens. Ist bei solcher Auffassung des Menschen überhaupt noch ein pädagogisches Bemühen sinnvoll? Als Ziel bleibt im Grunde nur der Mensch, bei dem die Triebe »normal« funktionieren, als Aufgabe die Heilung oder Verhütung seelischer Störungen, als Mittel die Analyse des Oberflächenlebens, die Aufdeckung der wirksamen Triebe, die Anbahnung ihrer Befriedigung oder gesunden Abreaktion.

      Wir können Folgen dieser Auffassung in weitesten Kreisen von Eltern und Lehrern und auch bei der Jugend selbst beobachten, auch bei solchen, die nicht bewußt auf dem Boden einer psychoanalytischen oder ihr verwandten Anthropologie und Pädagogik stehen. Ich sehe eine erste Auswirkung in einer gegen früher enorm gesteigerten Bewertung der Triebe. Ihnen praktisch Rechnung zu tragen ist den jungen Menschen selbst und vielfach auch ihren Erziehern eine Selbstverständlichkeit geworden. Und »ihnen Rechnung tragen« bedeutet weitgehend: sie befriedigen und ihre Bekämpfung als eine sinnlose, ja schädliche Auflehnung gegen die Natur zurückweisen. Als eine zweite Auswirkung der Analyse sehe ich es an, daß bei Eltern und Erziehern die Aufgabe zu führen und zu bilden zurücktritt hinter dem Bemühen zu verstehen. Wenn aber als Mittel zum Verstehen die Psychoanalyse angewendet wird – und das geschieht heute weitgehend, und zwar nicht nur von seiten der Erzieher, sondern auch von der Jugend ihren Erziehern gegenüber –, dann besteht die große Gefahr, daß das lebendige Band von Seele zu Seele durchschnitten wird, das Voraussetzung für alle pädagogische Einwirkung und auch schon für alles echte Verstehen ist. (Darum ist die laienhaft geübte Psychoanalyse nicht nur eine pädagogische Gefahr, sondern eine Gefahr für das gesamte soziale Leben, eine ganz besondere auch in der Seelsorge).

      3. Das menschliche Dasein nach der Auffassung von Heideggers Existentialphilosophie

      Neben die psychoanalytische Auffassung des Menschen möchte ich eine andere stellen, die heute in den höchsten intellektuellen Kreisen wirksam ist. Sie rechnet auch mit dem Gegensatz von Oberfläche und Tiefe, aber ihre Auffassung der Tiefe und ihr Weg zur Tiefe sind wesentlich anders. Ich denke an die Metaphysik unserer Tage, und zwar an ihre eindrucksvollste Form, wie sie uns in den Schriften Martin Heideggers entgegentritt. Die große Frage der Metaphysik ist die Frage nach dem Sein. Sie stellt sich uns von unserm eigenen Menschendasein her und ist – nach Heideggers Überzeugung – auch nur von hier aus lösbar. Der Mensch in seinem alltäglichen Dasein ist ganz erfüllt von allerhand praktischen Sorgen und Bestrebungen. Er lebt in der Welt und sucht sich seinen Platz in der Welt zu sichern, bewegt sich in den traditionellen Formen des sozialen Lebens, steht in Beziehungen zu andern, spricht, denkt, fühlt, wie »man« spricht, denkt, fühlt usw. Aber diese ganze, festgefügte Welt, in der er sich vorfindet und in der er »mitmacht«, sein ganzes geschäftiges Tun ist nur ein großer Apparat, der ihm die wesentlichen Fragen übertäuben soll, die mit seinem Dasein unlöslich verknüpft sind, die Fragen: »Was bin ich?« und »Was ist das Sein?« Und doch gelingt es ihm nicht, sich dauernd diesen Fragen zu entziehen. Es lebt unter allen Sorgen um dies und das die Sorge um sein eigenes Sein und etwas, was ihn unablässig daran mahnt und doch immer wieder treibt, sich davor in die Welt zu flüchten: Das ist die Angst, die unaufhebbar mit seinem Dasein selbst verknüpft ist. In ihr kündigt sich ihm an, was sein Dasein ist, und wenn er sich der Frage stellt, dann wird ihm auch die Antwort, denn das Sein ist offenbar für den, der sich entschließt, es sehen zu wollen. Die Tatsache, vor der der Mensch ausbiegen will, ist, daß er ins Dasein »geworfen« ist, um sein Leben zu leben. Zu seiner Existenz gehören Möglichkeiten, die er frei ergreifen, zwischen denen er sich entscheiden soll. Das Äußerste aber, dem er entgegengeht und das unaufhebbar zum Menschendasein gehört, ist der Tod: Sein Leben ist mit dem Tode gezeichnet; aus dem Nichts kommt er und unaufhaltsam geht er dem Nichts entgegen. Wer in der Wahrheit leben will, muß es ertragen, dem Nichts ins Auge zu sehen, ohne sich davor in Selbstvergessenheit und trügerische Formen der Sicherung zu flüchten. Das Tiefenleben Heideggers ist ein geistiges Leben. Der Mensch ist frei, sofern er sich zum wahren Sein entschließen kann und soll. Aber es ist ihm kein anderes Ziel gesteckt, als er selbst zu sein und in der Nichtigkeit seines Seins auszuharren. – Heidegger hat keine pädagogische Theorie aufgebaut, und es kann nicht unsere Aufgabe sein nachzuprüfen, wie weit seine Metaphysik sich in seiner pädagogischen Praxis auswirkt oder wie weit darin eine heilsame Inkonsequenz waltet. Wir müssen nur erwägen, welche pädagogischen Konsequenzen in der Richtung dieser Idee des Menschen liegen. Wenn der Mensch zum wahren Sein aufgerufen ist (man wird sich allerdings fragen müssen, welchen Sinn ein solcher Aufruf einem Dasein gegenüber haben kann, das aus dem Nichts ins Nichts geht) – dann wird es Aufgabe des Erziehers sein, sich der Jugend gegenüber zum Sachwalter dieses Aufrufs zu machen,

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