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Bierdrama hatte mir noch viel Sorge gemacht, weil die Schauspielerinnen ihre Rollen bis zur Generalprobe nicht ordentlich lernten. Bei der Aufführung ging es dann natürlich doch. Ich spielte nicht mit, sondern war Regisseur und Souffleur. Am Schluß aber wurde nach dem Autor verlangt, und Horaz setzte mir auf offener Bühne seinen Kranz auf. Professor Olbrich versicherte mir, er habe noch bei keinem Abschiedsfest ein so wohlgeordnetes Stück gesehen. Das betrachtete ich als ein zweifelhaftes Kompliment.

      Die Bierzeitung wurde laut verlesen. Sie enthielt u.a. Xenien auf jede einzelne von uns. Die Lehrer verlangten, daß jede nach dem auf sie gemünzten Verschen aufstehen solle, weil sie nicht immer erraten konnten, wer gemeint war. Das meine lautete:

      Gleichheit der Frau mit dem Manne / so rufet die Suffragette,

       Sicherlich sehen dereinst / im Ministerium wir sie.

      Als ich mich danach erhob, waren alle erstaunt. Es wurde ihnen selbst klar, wie wenig sie uns im Grunde gekannt hatten.

      Als wir am Schluß noch plaudernd zusammensaßen, ließen wir uns von den Lehrern noch etwas zum Andenken auf die leere Rückseite der Bierzeitung schreiben. Mein Name verlockte wie gewöhnlich zu Anspielungen. Der einst so gefürchtete Direktor schrieb mir den freundlichen Spruch: »Schlag an den Stein, und Schätze springen hervor.« Am besten gefiel mir aber ein kurzes Ibsen-Wort, das Professor Olbrich mir mitgab:

      Hammerschlag auf Hammerschlag

       Bis zum letzten Erdentag.

      Nach der Prüfung brauchten wir nicht mehr in die Schule zu kommen. Die Klasse zerstreute sich, und wir kamen nie mehr wieder alle zusammen. Nicht einmal die Reifezeugnisse wurden uns feierlich in der Aula überreicht. Sie wurden erst später in die Wohnungen geschickt. Ich war in Berlin, als das meine eintraf, meine Angehörigen schickten mir eine Abschrift davon zu. Meine Mutter war so stolz darauf, daß sie es sogar ihren Geschäftsfreunden zeigte. Nach Jahren erfuhr ich durch eine gemeinsame Bekannte, daß einer von ihnen es sich abgeschrieben hatte und wieder in seinem Freundeskreise weitergab.

      Meine Mulusreise ging also zuerst nach Berlin. Der Lieblingsbruder meiner Mutter, Eugen Courant, feierte am 19.März seinen 50.Geburtstag. Ich fuhr etwas früher hin, zu dem Fest kam meine Mutter mit den andern Töchtern nach. Ich blieb noch einige Zeit nachher dort, weil mein Onkel mit seiner Frau eine Reise nach Italien machte und gern wollte, daß ich mit einem seiner Söhne das Haus hüten sollte. Dieser Vetter, Fritz Courant, war uns von den drei Brüdern der liebste, weil die Familieneigenart bei ihm am stärksten ausgeprägt war. Ihre Mutter war übrigens auch mit uns verwandt: väterlicherseits unsere Cousine. Sie war sonst gegen Gäste wenig liebenswürdig, aber mich hatte sie von Kindheit auf besonders in ihr Herz geschlossen. Als »Anstandsdame« mußte noch eine ältere Cousine bei uns wohnen; tagsüber war sie nicht zu Hause, weil sie kaufmännische Angestellte war. Ich machte mich über die Überwachung lustig und war zugleich innerlich empört darüber, denn in meinem Tugendstolz fand ich den Gedanken, daß wir einer Aufsicht bedürften, ganz absurd. Mit der Cousine aber vertrug ich mich sehr gut. Mein Vetter Fritz hatte seinen Vater in Geschäft und Fabrik zu vertreten und konnte sich tagsüber auch wenig um mich kümmern. Häusliche Pflichten hatte ich auch nicht. Um Zeitausfüllung aber war ich nicht verlegen. Wir hatten viele Verwandte in Berlin und waren immer nur in Gefahr, jemanden von ihnen zu kränken, wenn wir ihnen nicht genug Zeit widmeten. War man nur wenige Tage dort, so konnte man unmöglich bei allen herumkommen, und dann gab es immer »Beleidigte«. Diese Schwierigkeit hat uns schließlich den Aufenthalt in Berlin ganz verleidet. Diesmal hatte ich drei Wochen Zeit und wurde abwechselnd von allen eingeladen – bald zum Mittag-, bald zum Abendessen oder zu einem Theaterbesuch. Diese Theaterbesuche waren aber wenig nach meinem Geschmack. Man führte mich zu den neuesten Operettenschlagern und Berliner Possen – lauter Sachen, die ich mir aus eigener Wahl niemals angesehen hätte. Der brave Vetter holte mich ab, wo ich auch war, und dann endete der Abend gewöhnlich in einem Café. Von den Berliner Verwandten waren mir die liebsten meine Cousinen Adelheid und Martha Courant, beide um einige Jahre älter als ich. Sie waren in Rumänien aufgewachsen, wo ihr Vater als Holzhändler viele Jahre lang ansässig war. Ihre Mutter stammte aus Galizien; sie war in ihrer Jugend eine bildschöne Frau, ihr Temperament und ihre Lebensgewohnheiten stimmten aber wenig zu dem, was man in der Familie Courant schätzte; auch die Töchter hatten darunter zu leiden. Mein Onkel legte Wert darauf, sie deutsch zu erziehen. Er ließ sie eine Klosterschule besuchen und schickte sie schließlich für ein Jahr nach Deutschland; während dieser Zeit gingen sie mit uns in die Viktoriaschule. Alle Verwandten waren entzückt von ihnen. Sie waren sehr klein und im Verhältnis zu ihrer Größe etwas zu stark, aber überaus anmutig und liebenswürdig. Am liebsten sahen wir sie in ihren rumänischen Nationalkostümen, deren reiche Stickerei sie selbst angefertigt hatten. Sie ließen sich aber nur sehr selten überreden, sie einmal für ein paar Stunden an einem Festabend anzulegen. Adelheid schloß sich besonders an mich an; obwohl sie in einer viel höheren Klasse war, verbrachten wir regelmäßig die großen Pausen zusammen. In der Zeit, als ich mich für das Gymnasium vorbereitete, waren sie noch einmal für einige Wochen von Rumänien aus als Gäste bei uns im Haus.

      Später siedelte die ganze Familie nach Berlin über. Es waren noch zwei Söhne nachgeboren: Sigurd und Helmut, bildhübsche und sehr begabte Jungen. Sigurd war jetzt schon 15 Jahre; er rief mich manchmal zu Hilfe, wenn er eine Mathematikaufgabe nicht lösen konnte, und ich freute mich dann immer an seiner raschen Auffassungsgabe. Den Familienvater, meinen Onkel Berthold, hatte ich bisher noch wenig gekannt, da er von Rumänien aus natürlich nicht oft nach Deutschland gekommen war. Er war ein außerordentlich tüchtiger Kaufmann, im persönlichen Verkehr liebenswürdig und humorvoll, etwas an unsern Großvater erinnernd. Er hatte aber in jener großen geschäftlichen Krisis, die seinen ältesten Bruder Jakob das Leben gekostet hatte, eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Ich war damals noch zu klein, um in alles eingeweiht zu werden, aber es war eine gewisse Scheu vor ihm in mir zurückgeblieben. Jetzt ging es ihm pekuniär wieder sehr gut. Die Familie bewohnte eine große, elegante Wohnung im Westen Berlins, und der Haushalt wurde nach großem Zuschnitt geführt. Die Töchter aber waren bescheiden und häuslich erzogen und tüchtig zu jeder Arbeit. Leider wurde ich bei meinem nächsten Besuch in Berlin in einen der früher geschilderten Familienkonflikte hineingezogen. Es gab damals eine sehr unangenehme geschäftliche Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Berthold und Eugen Courant. Onkel Eugen war so empört über das Unrecht, das ihm (wirklich oder vermeintlich) geschehen war, daß er mir verbot, bei »B.C.'s« einen Besuch zu machen. Ich war nur auf der Durchreise in Berlin und hatte nicht viel Zeit. Die Tante fand das Verlangen des Onkels zu weitgehend und erweckte auch in ihm Bedenken. Ich merkte aber, daß es ihm ein wohltuendes Vertrauensvotum sein würde, wenn ich zu ihm hielte. Ich dachte an seine Liebe zu meiner Mutter und alles Gute, was er ihr schon getan hatte, und wollte ihm diesen Gefallen tun. Als Martha Courant mich telephonisch begrüßte und fragte, wann ich zu ihnen kommen wolle, sagte ich, ich könnte nicht kommen. Daraufhin telephonierte ihr Vater noch einmal selbst und verlangte Angabe des Grundes. Er erbot sich, mir alles Material vorzulegen, damit ich mir selbst ein Urteil bilden könne. »Du bist doch ein gebildetes Mädchen und kennst den Spruch: Audiatur et altera pars!« Aber ich ging nicht darauf ein. Ich sagte, ich hätte in der Sache kein Urteil, aber so, wie das Verhältnis meiner Mutter zu Onkel Eugen immer gewesen sei, fühle ich mich verpflichtet, zu ihm zu stehen. Die ganze Angelegenheit war mir sehr peinlich, und ich habe später mein Verhalten bereut. Onkel Berthold war viele Jahre hindurch nicht nur mir, sondern auch meiner Mutter sehr böse. Da ich dann sehr lange nicht mehr nach Berlin kam, habe ich ihn und auch die lieben Cousinen nicht wiedergesehen. Ich habe ihm nur viel später einmal sagen lassen, daß mir die Sache leid sei, und dann auch von ihm einen Gruß als Zeichen der Versöhnung bekommen.

      Nach der Rückkehr der Italienreisenden fuhr ich nach Chemnitz. In dem schönen, wohlgeordneten Hause und in dem ganzen Bekanntenkreis war ich noch von dem früheren Besuch her ganz heimisch. Diesmal war auch mein Vetter Erich zu Hause. Er war ein Jahr jünger als ich und gerade nach Oberprima gekommen. Nun wurde ihm mein gutes Abitur als Muster vorgehalten; das gefiel ihm gar nicht. Als er einmal feststellte, daß ich den II.Teil des »Faust« gelesen hatte, sagte er ganz erbost: »Ihr habt nur so viel Zeit zu lesen, weil ihr zu faul seid, Sport zu treiben.« Im übrigen kamen wir gut miteinander aus. Als ich einmal mit der Tante von einem Ausgang zurückkehrte, übte

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