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aus seinem Schülerkreis in Freiburg promoviert, ich als erste sollte nun einen guten Eindruck machen. Er hatte schon bei mehreren Prüfungen mitgewirkt, da Philosophie öfters als Nebenfach gewählt wurde. Als wir einmal abends bei ihm eingeladen waren, erzählte er von seinen Erfahrungen. Die Anforderungen seien sehr hoch. »Cum laude« sei schon ein sehr gutes Prädikat; »magna cum laude« werde selten gegeben, »summa cum laude« nur für Habilitationskandidaten. »Dann will ich mich mal auf ›cum laude‹ einstellen«, sagte ich scherzend. »Seien Sie froh, wenn Sie überhaupt durchkommen«, war die Antwort. Das war ein kleiner Dämpfer für meinen Übermut.

      Übrigens seufzte der Meister sehr unter dem Zwang, meine Arbeit durchzustudieren. Fräulein Ortmann kam einmal über Sonntag von Straßburg zu uns herüber. Wir waren nachmittags mit ihr bei Husserls. Der Meister erschien zum Kaffee auf der Veranda, zog sich aber bald zurück. »Ich kann Ihnen gar keine Zeit widmen«, sagte er zu Fräulein Ortmann. »Bedanken Sie sich bei Fräulein Stein, ich brauche alle Zeit für ihre Arbeit.« Mich rief er zu sich in sein Studierzimmer; ich sollte ihm etwas erklären, was er nicht ganz verstanden hatte. Dabei sprachen wir etwas über das Ganze. »Es ist ja nur eine Schülerarbeit«, sagte ich. »Nein, durchaus nicht«, antwortete er entschieden, »ich finde sie sogar sehr selbständig.« Es war das erste Urteil, das ich zu hören bekam, und klang sehr verheißungsvoll.

      Einmal waren wir abends in größerem Kreis bei Husserls eingeladen. Wenn ich nicht irre, war es an diesem Abend, daß ich Martin Heidegger kennenlernte. Er hatte sich noch bei Rickert habilitiert, Husserl hatte ihn von seinem Vorgänger übernommen. Seine Antrittsvorlesung hielt er erst, als Husserl schon in Freiburg war. Sie hatte unverkennbare Spitzen gegen die Phänomenologie. Seine spätere Frau, damals noch Fräulein Petri, war im Seminar bei Husserl und opponierte lebhaft. Er hatte mir selbst davon erzählt: »Wenn ein Weibsbild so widerspenstig ist, dann steckt ein Mannsbild dahinter.« An diesem Abend gefiel mir Heidegger sehr gut. Er war still und in sich gekehrt, solange nicht von Philosophie gesprochen wurde. Sobald aber eine philosophische Frage auftauchte, war er voller Leben.

      Als wir wieder in Günterstal waren, sprachen wir noch im Bett über den Abend. (Wenn wir spät nach Hause kamen, legte sich die junge Wirtin in mein kleines Zimmerchen nach der Straße hin und überließ uns ihr großes Schlafzimmer mit zwei Betten). Erika hatte lange mit dem Meister allein gesprochen. Er hatte geklagt, daß er mit seiner Arbeit nicht vorankomme. Er hatte den II.Teil seiner »Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie« im Zusammenhang mit dem I. 1912 entworfen. Nachdem der erste Teil1913 erschienen war, drängte man ihn, erst die Neuauflage der »Logischen Untersuchungen« zu besorgen, da die alte Auflage vergriffen war. Dann kam der Ausbruch des Krieges, der Tod seines Sohnes Wolfgang, die Übersiedlung nach Freiburg. Das alles hatte ihn aus den Gedankengängen seines Werkes herausgerissen, und er konnte sich nicht wieder hineinfinden. Den Entwurf konnte er nicht mehr entziffern, denn er hatte ihn in winzigen Bleistiftzeichen stenographiert; dafür langte seine Sehkraft nicht mehr aus; er klagte schon lange über die Schwäche seiner Augen, hätte gern eine Staroperation vornehmen lassen, das Übel wurde aber nie operationsreif. Jetzt wußte er nur eine Rettung: Er mußte einen Assistenten haben. Wir lagen in unsern Betten und zerbrachen uns die Köpfe: Wo sollten wir einen Assistenten für den Meister hernehmen, da alle alten Schüler im Felde standen? Am ehesten hätte sich wohl Fritz Frankfurther dafür geeignet. Aber er war ja als einer der ersten gefallen. »Wenn ich dächte, daß er mich brauchen könnte«, sagte ich schließlich, »würde ich kommen.« Erika war ganz erstaunt. »Wäre das möglich? Ich könnte es nicht. Ich muß jetzt in den Schuldienst gehen und etwas verdienen.« Ich hatte auch kein Vermögen, von dem ich leben konnte. Aber Rechnen war nicht meine Sache. Ich würde es einfach tun. Nur schien es mir gar nicht denkbar, daß ich in Betracht kommen könnte. Ich war doch so ein kleines Ding und Husserl der erste unter den lebenden Philosophen – nach meiner Überzeugung einer von den ganz Großen, die ihre Zeit überleben und die Geschichte bestimmen. Aber ich wußte mir Rat. »Ich will ihn selbst fragen. Ich kann noch warten bis nach der Prüfung. Wenn er die Arbeit fertiggelesen hat, wird er es ja auch besser beurteilen können.« Damit beschlossen wir unsere Beratung und sagten uns Gute Nacht.

      Als wir am nächsten Tage um 6Uhr nachmittags mit Frau Husserl vor dem Portal der Universität warteten und Husserl die Stufen herabkam, sagte er zu seiner Frau: »Geh mit Fräulein Gothe voraus, ich habe mit Fräulein Stein zu sprechen.« So setzten wir uns zwei und zwei in Bewegung. Ich wartete gespannt, was nun kommen würde. Schon vor einigen Tagen hatte der Meister gescherzt: »Ihre Arbeit gefällt mir immer besser. Ich muß mich in acht nehmen, daß es nicht gar zu hoch hinaufgeht.« Jetzt ging es zunächst im selben Ton fort: »Ich bin nun schon ziemlich weit in Ihrer Arbeit. Sie sind ja ein sehr begabtes kleines Mädchen.« Dann wurde er etwas ernsthafter. »Ich habe nur Bedenken, ob diese Arbeit neben den »Ideen« im Jahrbuch möglich sein wird. Ich habe den Eindruck, daß Sie manches aus dem II.Teil der Ideen vorweggenommen haben.« Es gab mir innerlich einen Ruck. Da war ja ein Punkt, wo ich mit meiner Frage einhaken konnte. Nun schnell die Gelegenheit beim Schopf packen. »Wenn das wirklich so ist, Herr Professor – ich habe sowieso noch etwas fragen wollen. Fräulein Gothe sagte mir, Sie müßten einen Assistenten haben. Meinen Sie, daß ich Ihnen helfen könnte?« Wir waren gerade im Begriff, über die Dreisam zu gehen. Der Meister blieb mitten auf der Friedrichsbrücke stehen und rief in freudigster Überraschung: »Wollen Sie zu mir kommen? Ja, mit Ihnen möchte ich arbeiten!« Ich weiß nicht, wer von uns beiden glücklicher war. Wir waren wie ein junges Paar im Augenblick der Verlobung. In der Lorettostraße standen Frau Husserl und Erika und sahen uns entgegen. Husserl sagte zu seiner Frau: »Denke dir, Fräulein Stein will zu mir als Assistentin kommen.« Erika sah mich an. Wir brauchten keine Worte zur Verständigung. In ihren tiefliegenden, dunklen Augen leuchtete die innigste Freude auf. Als wir abends wieder in unsern Betten lagen, sagte sie: »Gute Nacht, Assistentin!«

      Wenn wir jetzt wieder mit Husserls zusammentrafen, wurden eifrig Zukunftspläne geschmiedet. Ich mußte noch für zwei Monate an die Schule in Breslau zurückkehren. Es war ja im Augenblick kein Ersatz für mich da, und im Herbst hatte ich im Abiturium Latein zu prüfen. Aber vom 1.Oktober ab wollte ich mich frei machen. Husserls waren selbst erstaunt, daß ich ohne jedes Bedenken den Schuldienst an den Nagel hängen wollte. Frau Husserl zog daraus den Schluß, daß ich wohl sehr vermögend sein müsse. Jedenfalls wurde mir einige Jahre später wiedererzählt, daß sie mich dafür ausgegeben habe. Es wurde ernstlich über die Gehaltsfrage gesprochen. Husserl sagte, 100 M im Monat könne er mir geben. Damit würde ich freilich nicht durchkommen, aber es wäre doch eine große Erleichterung; meine Angehörigen würden dann lieber ihre Zustimmung geben. Ich sagte zu allem Ja. Solche Dinge waren mir peinlich, ich wollte möglichst schnell davon loskommen.

      Die Prüfung stand jetzt gar nicht mehr im Vordergrunde. Husserl sagte lachend: »Wir können sprechen, wovon Sie wollen. Sogar von Einfühlung. (Das war der Gegenstand meiner Doktorarbeit.) Nur das Wort müssen wir vermeiden.« Ich schärfte ihm ein: »Prüfen Sie nur nicht so lange Geschichte der Philosophie wie im Staatsexamen.« Er meinte, dann würde es wohl gerade nötig sein.

      Endlich kam der große Tag, der 3.August 1916. Am Vorabend fragte Erika im Bett, wie mir zumute sei. Ich antwortete: »In 24 Stunden ist es auf alle Fälle vorbei.« Sie war sehr erstaunt über solchen Fatalismus. Natürlich begleitete sie mich auf das Schlachtfeld. Vorher gingen wir zur Stärkung in Birlingers Kaffeestuben; dort war ich besonders gern. Es waren mehrere reizend eingerichtete Biedermeierzimmer. Wir fanden auch einen Tisch in dem frei, das mir am besten gefiel: in Grün und Schwarz gehalten. Ich bestellte Eiskaffee und Torte und bewies so ungewöhnliche Leistungsfähigkeit, daß Erika fast fürchtete, es könnte mir schlecht bekommen. Es war ein fürchterlich heißer Tag. Der Dekan hatte als Prüfungsraum das Sitzungszimmer der Staatswissenschaftlichen Fakultät gewählt, weil es dort am kühlsten war. Er ließ Husserl und mich am Sitzungstisch in bequemen Ledersesseln Platz nehmen. Er selbst setzte sich mit dem Rücken zu uns an den Schreibtisch, als ginge ihn die Sache nichts an. Natürlich hörte er sehr aufmerksam zu, aber er wollte mich so wenig wie möglich beirren. So war es wie ein vertraulicher Gedankenaustausch mit dem Meister. Um die Sache wirkungsvoller zu gestalten, leitete er die Fragen ein: »Es ist zwar viel verlangt, daß man in der Prüfung selbständig denken soll, noch dazu bei solcher Hitze – aber können Sie mir vielleicht sagen …?« usw. Ich vermute, daß der

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